Gewalt gegen Frauen in den Medien: Nicht viel gelernt
Eine Studie der Otto-Brenner-Stiftung untersucht Artikel über geschlechtsspezifische Gewalt. Das Ergebnis: Es geht immer noch zu oft um Einzelfälle.
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Gewalt gegen Frauen sind keine Einzelfälle. Gewalt gegen Queers sind keine Einzelfälle. Gewalt gegen Mädchen sind keine Einzelfälle. Leider muss das oft wiederholt werden. Fast jeden Tag wird eine Frau oder ein Mädchen getötet – Femizide sind aber nur die Spitze der Gewalt. Andere Formen von Gewalt wie häusliche Gewalt sind noch viel weiter verbreitet. Die polizeiliche Kriminalstatistik zeigt das auf: Im Jahr 2023 wurden täglich mehr als 140 Frauen und Mädchen Opfer sexualisierter Gewalt, alle drei Minuten erlebte eine Frau oder ein Mädchen häusliche Gewalt.
Auch in Medien sind – spätestens seit der 2017 gestarteten #MeToo-Bewegungen, diese Themen allgegenwärtig. Aber wie berichten Medien über geschlechtsspezifische Gewalt? Eine neue Studie der Otto-Brenner-Stiftung, veröffentlicht am 12. Dezember 2024, beleuchtet die Berichterstattung über Gewalt an Frauen. Sie zeigt, dass sich trotz jahrelanger Debatten und Bewegungen wie #MeToo in der journalistischen Praxis wenig verbessert hat. In der Studie wurden Berichte von Boulevardmedien wie der Bild-Zeitung, Regionalzeitungen wie dem Münchner Merkur sowie der dpa und Spiegel Online aus den Jahren 2020 bis 2022 analysiert. Die Ergebnisse sind leider ernüchternd.
Gewalt in Partner*innenschaften wird zwar etwas häufiger thematisiert als in früheren Untersuchungen, jedoch bleiben wichtige Gewaltformen wie psychische und finanzielle Kontrolle fast vollständig unbeachtet. Insgesamt ist Partnerschaftsgewalt im Verhältnis zu ihrem realen Ausmaß in den Medien deutlich unterrepräsentiert. Besonders kritisch ist, dass sich immer mehr Artikel auf die Motive der Täter konzentrieren, während die Perspektive der Opfer medial kaum Platz findet. Nur 16 Prozent der untersuchten Artikel ordnen Gewalt gegen Frauen thematisch ein, lediglich vier Prozent fordern politische oder gesellschaftliche Maßnahmen. Noch gravierender: In nur zwei Prozent der Berichte werden Hilfsangebote für Betroffene erwähnt, obwohl diese Informationen essenziell sind, um Gewaltopfern konkrete Unterstützung zu bieten.
Ein weiteres Problem zeigt sich laut dem OBS-Papier bei der Darstellung von Taten, die von nichtdeutschen Tatverdächtigen begangen wurden. Diese werden etwas häufiger als strukturelles und wiederkehrendes Problem dargestellt, was stereotype Vorstellungen über Gewaltursachen und Tätergruppen verstärkt. Auch hier bleibt die Berichterstattung oft oberflächlich und schürt Vorurteile, statt differenziert auf die tatsächlichen Strukturen hinter der Gewalt einzugehen.
Kein Randthema
Der Deutsche Journalisten-Verband DJV betont die Verantwortung der Medien in diesem Bereich. Gewalt gegen Frauen sei kein Randthema, sondern müsse viel stärker in den Fokus rücken. „Wir Journalistinnen und Journalisten haben eine besondere Verantwortung, wenn es darum geht, vielschichtig über Gewalt gegen Frauen zu berichten“, erklärte DJV-Bundesvorsitzender Mika Beuster anlässlich der Veröffentlichung der Studie in einer Pressemitteilung. Medien prägen entscheidend mit, wie die Gesellschaft solche Themen wahrnimmt und welche Bedeutung ihnen beigemessen wird.
Für eine bessere Berichterstattung braucht es strukturelle Veränderungen in der journalistischen Praxis. Redaktionen sollten verbindliche Normen schaffen, um sensibler mit dem Thema umzugehen. Die Sprache in den Berichten muss präzise und respektvoll sein, um Gewalt weder zu verharmlosen noch zu dramatisieren. Es ist wichtig, dass Artikel systematisch auf Hilfsangebote hinweisen, damit Betroffene wissen, wo sie Unterstützung finden können. Gleichzeitig muss die Perspektive der Opfer stärker in den Mittelpunkt gerückt werden, statt lediglich die Täter und deren Motive zu beleuchten.
Die Empörung über Gewalt gegen Frauen ist in etablierten wie sozialen Medien oft groß, flacht aber nach wenigen Wochen wieder ab, ohne dass sich etwas ändert. Doch das kann und darf nicht der Normalzustand bleiben. Wenn das Leben von Frauen, Mädchen und queeren Menschen wirklich etwas zählt, muss die Gesellschaft diesen Moment der Aufmerksamkeit nutzen, um dauerhafte Veränderungen einzuleiten. Journalist*innen spielen dabei eine Schlüsselrolle – sie können die nötigen Debatten anstoßen, die strukturelle Gewalt sichtbar machen und den Opfern eine Stimme geben.
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