Gericht zu Richterinnen mit Kopftuch: Eine Muslima kann neutral sein
Eine Muslima mit Kopftuch will Richterin werden, darf es aber nicht, weil das Verwaltungsgericht einen Neutralitätskonflikt fürchtet. Das ist absurd.
M usliminnen mit Kopftuch werden in Deutschland nach wie vor diskriminiert. Jetzt trifft es eine Rechtsanwältin, die einen Wechsel in die Justiz angestrebt hatte. Das Verwaltungsgericht Darmstadt entschied aber, dass eine Muslima nicht Richterin werden kann, wenn sie ihr Kopftuch während des Kontakts mit Verfahrensbeteiligten nicht ablegt. Das zeigt erneut die tiefe Kluft zwischen deutschem Anspruch auf Religionsfreiheit und Realität.
Als Muslima mit Kopftuch bin ich es gewohnt, dass mein äußeres Erscheinungsbild oft als problematisch betrachtet wird – insbesondere bei beruflichen Chancen. Was hier auf dem Spiel steht, ist nicht nur die persönliche Freiheit einer Frau, sondern das grundlegende Verständnis zu Neutralität in unserem Land. Hier wird „Neutralität“ immer noch mit der Abwesenheit von Glaubenszeichen verwechselt, als ob Glaube und Rechtsstaatlichkeit sich ausschließen würden. Doch das Gegenteil ist der Fall: Eine Richterin bleibt unparteiisch, indem sie nach den Gesetzen des Staates urteilt, nicht, indem sie ihre Identität und ihren Glauben verbirgt. Der Eid, den Richterinnen und Richter nach §38 des Gerichtsverfassungsgesetzes ablegen, verpflichtet sie, nach Gesetz und ohne Ansehen der Person zu urteilen.
Die Vorstellung, dass eine Frau mit Kopftuch nicht gerecht urteilen kann, ist so absurd wie ein verheerendes Signal für alle, die in diesem Land nach Gleichberechtigung streben. Andere Länder sind längst weiter: In Großbritannien wurde Raffia Arshad als erste muslimische Richterin mit Hijab sogar ausdrücklich als Zeichen für Diversität begrüßt. In den USA sitzt Nadia Kahf in New Jersey am Superior Court, ebenfalls mit Kopftuch. Dort gilt religiöse Sichtbarkeit nicht als Risiko, sondern als Bestandteil einer pluralen Gesellschaft.
Die taz ist eine unabhängige, linke und meinungsstarke Tageszeitung. In unseren Kommentaren, Essays und Debattentexten streiten wir seit der Gründung der taz im Jahr 1979. Oft können und wollen wir uns nicht auf eine Meinung einigen. Deshalb finden sich hier teils komplett gegenläufige Positionen – allesamt Teil des sehr breiten, linken Meinungsspektrums.
Die Fähigkeit zur gerechten Rechtsprechung sollte nicht am äußeren Erscheinungsbild gemessen werden. Es ist an der Zeit, dass Deutschland sich von der Vorstellung löst, religiöse Symbole seien eine Bedrohung für die Neutralität des Staates. Vielmehr müssen wir lernen, die Vielfalt in den Institutionen als Stärke zu begreifen.
Gemeinsam für freie Presse
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Alle Artikel stellen wir frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade in diesen Zeiten müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass kritischer, unabhängiger Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert