Gesunde Ernährung: Eine Frage des Geldes
Gutes Essen hängt vom Geldbeutel ab, ärmere Menschen leiden darunter. Teile der SPD haben das Problem erkannt. Doch es ändert sich wenig.
Ihre Argumentation: Dem UN-Sozialpakt zufolge müsse Deutschland seinen Bürgern garantieren, dass ihr Budget für den Lebensmitteleinkauf nicht nur zum Sattwerden reicht, sondern auch für nährstoffreiche Produkte, viel Obst und Gemüse. Das Bürgergeld leiste das nicht und verstoße somit gegen das Menschenrecht auf angemessene Nahrung. Aber offenbar ist das kein Thema für den Bundessozialminister.
„Das BMAS lehnt diese Argumentation und die Schlussfolgerungen ab“, teilt eine Sprecherin Heils auf taz-Anfrage mit. Das Bürgergeld werde als Gesamtpauschale ausgezahlt, daher sei es bereits „unzulässig“ herauszurechnen, wie viel für den Essenseinkauf zur Verfügung steht. Wie die Menschen das Geld aufteilten, sei ihre Sache. Wenn kein Betrag für Lebensmittel definiert ist, kann auch niemand sagen, ob er reicht oder nicht.
Vor einem Jahr war es nicht der Sozialminister, sondern der grüne Bundesernährungsminister Cem Özdemir, der als erstes Mitglied einer Bundesregierung Ernährungsarmut als Problem anerkannte. Ob Heil, der auch Vizechef der Bundes-SPD ist, das teilt? Seine Sprecherin geht auf diese Frage nicht ein. Bereits 2020 hatte der Wissenschaftliche Beirat des damals noch CDU-geführten Ernährungsministeriums bemängelt, dass Hartz IV Mangelernährung fördere und damit die gesunde Entwicklung von Kindern irreversibel gefährde.
Höhere Sozialleistungen, zugleich gestiegene Preise
Seitdem stiegen zwar die Sozialleistungen, die Lebensmittelpreise aber noch stärker. In ihrer Antwort auf die Anfrage eines Grünen-Abgeordneten dazu antwortete 2021 Heils Parlamentarische Staatssekretärin Kerstin Griese (SPD): Man erhebe gar nicht, wie viel eine gesundheitsfördernde Ernährung kostet – also könne man eine gesundheitsfördernde Ernährung als Ziel beim Regelsatz auch nicht berücksichtigen.
Diese kühle Haltung hat Tradition: Ernährungsarmut ist ein blinder Fleck der SPD, spätestens, wenn es ums Geld geht. Selbst Franz Müntefering, in seiner SPD-Karriere unter anderem Partei- und Fraktionschef, verstörte 2006 in einer Sitzung mit einem Zitat des Sozialdemokraten August Bebel: „Nur wer arbeitet, soll auch essen.“ Damals war Müntefering Bundessozialminister.
Unter Heils Führung lässt das Ministerium die Kritik an sich abperlen, meist mit dem Hinweis, dass man aus den Sozialleistungen eben nicht herausrechnen könne, wie viel Geld für Lebensmittel gedacht ist. Dem widersprechen die Gutachter der Linken vehement. Denn initial wurde durchaus ein Betrag für Essen in den Regelsatz eingerechnet, ermittelt auf Grundlage der realen Ausgaben einkommensschwacher Haushalte von 2018.
Seitdem wurden Hartz IV und Bürgergeld mehrfach erhöht, ohne die Lebensmittelausgaben statistisch neu zu erheben. Schriebe man den ursprünglichen Betrag aber im Verhältnis der Gesamterhöhungen fort, hätten einem Erwachsenen im Jahr 2023 etwa 5,73 Euro am Tag für Essen und Getränke zur Verfügung gestanden, seit Januar 2024 sind es rund 6,42 Euro – zu wenig für eine gesunde Ernährung.
Die Juristen halten bereits die Methodik für menschenrechtswidrig: Sie orientiert sich an den tatsächlichen Konsumausgaben einkommensschwacher Schichten, schert sich aber nicht darum, wie viel Geld überhaupt für ein gesundes Leben benötigt wird. Würden Bürgergeld-Beziehende mehr als 5,73 Euro am Tag für Essen ausgeben, fehle es in anderen grundrechtsrelevanten Bereichen, argumentieren sie.
