Gewalt gegen Frauen in Kamerun: „Eure Brust gehört euch“
Im zentralafrikanischen Kamerun ist „Brustbügeln“ weit verbreitet. Dabei leiden die betroffenen Frauen ihr ganzes Leben an den Folgen.
Winnie Eyono Ndong trägt ein kurzes, graues Kleid. Ihr Haar trägt sie offen. Und sie spricht laut und bestimmt, wenn sie durch die Büroräume von Renata geht, einer 2005 gegründeten Organisation für die Durchsetzung von Frauenrechten und Bildung.
Ab und zu bleibt sie stehen, um mit einer Kollegin zu sprechen. Überall an den Wänden hängen große Plakate, die vor Missbrauch, Teenagerschwangerschaften und Ungleichbehandlung warnen und gleichzeitig motivieren wollen: „Nehmt euer Schicksal selbst in die Hand. Kämpft für euch und für bessere Lebensbedingungen.“
Wer hier in der kamerunischen Hauptstadt Yaoundé mit der 27-Jährigen, aber auch mit ihren Kolleginnen darüber spricht, merkt schnell, dass es keine Floskeln sind. Viele der Renata-Mitarbeiterinnen haben selbst erlebt, was Missbrauch bedeutet und wie es ist, mit 16, 17 oder 18 Jahren ungeplant Mutter zu werden und ohne Ausbildung und Perspektiven ein Kind durchbringen zu müssen.
Winnie Eyono Ndong zieht sich in ihr Büro zurück. Wenn sie darüber spricht, kann man sich lebhaft vorstellen, wie genervt sie damals von ihrer heute achtjährigen Tochter Gloria war, wie wenig Lust sie hatte, sich um sie zu kümmern und vor allem wie schmerzhaft das Stillen häufig war. Oft kam gar keine Milch.
Der Tag: Am 25. November findet der Internationale Tag gegen Gewalt an Frauen statt. Es ist ein weltweiter Aktionstag zur Bekämpfung von Diskriminierung und Gewalt jeder Form gegenüber von Frauen und Mädchen.
Die Entstehungsgeschichte: 1981 riefen lateinamerikanische Frauenrechtlerinnen ein Treffen für die Opfer von Gewalt an Frauen aus. Sie gedachten damals den drei Mirabal-Schwestern auch bekannt als Las Mariposas (die Schmetterlinge). Sie waren Regimegegnerinnen in der Dominikanischen Republik und wurden am 25. November 1960 ermordet. 1999 wurde der 25. November offizieller Aktions- und Gedenktag der Vereinten Nationen.
Brustbügeln auch in Kameruns Nachbarn
Winnie Eyono Ndong ist als Kind die Brust abgebunden worden. Einige Male presste ihre Großmutter auch einen heißen Spachtel darauf. Andere Frauen beschweren sie mit heißen Steinen.
„Es passierte in den großen Ferien, in denen ich von Yaoundé zu ihr aufs Land geschickt wurde. Als ich in jenem Jahr, in dem ich neun Jahre alt war, ankam, erzählte mir meine Kusine, dass unsere Großmutter ihr einen Spachtel auf die Brust gedrückt hatte. Sie weinte, und ich konnte nicht verstehen, dass so etwas so sehr schmerzt. Doch sie sagte: Das tut unglaublich weh.“
Das sogenannte Brustbügeln ist vor allem aus Kamerun bekannt. Nach Renata-Recherchen wird es aber auch in Nachbarländern wie dem Tschad sowie in westafrikanischen Ländern wie Togo durchgeführt. Dort sei es, sagt die Sprecherin der Organisation, Catherine Aba Fouda, bisher nicht thematisiert worden. Das Tabu sei riesig. „Es ist so fest in Kultur und Tradition verankert.“
Eine 2013 veröffentlichte Untersuchung, die mit Unterstützung der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) durchgeführt wurde, besagt, dass das Phänomen in Kamerun abnimmt. Zwölf Prozent der 5.914 Befragten gaben an, selbst Opfer geworden zu sein. Acht Jahre zuvor war die Zahl noch doppelt so hoch.
Gravierende Folgen für Mutter-Kind-Bindung
Nach Veröffentlichung der ersten Studie wurde auch Renata auf das Thema aufmerksam. Ursprünglich gab die Organisation häufig Kurse für Teeniemütter und versuchte, sie in ihrem Alltag zu unterstützen und zur Rückkehr in die Schule zu bewegen.
So wurde vor knapp acht Jahren auch Winnie Eyono Ndong von der Organisation zu einem Workshop eingeladen, auf den sie gar keine Lust hatte, im Laufe der Tage aber spürte sie: „Endlich hört mir jemand zu. Mein Leben ist noch nicht vorbei.“
Den Renata-Mitarbeiterinnen wurde andererseits nach und nach klar, welche Ausmaße das Brustbügeln für die Mädchen hat und welche gravierenden Auswirkungen die damit verbundenen Schmerzen auf die Bindung junger Mütter zu ihrem Kind haben können.
Winnie Eyono Ndong hat das Fenster in ihrem Büro geschlossen und versucht, so emotionslos wie möglich jene Ferien bei ihrer Großmutter zu rekonstruieren. Als sie eines Abends über Schmerzen klagte, befühlte die Großmutter die Brust.
