piwik no script img
taz logo

Gesundheitsreform in den USASelbst Republikanern zu brutal

Heimlich und schnell wollte die Republikaner-Führung ihr schonungsloses Gesundheitsgesetz durchs Parlament bringen. Doch der Entwurf ist in der Partei umstritten.

Solche Gesetze brauchen „fast immer länger“. Das muss Republikaner-Fraktionschef McConnell zugeben Foto: reuters

Washington dpa | Krankenversicherung auf der Intensivstation: Trotz jahrelangen Sturmlaufs gegen „Obamacare“ finden die US-Republikaner derzeit keine eigene Mehrheit für eine von ihnen konzipierte Krankenversicherung. Sie sagten eine für diese Woche geplante Abstimmung im Senat über ihren Gesetzentwurf ab. Damit ist unklar, ob die Partei unter US-Präsident Donald Trump eines ihrer Kernversprechen aus dem Wahlkampf einlösen kann.

Der eigentliche Plan war, nach einer weitgehend heimlichen Vorbereitung des Gesetzes unter allen Umständen bis Freitag abstimmen zu lassen. Nächste Woche haben die Senatoren rund um den Nationalfeiertag 4. Juli eine Woche Pause. Die Parteiführung befürchtet, dass den Senatoren in ihren Heimatstaaten im Sommer wachsender Protest von Wählern entgegenschlägt, die mehr und mehr gewahr werden, wie sehr sie selbst von der geplanten Neufassung der Krankenversicherung betroffen wären.

Nach offiziellen Berechnungen würde ein 64-Jähriger bei einem Jahreseinkommen von 55.000 US-Dollar (umgerechnet 49.000 Euro) mit einem Beitrag von 20.500 Dollar drei Mal so viel für die Versicherung bezahlen müssen wie bisher. Vor allem kleine und mittlere Einkommen sollen zur Kasse gebeten werden, Reiche dagegen noch Steuerentlastungen erfahren.

Mitch McConnell, der mächtige Fraktionschef der Republikaner im Senat, sagte zu der Verschiebung: „Wir glauben daran, dass wir ein Resultat hinbekommen, das besser ist als der Status quo.“ Da kein Demokrat den Entwurf unterstützt, kann sich seine Partei höchstens zwei Abweichler leisten. Deren Zahl war zuletzt aber auf beiden Flügeln der Partei deutlich höher – ein zu hohes Risiko für die Parteiführung.

„Gesetzgebung von dieser Komplexität dauert fast immer länger, als die Leute glauben“, sagte McConnell. „Wir arbeiten weiterhin daran, auf 50 Stimmen zu kommen – und wir sind immer noch optimistisch, das hinzukriegen.“

Abstimmung vielleicht erst im Herbst?

Am Montag hatte das Congressional Budget Office zum neuen Entwurf der Republikaner erklärt, er ließe bis zum Jahr 2026 insgesamt 22 Millionen Amerikaner mehr als bisher ohne Krankenversicherung dastehen. Dieser Bericht dürfte die Verschiebung entscheidend mitverursacht haben.

Eine Abstimmung wäre frühestens in der Woche ab dem 10. Juli möglich, wird sich aber womöglich bis zum Herbst hinziehen. Die Börse reagierte mit Kursverlusten auf die Verschiebung.

US-Präsident Trump hatte die Abschaffung einer der wichtigsten Errungenschaften seines Vorgängers Barack Obama zu einem seiner wichtigsten Wahlkampfversprechen gemacht. Er sprach sich vehement für die schnelle Verabschiedung eines Entwurfs aus, der nun neuerlich in eine Warteschleife gehen muss. Inhaltlich begleitet hat Trump die Gesetzgebung nicht.

Der US-Präsident bestellte am Montag umgehend alle republikanischen Senatoren ins Weiße Haus ein. Zum Auftakt des Treffens sagte er: „Wir brauchen eine Gesundheitsversorgung für das Land, und das kann nicht Obamacare sein, dieses System bricht zusammen.“ Nun rede man miteinander und sehe, was man tun könne.

Dem rechten Flügel der Republikaner geht das Gesetz nicht weit genug, wogegen Moderate es abmildern wollen. Nun werden aus dem Senat erste Rufe nach einer überparteilichen Lösung laut – für viele Republikaner eine Schreckensvorstellung. Prompt sprach sich Senator McConnell am Dienstagabend (Ortszeit) dagegen aus.

Der demokratische Senator Charles Schumer sagte, Grund für die Verschiebung sei, dass die Republikaner den faulen Kern des Gesetzes nicht hätten entfernen können. Der linke Senator Bernie Sanders nannte die Verschiebung einen großen Sieg, aber der Kampf sei noch nicht vorüber.