Ministerium: Kostenermittlung „nicht umsetzbar“
Aber es ist keineswegs so, dass die SPD das Thema ignoriert. Ende 2020, noch zu Zeiten der Großen Koalition, beschloss die Bundestagsfraktion ein Positionspapier „Ernährungsarmut in Deutschland bekämpfen“. Es enthält fast jede denkbare Forderung, von der Zuckerreduktion bis zum gesunden Schulessen. Einen Gedanken aber lässt es aus: dass es dem ärmeren Teil der Gesellschaft an Geld fehlen könnte, um sich gesundes Essen überhaupt leisten zu können.
Um den echten Bedarf bei den Sozialleistungen zu berücksichtigen, müssten Experten einen „Warenkorb“ auf Basis eines „Ernährungsplans“ erstellen und dessen Kosten ermitteln, erklärt die Sprecherin Heils. Weil dies eine „Vielzahl an normativen Setzungen“ erfordere, ist es aus Sicht des Ministeriums „nicht umsetzbar“. Die Logik dahinter: Wenn der Regelsatz nur eine „statistische Größe“ sei, die „in keinerlei Zusammenhang zu einzelnen Gütern und Dienstleistungen“ stehe, muss man sich auch nicht damit befassen, zu welcher Art von Ernährung das Geld am Ende reicht.
Für die geplante Ernährungsstrategie der Ampelkoalition hat Cem Özdemir versprochen, soziale Aspekte zu einem Kernthema zu machen. Aber offenbar wird er viel mehr als einen Appell für eine bessere datenmäßige Erfassung der Ernährungsarmut nicht durchbekommen. Was an der FDP liegt, die schon nach dem Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts als Erstes beim Bürgergeld gespart hätte. Aber es liegt auch an der SPD, bei der bisher niemand das Thema Ernährungsarmut mit der Geldfrage zusammenbringt.
Vielleicht ändert sich das ja langsam. Ob Sozialleistungen für eine gesunde Ernährung reichen müssten? „Ja, natürlich sehe ich das so“, sagt die SPD-Abgeordnete Peggy Schierenbeck. Der Ernährungspolitikern ist das Thema ein Anliegen: „Es ist eine Frage der sozialen Gerechtigkeit, dass sich alle Kinder gesund ernähren können“, sagte sie der taz. Es gehe allerdings nicht nur um finanzielle Möglichkeiten, sondern auch darum, dass die Menschen eine gesunde Ernährung tatsächlich umsetzten. Beim politischen Rahmen dafür sei man heute so weit wie nie, ist Schierenbeck überzeugt: Die Koalition bereite eine Werberegulierung für Ungesundes und Projektförderungen für gesundes Schulessen vor.
Linken-Gutachten soll Anstöße geben
Und das Geld? „Natürlich müssen wir auch übers Geld reden.“ Dazu sein es nötig, auf die Sozialpolitiker der Fraktion zuzugehen. „Das werde ich tun“, kündigt Schierenbeck an. Einer, bei dem sie offene Türen einrennen würde, ist der SPD-Abgeordnete Takis Mehmet Ali. „Ich habe nicht das Gefühl, dass das Thema bisher vordergründig stark diskutiert wird“, sagt er. Er sitzt seit zwei Jahren im Bundestag, gleich zu Beginn der Wahlperiode hatte er sich für eine andere Methode zur Berechnung der Regelsätze starkgemacht. „Das war aber nicht mehrheitsfähig“, sagt Mehmet Ali. Am liebsten wäre es ihm, die Sozialpolitik würde sich grundsätzlich an Nachhaltigkeitskriterien ausrichten.
Liegt es an den Kosten und an den schwierigen Debatten über vergangene Erhöhungen, dass materielle Ernährungsarmut umschifft wird? Schon möglich, vermutet der Lörracher Abgeordnete. „Aber irgendwann müssen wir das diskutieren.“ Er hofft, das Thema könnte über den Petitionsausschuss in den parlamentarischen Prozess einfließen. Womöglich gibt auch das Gutachten der Linken einen Anstoß. Mehmet Ali bewertet es anders als Heil: „Ich finde das Gutachten gut.“
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