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Gesundheitsökonom über Krankenhausreform„Von der Ökonomie kommt man nicht weg“

Showdown: Freitag entscheidet der Bundesrat, ob die Krankenhausreform trotz Ampel-Aus kommt. Boris Augurzky über Chancen, Risiken und Nebenwirkungen.

Nur noch an spezialisierten Kliniken? Roboterassistierte Krebs-OP im Klinikum rechts der Isar (München) Foto: Robert Haas/picture alliance

taz: Herr Augurzky, ist die Krankenhausreform tot?

Boris Augurzky: Das ist völlig offen. Fifty/fifty, würde ich sagen, ob die Reform am Freitag im Bundesrat durchgeht. Es hängt an ein, zwei Bundesländern. Falls das Gesetz aber nicht durchkommt, also in den Vermittlungsausschuss geschickt wird, dann ist es eigentlich tot.

Die Krankenhausreform

Zeitplan: Der Bundestag hat im Oktober das Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz beschlossen, das am 1. Januar 2025 in Kraft treten soll. Am Freitag stimmt der Bundesrat ab. Einige Bundesländer haben bereits Widerstand angekündigt. Neben Kritik an der Vergütungssystematik gibt es Streit über Ausnahmen, Übergangsfristen und Übernahme der Umbau­kosten. Ruft eine Mehrheit den Vermittlungsausschuss an, muss zwischen Ländern und Parlament nachverhandelt werden – was wohl das Ende der Reform wäre.

Inhalt: Die Reform will künftig Qualitätskriterien an die Finanzierung von Behandlungen knüpfen. Dafür werden diese in „Leistungsgruppen“ eingeteilt, für die Mindestvoraussetzungen (Anzahl jährlicher Fälle, technische und personelle Ausstattung) festgelegt werden. Nur Kliniken, die die Voraussetzungen erfüllen, dürfen bestimmte Leistungsgruppen abrechnen. Komplexe Eingriffe – etwa bei Krebs, Schlaganfällen oder Gelenkersatz – sollen dann nur noch entsprechend ausgestattete Krankenhäuser erbringen. Damit trotz der Zentra­lisierung und Spezialisierung auch die auf dem Land notwendigen Grundversorger überleben, soll es Vorhaltepauschalen geben. Werden Kliniken bisher nur für die Menge behandelter Fälle bezahlt, sollen künftig die Pauschalen rund 60 Prozent der Kosten decken. Finanziert werden soll die Reform durch einen Transformationsfonds in Höhe von 50 Milliarden Euro, der zur Hälfte von den gesetzlichen Krankenkassen und den Ländern getragen werden soll.

amsi

taz: Was würde passieren, wenn diese Reform nicht umgesetzt wird?

Augurzky: Ohne die Reform verschlechtert sich die Lage der Krankenhäuser in den kommenden Jahren weiter. Die Kosten im Krankenhaus, was Löhne und Sachkosten angeht, steigen weiter. Die Inflation ist zwar nicht mehr so heftig, aber weiterhin da. Wenn wir starkes Kostenwachstum und nur moderates Erlöswachstum verrechnen, ist klar, dass ohne Veränderungen die Mehrzahl aller Krankenhäuser in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts weiterhin defizitär sein wird.

Bild: Sven Lorenz

Boris Augurzky

ist Leiter des Bereichs „Gesundheit“ am RWI Leibniz-Institut für Wirtschafts­forschung und außerplanmäßiger Professor an der Universität Duisburg-Essen. Er ist Mitglied der Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhaus­versorgung.

taz: Und was erhoffen Sie sich durch die Reform, falls sie doch durchgeht?

