Gestört durch Radiowellen: Wenn Vögel nicht nach Hause finden
Zugvögel sehen vermutlich das Magnetfeld der Erde, um sich zu orientieren. Radiowellen können diesen Sinn stören.
Wir Menschen sehen, dass die Wiese vor uns grün ist, der Himmel blau, wie weit der Baum von uns entfernt steht. Manche Tierarten, zum Beispiel Zugvögel, sehen wahrscheinlich zusätzlich das Magnetfeld der Erde. Das nutzen sie zur Orientierung auf ihren langen Reisen.
Was wie eine Superkraft klingt, lässt sich jedoch leicht stören. Forscher*innen an den Universitäten Oldenburg und Oxford haben nachgewiesen, dass einfache Radiowellen den sechsten Sinn verschiedener Tiere durcheinanderbringen und sie orientierungslos machen können.
Michael Winklhofer ist Geophysiker und hat die Versuche mitkonzipiert, deren Ergebnisse kürzlich in einer Studie veröffentlicht wurden. Um zu zeigen, dass Radiowellen den Orientierungssinn der Tiere stören, müssen mehrere Annahmen bewiesen werden. Zunächst muss nachgewiesen werden, dass ihr Orientierungssinn tatsächlich vom Magnetfeld der Erde abhängt. Danach mussten die Forscher*innen zeigen, dass der Magnetsinn gestört werden kann. Schließlich galt zu klären, welche Frequenz Zugvögel orientierungslos macht.
Insgesamt haben die Versuche dazu drei Jahre gedauert, sagt Winklhofer, beginnend 2020. An der Universität Oldenburg gibt es von elektromagnetischen Schwingungen abgeschirmte Räume. In ihnen wurden winzig kleine Zugvögel, Mönchsgrasmücken, gesetzt. Sie wiegen gerade einmal 17 Gramm. In den Frühlings- und Sommermonaten brüten sie in Großbritannien und Irland und überwintern in wärmeren Regionen in Südeuropa und Nordafrika.
Versuche im Käfig
In Holzhütten der Carl von Ossietzky Universität in Oldenburg befinden sich Käfige aus Aluminium. Um die Rahmen ist Kupferdraht gewickelt. Das sorgt für ein gleichmäßiges Magnetfeld innerhalb des Käfigs. Zunächst orientieren sich die Vögel nach Norden. Mithilfe von Spulen innerhalb des Käfigs wird das Magnetfeld in eine andere Richtung gedreht. „Die Vögel orientieren sich daran“, sagt Wiklhofer. Das bedeutet, dass sie in eine bestimmte Richtung hüpfen, zum Beispiel Osten, wenn die Forscher*innen das Magnetfeld dorthin lenken.
Im zweiten Schritt schalteten die Forscher*innen verschiedene elektromagnetische Wellen ein. Wellen unter 116 Megahertz machen die Vögel orientierungslos, sie wissen nicht, wohin, und verteilen sich ziellos im Käfig. Werden die Signale abgeschaltet, richten sie sich aber sofort wieder richtig aus und zeigen keine Anzeichen von Schwindel, sagt Winklhofer.
In den für Vögel irritierenden Bereich unter 116 Megahertz schwingen Radiowellen. Radios funktionieren in etwa so, dass sie auf der gleichen Höhe Signale hin- und herschicken. Nur in dieser Höhe können sie die Signale aufnehmen, verarbeiten, das Geplänkel einer Morgenshow in Küchen spülen. Mobilfunkwellen dagegen liegen bei 700 bis 2600 Megahertz, also deutlich über dem für die Vögel irritierenden Bereich.
Radiowellen sind trotzdem überall. In Zukunft müsse bei der Auswahl von Naturschutzgebieten für Zugvögel darauf geachtet werden, dass sich in der Nähe keine Masten befänden, die Radiowellen aussenden, sagt Michael Winklhofer.
Andernfalls können sich die Vögel verirren. Drosseln passiert das besonders oft. Gelbbrauenlaubsänger gehören zur Familie der Drosseln, verbringen die Sommermonate eigentlich in der sibirischen Taiga, um dann in Südostasien und Indonesien zu überwintern.
Zwischen 1836 und 1991 entdeckten Ornithologen über tausendmal, dass sich einzelne Drosseln nach Deutschland verirrt hatten. Das geht aus dem „Handbuch der Vögel Mitteleuropas“ hervor. Verirrungsgefahr besteht vor allem bei Zugvögeln, die nachts und alleine unterwegs sind. Gänse betrifft die Störung nicht so sehr, weil sie in Gruppen fliegen.
Viele Tiere, nicht nur Zugvögel, sind auf ihren Magnetsinn angewiesen. Auch Fledermäuse, Salamander und Frösche scheinen sich an dem für uns unsichtbaren Magnetfeld der Erde zu orientieren. Fruchtfliegen dagegen nicht, hat das gleiche Team der Universität Oldenburg gerade festgestellt.
Dass die Tiere das Magnetfeld der Erde sehen können, hat biologische Ursachen. Tiere, also auch Menschen, können die Welt durch ihre Sinne wahrnehmen. Dass wir die Umwelt sehen, riechen, fühlen können, liegt an Rezeptoren in unseren Zellen. Hören können wir wegen der Haarzellen im Innenohr. Sehen hängt gleich von zwei Rezeptoren ab, den Stäbchen und den Zapfen in der Netzhaut. Meissner-Tastkörperchen in unserer Haut sorgen dafür, dass wir den Unterschied zwischen einem Kissen und einer Steinplatte erfühlen.
Keine Aluhüte nötig
Der magnetsensitive Rezeptor, von dem Forscher*innen vermuten, dass er Magnetsignale an das Gehirn weiterleiten kann, heißt Cryptochrom 4 – klingt wieder nach Superhelden. Er wurde erst in den 1990er-Jahren entdeckt. Dass genau diese Rezeptoren die Ursache sind, ist noch nicht abschließend bewiesen, aber es ist aktuell die konkreteste Spur.
Bisher gab es verschiedene Hypothesen zu der Frage, welcher Mechanismus für den Magnetsinn sorgt. Zum Beispiel wurde vermutet, dass Vögel sich durch Magnetpartikel in ihren Schnäbeln orientieren.
Menschen haben kein Cryptochrom 4 in ihren Netzhäuten, also auch keinen Magnetsinn. Andere Cryptochrome bei Menschen sind aber vermutlich dafür zuständig, dass wir eine innere Uhr haben. Die in esoterischen Kreisen verbreitete Annahme, derart niederintensive Radio- oder Mobilfunkwellen könnten auch Menschen beeinflussen, sei vermutlich falsch, sagt Winklhofer.
In den Experimenten wurden beispielsweise Radiowellen genutzt, die tausendmal schwächer sind als die Grenzwerte für Menschen. Gestört wurde dabei aber ausschließlich der Magnetsinn von Vögeln. Statt Aluhüten für Menschen braucht es also eher Naturschutzgebiete für Vögel.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen