„Geo“-Heft zum Thema Sex: Hallo, achtziger Jahre
In der aktuellen Ausgabe der „Geo kompakt“ wird nach den Wurzeln der Homosexualität gesucht. Was für reaktionärer Dünnsinn.
Wenn Medienkrise ist, kommt man gern zurück auf das alte Gesetz: Sex sells! So auch die Geo-Prachtabteilung. Nummer 43 der Reihe „kompakt“ ist eben dieser Gesamt-Schnacksel-Thematik gewidmet – und als Leseprobe steht im Netz bereits eine Geschichte gratis zur Verfügung. Als Lusthappen, um den Kauf für 9 Euro (leicht günstiger als ein Pornoheft) zu befördern, Überschrift: „Wurzeln der Homosexualität“.
Eine erstaunliche Story. Denn letztmals, als ein Presseerzeugnis aus einem Haus mit fortschrittlichem Anspruch auf Spurensuche zu den Gründen des Schwulen oder Lesbischen erschien, schrieb man die frühen achtziger Jahre.
Nun hätte man doch anderes erwartet. Durchaus anknüpfend an die Befunde der Schule Sigmund Freuds hätte man ja fragen können: Was sind die Wurzeln des Heterosexuellen? Ist sie natürlich? Lebt ihre Dominanz von purer Konventionalität? Oder spielt nicht auch eine Rolle, dass sexuelles Begehren des anderen Geschlechts gefördert wird? Etwa auch durch Strafverfolgung? In den meisten Ländern verhält es sich so – und ließe sich nicht dazu arbeiten, woher dieser psychologisch problematische Wahn kommt, dass Heterosexualität für das Normale gehalten wird?
Falls nun der Einwand kommt, dass man als Magazin aus der Geo-Gruppe nicht Avantgarde sein könne: Wäre bei diesem nicht Henri Nannen vor Wut an die Decke gestiegen? Außerdem: Hat die Fragwürdigkeit der Heteronormativität nicht schon vor 100 Jahren Sigmund Freud, nun ja, befremdet?
Das „Sex“-Heft von Geo ist auf dem Niveau von sogenannten Naturwissenschaftlern erarbeitet – kaum Spuren von echtem zeitgenössischen Wissen finden sich. Die Konkret-Sexualität-Hefte der frühen Achtziger waren da weiter. So jedenfalls wird das nix mit dem Kampf gegen die eigene Auflagenkrise: Dünnsinn der reaktionärsten Sorte.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Berlinale-Rückblick
Verleugnung der Gegenwart
Donald Trump zu Ukraine
Trump bezeichnet Selenskyj als Diktator
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?