Augurzky: Auch das haben wir durchgerechnet. Die gestiegenen Tariflöhne in der Pflege und in anderen Berufsgruppen würden refinanziert werden, es kämen also Hunderte Millionen bis zu Milliarden für die Kliniken rein. Es gäbe Zuschläge für Kinderheilkunde, für Schlaganfalleinheiten und andere Bereiche. Einer der größten Faktoren in dieser Simulation ist die Schwerpunktbildung bei komplexen Eingriffen. Wenn in einer Region bisher drei Krankenhäuser Hüfte und Knie operiert haben, machen das künftig vielleicht nur zwei. Ein weiterer Faktor ist das Zusammenlegen von Standorten, zwei oder drei Standorte werden dann beispielsweise zu einem zusammengezogen – all das sind wirtschaftlich positive Effekte. Die Lage der Krankenhäuser würde sich verbessern. Das kann aber nicht sofort wirken, sondern erst gegen Ende des Jahrzehnts und bis in die 2030er Jahre.

taz: Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) spricht von Spezialisierung, Entökonomisierung und Entbürokratisierung. Sehen Sie das auch so?

Augurzky: Tatsächlich: Wenn es so kommt, wird die Spezialisierung und auch die Zentralisierung im Krankenhausbereich beschleunigt. Aber den Begriff Entökonomisierung würde ich nicht wählen, von der Ökonomie kommt man ja nicht weg, wenn die Ressourcen knapp sind. Ich denke, die Idee, die Herr Lauterbach transportieren will, ist, dass ein Krankenhaus zukünftig nicht mehr das Ziel haben soll, möglichst viele Fälle behandeln zu müssen, um Erlöse zu erwirtschaften. Es wird pro Leistungsangebot eine gewisse Basisfinanzierung geben – die Vorhaltepauschalen. Die Fallpauschale ist dann immer noch da, aber nur noch halb so wichtig. Natürlich ist da viel Streiterei im Detail, da werden die Bundesländer nach wie vor nicht immer zufrieden sein.

taz: Einige Länder und auch die Deutsche Krankenhausgesellschaft kritisieren die Reform als Blindflug. Wie „blind“ sind wir?

Augurzky: Es ist in der Tat etwas ziemlich Neues, was da kommt. Damit ist man erst mal „blind“, man kennt es noch nicht. Es gibt eine neue Finanzierungssystematik und es ist im Detail nicht vorhersehbar, wie sich die Reform auf einzelne Krankenhäuser und Regionen auswirken wird. Bei einer so grundsätzlichen Reform kann man nicht sagen: „Ich ziehe den Hebel in eine Richtung, und dann weiß ich ganz genau, was passiert.“ Die Krankenhäuser müssen sich erst mal anpassen, die Landkreise, die Bundesländer. Und da werden wir schon vier, fünf Jahre neue Erfahrungen sammeln.

taz: Es besteht jedoch die Sorge, dass viele Kliniken insolvent gehen und die Effekte der Reform so oder so gar nicht mehr erleben würden.

Augurzky: Das stimmt, die Sorge gibt es. Wir beobachten zurzeit Insolvenzen und die wird es weiterhin geben, vielleicht auch mehr. Doch Insolvenz heißt nicht gleich Schließung, sondern Insolvenz ist erst mal der Versuch, das Krankenhaus zu retten. Wie bei anderen Wirtschaftsunternehmen erlaubt mir die Insolvenz viele Veränderungen, die ich im Normalbetrieb nicht so einfach oder schnell machen kann. Von den rund 50 Insolvenzen in den vergangenen eineinhalb Jahren sind deswegen – bislang – nur wenige in eine Schließung gemündet.

taz: Die Opposition hat vorgeschlagen, den Kliniken bei den Betriebskosten kurzfristig unter die Arme zu greifen. Würde das nicht den ökonomischen Druck erleichtern?