Vergewaltigung statt Schutz
Den Gesichtsausdruck der alten Frau wird Winnie Eyono Ndong ihr Leben lang nicht vergessen. „Sie lächelte und befand, dass es Zeit für das Ritual sei.“ In aller Regel sind es Mütter und Großmütter, die das Brustbügeln durchführen und so ein Vertrauensverhältnis zerstören.
Die heute 27-Jährige versuchte sogar, vor ihr wegzulaufen. „Sie nahm den heißen Spachtel. Sie wollte auch die Brust abbinden und massieren. Das war natürlich keine Massage, sondern ein schmerzhaftes Drücken.“ Einmal versteckte sie sich in einem Wald, wurde aber von einem Onkel gefunden. Er versprach ihr Schutz vor der alten Frau, vergewaltigte das Mädchen jedoch. „Ich blutete. Doch weil ich noch ein Kind war, glaubte mir im Dorf niemand.“
Ausgerechnet das wird bis heute als Argument für das Brustbügeln angeführt. Kommt es zu ersten Anzeichen der Pubertät, soll die Brust nicht weiter wachsen oder zumindest so unansehnlich wie möglich sein. Damit sollen potenzielle Vergewaltiger abgeschreckt werden.
„Es heißt auch, dass Mädchen mit großen Brüsten weniger lernen und in der Schule Jungs anziehen würden“, sagt Catherine Aba Fouda. Im muslimisch geprägten Norden wollen Mütter durch diese Praxis ihre Töchter außerdem vor zu früher Heirat schützen.
Kritik an alten Traditionen
Die NGO Girls Not Brides, die weltweit gegen Kinderehen kämpft, schätzt, dass landesweit jedes dritte Mädchen vor der Volljährigkeit verheiratet wird. Innerhalb Kameruns variieren die Zahlen jedoch stark. Im Norden liegt die Zahl bei 73 Prozent.
Um gegen das Brustbügeln mobil zu machen, sind nach Einschätzung von Renata Kritik an alten Traditionen sowie sexuelle Aufklärung wichtig. Sexualkunde und Sexualität sind in vielen Ländern der Region ein absolutes Tabu. Kirchen wettern dagegen. Ministerien setzen es nicht auf den Stundenplan. Vergewaltigungsopfer werden vielerorts von Polizisten ausgelacht, Täter kaufen sich problemlos frei.
Winnie Eyono Ndong steht von ihrem Schreibtischstuhl auf, um zu einer Kollegin zu gehen. In Kamerun übernehmen die Tantines, die freundlichen Tanten, wie die Renata-Mitarbeiterinnen genannt werden, deshalb häufig die Aufklärungsarbeit.
Heute fahren drei von ihnen an die staatliche Grundschule Essos I im Zentrum von Yaoundé, wo Emmanuel Dieudonné Nkodo Olinga, Klassenlehrer einer dritten Klasse, schon auf die Frauen wartet.
Drittklässler sind neugierig
20 Minuten hat Winnie Eyono Ndong, um ihre Geschichte zu erzählen und Fragen zu beantworten. Als sie fragt, ob die Kinder das Wort Brustbügeln schon einmal gehört haben, nicken wenige. Anschließend braucht sie keine Minute, und die 70 Mädchen und Jungen im Alter von neun bis zwölf Jahren hören ihr gespannt zu. Keins der Kinder kritzelt mit Kreide auf der Schiefertafel herum, keins redet.
Die 27-Jährige ist schonungslos. Sie verschweigt weder, wie heiß das Metall war noch die Vergewaltigung des Onkels und das Gefühl, Erwachsenen weder vertrauen noch sich auf sie verlassen zu können. Am Ende schießen Dutzende Hände in die Luft. Die meisten drehen sich gar nicht um das Brustbügeln.
Stattdessen wollen die Kinder immer wieder wissen, warum niemand der kleinen Winnie geglaubt hat, als ihr Onkel sie vergewaltigte und auch, warum ihr niemand half. Die Schüler von Essos I sind im selben Alter wie damals Winnie Eyono Ndong.
Einer beobachtet die kurze Unterrichtsstunde genau: Klassenlehrer Nkodo Olinga. Als sie vorbei ist, nickt er anerkennend. „Die ganzen Fragen zeigen, wie sehr das Thema die Kinder interessiert und wie wichtig es ist. Viele kommen schließlich langsam in die Pubertät.“
„Sagt nein zum Brustbügeln“
Deshalb wischt er auch die Notfallnummer nicht weg, die die Tantines zum Schluss an die Tafel schreiben. Dass sie kostenfrei und rund um die Uhr erreichbar ist, betonen sie mehrere Male. Auch das ist bisher die Ausnahme.
Mitunter gibt es Informations- und Beschwerdetelefone, aber kaum welche, an die sich Mädchen und Frauen nach Angriffen und Überfällen oder bei Menschenrechtsverletzungen wenden können.
Die Kinder schreiben die Nummer in sorgfältiger Schreibschrift ab und reißen sich fast um die Informationsbroschüren, die sie mit nach Hause nehmen dürfen. Es wird laut im Klassenzimmer, die Konzentration ist weg.
Einmal fordert Winnie Eyono Ndong sie noch ein. Sie reckt die Hand, in der sie eine Broschüre hält, hoch und ruft: „Sagt nein zum Brustbügeln. Eure Brust gehört euch, und niemand hat das Recht, sie anzufassen.“ Die Mädchen und Jungen sprechen ihr im Chor nach.
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