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Gentrifizierung in BerlinHeilige Profite, lästige Mie­te­r

In der Jagowstraße 35 versucht ein Immobilienentwickler mit allen Mitteln einen Altbau aufzuwerten. Sehr zum Leidwesen der Bewohner:innen.

Solange die alten Mie­te­r:in­nen noch in dem Haus wohnen, lässt der Eigentümer das Haus in der Jagowstraße 35 verwahrlosen Foto: Piotr Pietrus

Berlin taz | „Iso-Doppelverglasung: Wissen Sie, von wann die sind?“ Björn Jotzo, Anwalt der Eigentümerin der Jagowstraße 35, steht in der Küche der Mieterin Katharina S.* und notiert penibel alle Details der Wohnung. S. zuckt mit den Schultern, ihr ist die Situation sichtlich unangenehm. Denn die Eigentümerin will den Altbau in der Moabiter Jagowstraße luxussanieren, das Vorderhaus soll sogar abgerissen und neu gebaut werden. Doch dazu müssen alle Mie­te­r:in­nen ausziehen.

Jotzo soll nun feststellen, in welchem Zustand die Wohnungen sind. Abhängig vom Befund fällt die Mieterhöhung dann aus. „Je schlechter der Zustand, umso höhere Abzüge müssen wir machen“, sagt Jotzo. Um dem Anwalt auf die Finger zu schauen und die Be­woh­ne­r:in­nen zu unterstützen, begleiten Mit­glie­der:in­nen vom Mieterverein und die grüne Mietenpolitikerin Katrin Schmidberger die Besichtigung am Samstagvormittag.

„Die Miete wird exorbitant höher sein, wenn die Mie­te­r:in­nen wieder zurückkehren“, sagt Schmidberger der taz. Ebenso drohe den Be­woh­ne­r:in­nen dann eine Eigenbedarfskündigung. Bereits 2021 wurde das Haus in Eigentumswohnungen aufgeteilt und der Weiterverkauf genehmigt. Wenn die neuen Ei­gen­tü­me­r:in­nen dann die Wohnung selbst nutzen wollen, können sie die Mietverträge mit wenig rechtlichem Aufwand kündigen. „Es ist dringend benötigter, günstiger Wohnraum, der hier verloren geht“, sagt Schmidberger. Viele Menschen, die hier leben, arbeiteten in systemrelevanten Berufen und seien auf den günstigen Wohnraum in der Lage angewiesen.

An der Jagowstraße 35 zeigt sich der gesamte Wahnsinn des Berliner Wohnungsmarkts: Spekulation, Entmietung, Vernichtung günstigen Wohnraums durch Luxusmodernisierungen und klimaschädlicher Abriss und Neubau. Rechtliche Handhabe dagegen gibt es kaum. Erstaunlich dabei ist, dass es sich bei den Ei­gen­tü­me­r:in­nen nicht um börsennotierte Großkonzerne wie Vonovia und Deutsche Wohnen handelt, sondern um gutverdienende Privatpersonen aus der Unterhaltungsbranche.

Langsame Verdrängung

Das Haus, 1910 errichtet, ist ein typischer Berliner Altbau: Vorderhaus, Seitenflügel, Hinterhaus, dazwischen ein kleiner Innenhof, den eine über 100 Jahre alte Kastanie mit ihrem Blätterdach fast komplett einnimmt. Das Haus ist nicht im besten Zustand, aber auch keine Schrottimmobilie. Es gibt eine Zentralheizung und viele Mie­te­r:in­nen haben über die Jahre viel Zeit und Geld investiert, um ihre Wohnungen auf Vordermann zu bringen.

„Die Mieten hier sind unschlagbar“, sagt Mieter Armin Dadgar. Weniger als 5 Euro zahle er pro Quadratmeter. Seit 21 Jahren wohnt er hier mit Frau und Kind. Neben den günstigen Mieten schätzt er auch die Lage in Moabit, in direkter Nähe zum Hauptbahnhof, da er täglich pendeln muss. 30 Monate sollen Dadgar und die anderen verbliebenen Mie­te­r:in­nen in Ersatzwohnungen ziehen.

Der Besuch des Anwalts ist für sie nur ein weiterer Schritt im langwierigen Prozess ihrer Verdrängung. Dieser begann schon 2017, als der alte Eigentümer verstarb. Die Tochter erbte das Haus, wollte aber mit der Immobilie nichts zu tun haben und verkaufte es. Nach zwei Eigentümerwechseln landete es bei der Jagowstraße 35 GmbH. Schnell war klar, dass die neue Eigentümerin die Immobilie „entwickeln“ wolle, wie es im Immobiliendeutsch heißt.

Das nur zwei Etagen hohe Vorderhaus soll komplett abgerissen und durch einen Neubau ersetzt werden. Dabei ist das Vorderhaus nicht baufällig, anstatt eines Abrisses wäre eine Aufstockung problemlos möglich. Die Mie­te­r:in­nen haben dazu selbst ein Gutachten in Auftrag gegeben. „Es ist eine Entscheidung des Eigentümers“, kommentiert Jotzo die Frage nach der Notwendigkeit des Abrisses. Die Kastanie im Innenhof soll einer Tiefgarage weichen. Die Wohnungen im Hinterhaus und Seitenflügel sollen komplett entkernt und luxussaniert werden, mitsamt Balkonen. Bestandsmie­te­r:in­nen sind bei solchen Aufwertungsplänen oft nur ein störendes Element.

Abrissgenehmigung bereits erteilt

Nach dem Verkauf vernachlässigten die neuen Ei­gen­tü­me­r:in­nen das Haus vollends, berichtet Dadgar. Im Winter sei die Heizung wochenlang nicht repariert worden, leerstehende Wohnungen wurden nicht wieder vermietet, sondern entkernt. Neben dem täglichen, frühmorgens startenden Baulärm bedeuteten die Arbeiten monatelange Staubbelastung. Vor Dadgars Wohnungstür hängt noch immer ein Plastikvorhang, mit dem er versuchte, seine Wohnung vor eindringendem Staub zu schützen.

„Das ist ganz klar eine Strategie, um uns das Leben ungemütlich zu machen“, vermutet Armin Dadgar. Wenn sie sowieso ausziehen müssten, gäbe es keinen Grund, die Arbeiten durchzuführen, während noch Menschen im Haus lebten. „Die Situation macht krank“, sagt auch die 57-jährige Katarina S. Den Besichtigungstermin des Anwalts empfindet sie als „demütigend“. Viele Mie­te­r:in­nen seien bereits ausgezogen, weil sie dem Druck nicht standhielten.

Es besteht kaum eine Hoffnung, dass sich das Blatt für die Mie­te­r:in­nen noch zum Guten wendet. Das zuständige Bezirksamt Mitte erteilte im August letzten Jahres eine Abrissgenehmigung für das Vorderhaus, weil es keine rechtliche Handhabe sieht. Der letzten verbliebenen Mietpartei im Vorderhaus droht eine Verwertungskündigung, sollte sie nicht freiwillig ausziehen. Auch den anderen Mie­te­r:in­nen droht Klage, sollten sie die Ersatzwohnungen nicht akzeptieren.

Was bleibt, sind lediglich Appelle: „Die Eigentümer sollten von den Abrissplänen Abstand nehmen“, sagt Katrin Schmidberger. Die beiden Geschäftsführer der Jagowstraße 35 Immobilienverwaltungs GmbH sind bekannte Namen in der Musikbranche und kein börsennotiertes Immobilienunternehmen, das auf Profitmaximierung ausgelegt ist. „Ich glaube nicht, dass es den beiden so schlecht geht, dass sie darauf angewiesen sind.“

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20 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Neubau von Wohnungen und energetische Sanierung kann man natürlich auch ablehnen. Dann sollte die Grünen-Politikerin Schmidt aber auch so ehrlich sein, dass Klimaschutzziele aufgrund ihres Agierens nicht erreicht werden können.

    Und zu denken, dass zweiteres nicht zu höheren Mieten führt, ist einfach nur weltfremd

  • "Spekulation, Entmietung, Vernichtung günstigen Wohnraums durch Luxusmodernisierungen und klimaschädlicher Abriss und Neubau. Rechtliche Handhabe dagegen gibt es kaum." - So sieht Klassenjustiz aus.

  • "Erstaunlich dabei ist, dass es sich bei den Ei­gen­tü­me­r:in­nen nicht um börsennotierte Großkonzerne wie Vonovia und Deutsche Wohnen handelt, sondern um gutverdienende Privatpersonen aus der Unterhaltungsbranche."

    Ist das wirklich so erstaunlich? Ich dachte, es wäre mittlerweile Allgemeinwissen, dass gerade beim Thema "Luxussanierungen" eben nicht die Massenmarktanbieter wie Vonovia die großen Preistreiber sind, sondern eher irgendwelche "mittelständischen Projektentwickler" oder eben Privatpersonen...

  • Zukunft wird auch aus Mut gemacht. Bei den avisierten Eigentumswohnungen gibt es für Mieter Vorkaufsrecht. Wir haben unsere Mietwohnung so recht günstig bekommen. Ein paar Jahre krumm legen und man ist auch mit Normaleinkommen auf der Gewinnerseite. Diese Artikel sind eigentlich imm ein Plädoyer für die Mietwohnung, die nicht rentabel bewirtschaftet werden darf…

    • @Eckhard Hanseat52:

      Vorkaufsrecht zu Marktpreisen: Das können sich die meisten Mieter*innen nicht leisten, egal, wie viele Jahre sie sich dafür "krumm legen".

      Wer ein Normaleinkommen hat – der Medianlohn lag laut Statista 2019 in Berlin bei ca. 3.400 € brutto, seitdem sind die Lebenshaltungskosten stärker gestiegen als die Reallöhne –, wenig Eigenkapital (z.B. durch Erbschaften) und auch noch die seit Anfang 2022 deutlich gestiegenen Kreditzinsen stemmen muss, der dürfte über diesen Kommentar eher den Kopf schütteln.

      Klingt wie aus dem Parteiprogramm der FDP kopiert oder wie aus einer Werbebroschüre eines windigen Immobilienberaters...

      • @Pflasterstrand:

        Danke das dachte ich mir auch gerade

  • War da nicht mal was mit Gebäudeenergiegesetz oder so? Besserer Dämmung, besseren Heizungen? Bei einem Bau von 1910 darf das mal bezweifelt werden, dass hier KfW 40 oder 50 gilt. Verdichtung von Wohnraum in den Städten? Hoffnung darauf, dass überhaupt jemand Wohnungen baut?

    Bei den heutigen Preisen und dem erhöhten Bau- und Genehmigungsaufwand sind die dann halt nicht mehr "günstig", also günstig für das Klima schon, aber eben nicht für den Geldbeutel, der dort bislang wohnenden Mieter.

    Immerhin können sich die dann später in ihrem noch zu findenden "günstigen Wohnraum lebenden Mieter in der Gewissheit sonnen, dass mit der Modernisierung etwas für das Klima getan wurde.

  • Hakt die taz noch bei den Gesellschaftern aus der Musikindustrie nach? Z. B. der Fair Share Initiative e.V.i.G. aus Hamburg.



    Geschäftszweck z. B.: faires Musik-Streaming,



    Deren Eigenbeschreibung lautet:

    "Fairness in der Musikindustrie: Gemeinsam gegen Schwächen und Ungerechtigkeiten" beim Musik-Streaming. Mach mit, gemeinsam gegen Schwächen und Ungerechtigkeiten".

    Bei einer Liste der Unterstützer heißt es Zitat



    "Als Supporter stimme ich den Zielen von Fair Share zu und willige ein, dass mein Name / Firmenname auf der Website genannt wird.



    Eine Selbstverständlichkeit



    Die Initiative verschreibt sich hierbei dem respektvollen Umgang mit allen Partnern:innen, Kollegen:innen und allen Verhandlungspartnern:innen. Besonders sorgsam achten wir darauf, dass niemand aufgrund von Geschlecht, Herkunft, musikalischem Genre, ethnischer Zugehörigkeit, Hautfarbe, Behinderung, Religion oder sexueller Orientierung diskriminiert wird. Fair Share wird Menschen die Teilhabe an der Initiative oder jedwede Mitarbeit ausnahmslos versagen, die sich nicht nach den Regeln unserer Demokratie, dem Grundgesetz, verhalten und / oder Menschenverachtung, Hass, Hetze und Verschwörungstheorien verbreiten".

    Angsichts der verwerteten Immobilie der Initiative in Berlin sind die fairen Werte der Initiative doch ein Hohn? Oder weiß die Initiative gar nicht, was bei ihrer Immobilie vorgeht?