Augurzky: Ich halte wenig von der großen Gießkanne. Also davon, ­mehrere Milliarden in das Kranken­haussystem zu schütten, wie die Union es vorschlägt, zumal die Krankenkassen auch große Defizite aufweisen. Ich berate viele kommunale Krankenhäuser: Ich kenne sie, ich schätze sie, aber ich weiß auch, wie sie ticken. Die ­Eigentümer, also die Landkreise oder Städte, werden nichts verändern, wenn es keinen finanziellen Druck gibt. Die Kommunalpolitik sagt dann lieber: „Nee, dann lassen wir es noch, ich möchte keine Bürgerproteste, keine Demos, weil ich ein Krankenhaus schließen, verlagern, umwandeln muss.“ Das passiert erst, wenn die Defizite in die 20, 30, 40 Millionen Euro pro Jahr gehen. Deshalb kann ich nicht sagen, füllt die Lücken komplett auf und dann ist alles gut. Denn dann wird genau die Strukturveränderung nicht passieren, die das Gesetz erreichen will. Besser wäre eine Art Rettungsfonds für die nächsten paar Jahre, damit Krankenhäuser, die für die Versorgungssicherheit nötig sind, gezielt stabilisiert werden können. Es muss um Hilfe zur Selbsthilfe gehen. Und da ist nicht nur der Bund, sondern es sind auch die Bundesländer gefordert, mehr Investitionsmittel zur Verfügung zu stellen.

taz: Stichwort Versorgungssicherheit. Gehen Sie davon aus, dass die Wege für die Bevölkerung auf dem Land zukünftig weiter werden?

Augurzky: Durch Zentralisierung können die Entfernungen länger werden. Aber sie sind gedeckelt, es ist eine maximale Entfernung vorgegeben. Wenn ich also heute 20 Minuten zum Krankenhaus brauche, und künftig 30, dann ist das okay. Heute 20 Minuten und künftig 50 Minuten wäre dagegen zu weit.

taz: Viele Krankenhäuser auf dem Land wird es also nicht mehr geben.

Augurzky: Am meisten kann ich in den Ballungsgebieten zentra­lisieren. Anstatt eine bestimmte Leistung zehnmal anzubieten, wird sie künftig vielleicht nur fünfmal angeboten. Im Ländlichen kann ich das natürlich nicht so machen. Und bisherige Krankenhausstandorte, die für die ­Rund-um-die-Uhr-Sicherstellung nicht erforderlich sind, können als sektorenübergreifende Versorgungszentren betrieben werden. Dort habe ich dann eine ambulante und stationäre Basisversorgung. Das ist für viele Regionen, die von Zentralisierung betroffen sind, eine gute Alternative. Zudem entsteht in solchen Regionen im neuen Zentrum meist eine größere Klinik mit einer höheren Notfallstufe, was die Notfallversorgung sogar verbessert.

taz: Die Krankenhausreform soll vor allem über die Beiträge der gesetzlich Versicherten finanziert werden. Nächstes Jahr sollen die Kassenbeiträge schon um 0,8 Prozentpunkte steigen.

Augurzky: Die Höhe der Beitragssatzerhöhung hat auch mich überrascht, muss ich gestehen. Wir hatten ja schon in diesem Jahr eine Erhöhung bei den Krankenkassen. Und wir stehen erst am Anfang eines beschleunigten demografischen Wandels. Das heißt, die nächsten 10 Jahre kriegen wir ohne massive Strukturveränderungen nicht hin, das ist mit der Krankenhausreform noch nicht getan, da geht es um viel mehr. Ich muss ran an die unglaublich vielen Arztkontakte und Krankenhausfälle. Unterstützende Patientensteuerung ist da ein Schlagwort, in anderen Ländern gibt es weit weniger Arztkontakte und Krankenhausfälle. Und dies bei oft höherer Lebenserwartung als in Deutschland.

taz: Was wird das Erste sein, was die Bevölkerung in ihrem Alltag von der Krankenhausreform spüren wird?

Augurzky: Falls sie im Januar startet, spürt man zunächst einmal noch nichts im Alltag. Da müssen nächstes Jahr über Rechtsverordnungen noch Details definiert werden. So richtig spüren die Menschen dann erst etwas gegen 2027. Baustellen zum Beispiel. Wenn Krankenhäuer wirklich anfangen neu- und umzubauen, wenn Standorte zusammengelegt werden, dann ändert sich auch rein optisch etwas vor Ort.

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