Eine ideologisch zerrissene Partei

Die Republikaner hatten sieben Jahre lang Zeit, eigene Vorstellungen für eine Krankenversicherung zu entwickeln. Sie stellen nun neben dem Präsidenten auch die Mehrheiten in beiden Kammern des Kongresses und haben so eigentlich erhebliche gesetzgeberische Gestaltungskraft.

Das derzeitige Ringen zeigt aber nicht nur, wie ideologisch zerrissen die Partei ist. Versammeln sie schon hinter ihrem Herzensanliegen einer Abschaffung von „Obamacare“ keine eigene Mehrheit, stehen auch die anderen Großprojekte wie eine Steuerreform und Investitionen in die Infrastruktur in den Sternen.

Das Fenster für solche großen Vorhaben schließt sich bald: Spätestens im Winter beginnt der Wahlkampf für die „midterm elections“. Im Herbst 2018 werden ein Drittel des Senats und alle Abgeordneten neu gewählt. Diese Halbzeitwahlen machen sich schon jetzt bemerkbar.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

11 Kommentare

 / 
  • Einigen Republikaner zu brutal, anderen nicht brutal genug. Raten sie wer sich durchsetzt. Da im Repräsentantenhaus die Moderaten gekuscht haben, wird es hier genauso erfolgen. Dem Amerikanischen Wähler schein dies allerdings bisher recht zu sein. Nächstes Meinungsbild dann bei den Midterms.

  • 6G
    60440 (Profil gelöscht)

    Wie soll man Steuerleichterungen für Superreiche durchkriegen, wenn man nicht die Durchschnittsverdiener stärker zur Kasse bittet ?

    Ich hoffe immer noch, dass der amerikanische Durschnittsdödel endlich schnallt, wen er da gewählt hat ...

    • @60440 (Profil gelöscht):

      Indem man die Ausgaben reduziert.

      • @TurboPorter:

        Na, die Behauptung ist doch seit Reagan, dass die entlasteten Reichen mehr investieren, dadurch die Wirtschaft wächst und Jobs entstehen, und letztlich alle profitieren. Auch der Staat, der dann mehr Steuern einnimmt, und daher keineswegs Ausgaben runterfahren muss.

        Funktioniert nur nicht.

        • 6G
          60440 (Profil gelöscht)
          @Ruhig Blut:

          Schlimm ist, dass man in den USA zur Begründung der amoralischen Ungleichbehandlung heutzutage nicht einmal mehr zu derartig verlogenen Begründungen greifen muss.

          Denn wer ein gerechtes Steuersystem propagiert oder eine medizinische Grundversorgung für alle, ist einfach ein widerlicher liberal-sozialistischer Kommunistennazi. Ende der Diskussion.

  • Man sollte das Thema mit etwas Abstand betrachen. Sprach man in den vergangenen Jahren auch mit überzeugten linken Demokraten-Wählern, so war selbst unter diesen die Unzufriedenheit mit Obamacare relativ gross. Obaman kommt aber immerhin der Verdienst zu, das Thema auf die politische Tagesordnung gesetzt zu haben.

     

    Im besten Fall ergibt sich jetzt eine verbesserte Version der Versorgung - mit weniger Ausgeschlossenen als im Obama-Modell, aber auch ohne dessen Nachteile und ohne dessen dreiste Bevorzugung grosser Versicherungskonzerne.

    • 6G
      60440 (Profil gelöscht)
      @TurboPorter:

      Was sind schon 22 Millionen Menschen ohne Krankenversicherung, gell ?

    • @TurboPorter:

      "Im besten Fall ergibt sich jetzt eine verbesserte Version der Versorgung - mit weniger Ausgeschlossenen als im Obama-Modell, aber auch ohne dessen Nachteile und ohne dessen dreiste Bevorzugung grosser Versicherungskonzerne."

       

      OMG! - in welcher Welt leben Sie denn???

      • @Artur Möff:

        In der realen Welt, in der man auch mal mit Amerikanern spricht und deren Meinungen erfährt - und sich nicht auf die Süddeutsche verlässt. Können Sie auch, kommen Sie einfach rüber!

      • @Artur Möff:

        Anscheinend in einer sehr schönen, parallelen Welt, z.B. von wegen 'weniger Ausgeschlossenen':

        "Am Montag hatte das Congressional Budget Office zum neuen Entwurf der Republikaner erklärt, er ließe bis zum Jahr 2026 insgesamt 22 Millionen Amerikaner mehr als bisher ohne Krankenversicherung dastehen."

        • @Flipper:

          Ach, DARUM geht es. Schreibfehler. Es sollte heissen: "Mit weniger Ausgeschlossenen als im Republikaner-Modell, aber aber auch ohne die Nachteile und ohne die dreiste Bevorzugung grosser Versicherungskonzerne im Obama-Modell".

           

          Zu schnell getippt, jetzt stimmts.