    Warum diese merkwürdige rechtliche Konstruktion als Verein in Gründung als Gesellschafter einer Immobilie? Ist die ganze "faire" Initative ein Fake, das vor allem der Steuerersparnis der Gesellschafter dient?

    Insgesamt zeigt der taz-Artikel, dass Mieter in Berlin der Spekulation vollkommen rechtlos ausgeliefert sind.



    Wer soll SPD und CDU da noch wählen? Es braucht eine von den Bundesländern und vom Bund finanzierte faire Initiative zum Schutz der Mieter gegen Spekulation, die mit eigenen guten Rechtanwälten unterstützt. Die Besitzer der Spekulationsobjekte und Banken müssen öffentlich gemacht werden.

    • @Lindenberg:

      Seit wann ist denn eine energetische Sanierung Spekulation. Um unsere limaschutzziele zu erreichen, müssen alle mitwirken. Die Not in my backyard Mentalität ist in Berlin leider ausgesprochen groß und wird oft als Mieterschutz gegen die bösen anderen kaschiert.

      • @eicke81:

        Leider ist es eben nicht nur ein schwarz-weiß Denken in diesem Zusammenhang. Natürlich sollte die energetische Effizienzsteigerung vorangetrieben werden. Aber nicht als Mittel um unliebsame Mieter rauszuekeln weil sie es sich dann nicht mehr leisten können. Nur weil man hofft mit den leeren Plätzen dann wieder höheren Mieten durchdrücken zu können. Somit sollte der Gesetzgeber da ganz genau prüfen.

  • Bei aller Empathie: Anstatt sich zu freuen, dass man Jahrzehntelang für eine homöopathische Miete in der Berliner Innenstadt wohnen konnte, wird hieraus der Anspruch generiert, dass das für immer so zu bleiben hat.

    • @Samvim:

      Bei allem Respekt, Berlin war jahrzehntelang eine eingemauerte Rentnerkolonie, mit Einsprenkeln von Kriegsdienstverweigerern und US-Militär (witzige Kombination), die immer kurz davor Stand der Mittelpunkt eines kleinen militärischen Missverständnisses zu werden, da waren „homöopathische“ Mieten halt an der Tagesordnung.

      • @Nafets Rehcsif:

        Das ist aber schon seit 35 Jahren vorbei...

        • @eicke81:

          Naja, vor gut 10 Jahren bekam man noch zwei Monate mietfrei und einen Flachbildfernseher oben drauf, wenn man nur so gut war die Bude zu mieten...

          Vielleicht ist es ja auch einfach so, wenn irgendwelche reichen Schnösel Millionen für alte (und damit schon lange "abbezahlte") Gebäude hinlegen, dann haben die sich halt einfach nur verzockt, dann sind jedenfalls nicht die Mieter "schadensersatzpflichtig". Das wärs doch, oder?

    • @Samvim:

      Die "Mietenpolitikerin" ist vorne mit dabei und verhindert die von ihrer Partei geforderte energetische Sanierung. Widersprüche gibts

  • Schutz des Kapitals...egal ob SPD, CDU, FDP oder Grüne....

  • Endlich wird das Haus energetisch an die heutige Zeit angepasst und die grüne Mietenpolitikerin Katrin Schmidberger verhindert nicht mehr den notwendigen Klimaschutz

  • Warum werden die Namen der gewissenlosen Hauseigentümer aus der Musikbranche nicht im Artikel genannt?

    • 0G
      09399 (Profil gelöscht)
      @Andreas V.:

      Frage ich mich auch. Die Namen sind aber zumindest im Firmenverzeichnis Northdata zu lesen, das im Artikel verlinkt ist.

  • "Viele Menschen, die hier leben, arbeiteten in systemrelevanten Berufen und seien auf den günstigen Wohnraum in der Lage angewiesen."

    Und damit wäre das Gesamtproblem auch schon umfassend beschrieben... Man kann diesen Leuten eigentlich nur raten den systemrelevanten Beruf an den Nagel zu hängen, wenn es nämlich nicht mal mehr für eine Wohnung reicht, dann muss die Gesellschaft halt selbst zusehen, wer den ganzen wichtigen Kram erledigt...