Gesperrter hessischer Bericht: Neuer Streit um NSU-Akte
Hessen ließ eine NSU-Akte zunächst für 120 Jahre sperren. Nun fordert Innenministerin Faeser die Offenlegung – aber Schwarz-Grün weigert sich.

Die Sozialdemokratin plädierte schon zu ihrer Zeit als hessische Innenpolitikerin für die Offenlegung der Akte. Jetzt als Innenministerin unterstrich Faeser jüngst bei der Vorstellung ihres Aktionsplans Rechtsextremismus: „Ich bin nach wie vor der Meinung, dass man diesen Bericht veröffentlichen kann und Zugang ermöglichen sollte.“ In diesem Punkt sei „Transparenz und Offenheit sehr wichtig“. Und Faeser verwies auf den Koalitionsvertrag der Ampel, in dem eine „energische“ Aufarbeitung des NSU-Terrors festgeschrieben ist. „Dazu stehe ich auch.“
Hessen weigert sich weiterhin
Es war eine klare Ansage – die man so von ihrem Vorgänger Horst Seehofer nicht hörte. Schwarz-Grün in Hessen reagiert indes reserviert. „Eine Veröffentlichung ist nach wie vor rechtlich nicht möglich“, erklärte ein Sprecher von Innenminister Peter Beuth (CDU) auf taz-Nachfrage. Er verwies, ebenso wie Grünen-Fraktionschef Mathias Wagner, nur auf den zuletzt gemachten Vorschlag, einen Sonderermittler einzusetzen, der die Akte auswertet. Damit, so Wagner, wolle man das berechtigte Interesse der Öffentlichkeit und die rechtlichen Regeln „in Einklang“ bringen.
Tatsächlich hat Faeser kein Durchgriffsrecht. Mit ihrer Positionierung isoliert sich Schwarz-Grün in Hessen aber immer mehr. Die dortige Opposition lobt Faesers Vorstoß. „Wir unterstützen die Aussage der Bundesinnenministerin voll und ganz“, sagte Linken-Innenexperte Hermann Schaus der taz. „Die Freigabe entspricht dem, was wir und einige zivilrechtliche Organisationen schon immer gefordert haben.“
Sanfter Druck von den Bundes-Grünen
Und auch von den Bundes-Grünen kommt sanfter Druck auf die hessischen Parteikolleg:innen. Um Defizite im Kampf gegen den Rechtsextremismus abstellen zu können, müsse man „zwingend auch aus den Fehlern der Vergangenheit lernen“, betont Konstantin von Notz, Grünen-Fraktionsvize im Bundestag. „Daher ist es gut, dass die Innenministerin auch die Aufarbeitung zurückliegender Taten noch einmal anspricht. Viele Fragen im NSU-Komplex sind bis heute unbeantwortet.“ Von Notz' Appell: „Entscheidend ist, dass wir es gemeinsam angehen.“
In Hessen bleibt Schwarz-Grün aber bei seinem Sonderermittler. Der frühere Justizstaatssekretär Rudolf Kriszeleit (FDP) soll die NSU-Akte noch einmal sichten und die Öffentlichkeit darüber „in geeigneter Form“ unterrichten. Der Linke Schaus nennt das eine „Placebo-Pille“, um die Öffentlichkeit zu beruhigen. Und auch Faesers hessischer SPD-Kollege Günter Rudolph spricht von einem „durchschaubaren Spiel auf Zeit“, um sich „so lange wie möglich vor einer Entscheidung über die Offenlegung der NSU-Berichte zu drücken“.
Die Akte prüfte NSU-Bezüge nach Hessen
Die taz hatte die NSU-Akte, die aus zwei Berichten des Landesamtes für Verfassungsschutz zu hessischen Bezügen zum Terrortrio besteht, bereits einsehen können. Darin heißt es, Hinweise auf solche NSU-Bezüge gebe es nicht. Da aber 541 Aktenstücke fehlten, gebe es darüber „keine abschließende Sicherheit“.
Die NSU-Aufarbeitung muss nun der Bund forcieren. In Faesers Aktionsplan steht dazu nichts, aber im Koalitionsvertrag ist neben dem Aufklärungsversprechen auch ein Archiv zu Rechtsterrorismus und ein Dokumentationszentrum für die NSU-Opfer vereinbart. Faeser hatte zuletzt Betroffenen von rechtem Terror versprochen: der Staat schulde ihnen „eine transparente und lückenlose Aufarbeitung“.
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