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Eigenbedarfskündigungen in BerlinMieterbund kritisiert den Senat

Auf Berlin rollt eine Welle von Eigenbedarfskündigungen zu. Doch der Senat bleibt trotz eines Parteitagsbeschlusses der SPD weitgehend untätig.

Das mit dem Eigenbedarf lässt sich natürlich auch umdrehen: Demo gegen die Deutsche Wohnen Foto: picture alliance/dpa | Christoph Soeder

Berlin taz | Schon vor mehr als einem Jahr hatte Klaus Mindrup gewarnt: „Da rollt eine Welle an Eigenbedarfskündigungen auf uns zu“, hatte der ehemalige Bundestagsabgeordnete der SPD im September 2021 bei einer Hausversammlung im Hof der Husemannstraße 12 in Prenzlauer Berg gesagt. Nun ist die Welle da. Und die Politik tut – nichts.

Mindrup hat es zumindest versucht. Beim SPD-Landesparteitag hat er im vergangenen Jahr einen Antrag eingebracht. Der Senat, so hieß es da, solle sich beim Bund dafür einsetzen, dass die derzeitige Kündigungssperre von derzeit zehn Jahren auf zwanzig Jahre verlängert wird. Außerdem soll durch ein Register Transparenz geschaffen werden, wer wann Eigenbedarf angemeldet hat und ob die betreffende Person tatsächlich in die gekündigte Wohnung gezogen ist.

„In Berlin wurden bis Mai 2021 100.000 Wohnungen umgewandelt“, sagt Mindrup der taz. Seitdem ist der Umwandlungspraxis, auch auf seine Initiative hin, ein Riegel vorgeschoben. Für die bereits umgewandelten Wohnungen gilt: Zehn Jahre lang dürfen die Hausbesitzer die dort lebenden Mieterinnen und Mieter nicht kündigen. Nach Ablauf der Sperre gilt die übliche Kündigungsfrist von drei bis neun Monaten.

Für die meisten Mieterinnen und Mieter der Husemannstraße 12, die Mindrup damals um Unterstützung gebeten hatten, kam der Umwandlungsstopp zu spät. Ihre Wohnungen wurden bereits vor dem Mai 2021 umgewandelt. Eine Verlängerung der Kündigungssperre von zehn auf zwanzig Jahren würde ihnen zumindest Aufschub geben.

„Nicht weiter verfolgt“

Doch danach sieht es derzeit nicht aus. Trotz des Parteitagsbeschlusses hat der Senat bis heute keine Bundesratsinitiative eingeleitet. „Berlin, Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern haben sich bei der Justizministerkonferenz für einen stärkeren Schutz vor Eigenbedarfskündigungen eingesetzt“, ließ eine Sprecherin von Bausenator Andreas Geisel (SPD) der taz mitteilen. Dies sei allerdings erfolglos gewesen. „Angesichts fehlender Mehrheiten wurde die Option einer Bundesratsinitiative nicht weiter verfolgt.“

Das will Mindrup – der hofft, über die Wiederholungswahl auf Bundesebene doch wieder in den Bundestag einzuziehen – so nicht hinnehmen. „Schwere Missstände muss Berlin im Bundesrat öffentlich machen und nicht nur im Hinterzimmer ansprechen“, kritisiert der SPD-Politiker den Berliner Senat. „Angesichts des kollabierenden Neubaus wird sich der Wohnungsmangel weiter verschärfen und damit auch der Anreiz für Spekulanten durch manipulierte Eigenbedarfskündigungen Übergewinne einzufahren“, befürchtet er. „Bei über 100.000 potenziell Betroffenen allein in Berlin gibt es ganz offensichtlich Handlungsbedarf, denn der Staat muss seine Bevölkerung vor Willkür schützen.“

Das sieht auch Lukas Siebenkotten so. Der Präsident des Deutschen Mieterbunds war bei der Hausversammlung in der Husemannstraße dabei. Auch er kritisiert nun den Berliner Senat „Man kann doch nicht schon nach dem ersten Vortasten die Flinte ins Korn werfen.“ Siebenkotten fordert Bausenator Andreas Geisel auf, nicht vorschnell aufzugeben. „Da muss man dranbleiben und die Bundesländer, die sich der Forderung nicht anschließen, fragen, auf welchen Kompromiss man sich einigen kann.“

Denn auch Siebenkotten weiß, dass sich das Problem verschärfen wird. „Der Anteil derer, die zu uns wegen Eigenbedarfskündigungen in die Beratung kommen, steigt.“ Das liege auch daran, dass nach der Beschränkung von Luxusmodernisierungen der Eigenbedarf als Geschäftsmodell für viele Eigentümer attraktiver werde.

Dass gerade Berlin mit seinen vielen umgewandelten Wohnungen ein Hotspot ist, hat auch Ulrike Hamann beobachtet. „Die Zahl derer, die wegen einer Eigenbedarfskündigung zu uns kommen, hat enorm zugenommen“, sagt die Geschäftsführerin des Berliner Mietervereins. „Im vergangenen Jahr ist die Hälfte aller Kündigungen wegen Eigenbedarf gewesen“, sagt sie der taz. Auch sie unterstützt deshalb eine Bundesratsinitiative.

Vorgeschobene Kündigungen

Für Lukas Siebenkotten liegt ein weiteres Problem darin, dass bislang nicht geklärt sei, für wen überhaupt Eigenbedarf angemeldet werden darf. Er fordert, dass das nur noch für Ehepartner oder Verwandte ersten Grades gelten soll. „Eine Kündigung für das Aupair-Mädchen muss nicht sein“, sagt der Mieterbund-Präsident und nennt das Beispiel eines Chefarztes, der auf Eigenbedarf gekündigt hat, „weil er sich in der Wohnung einige Male im Jahr mit seiner Tochter treffen will“.

Darüber hinaus müssten vorgeschobene Kündigungen endlich bestraft werden. „Gefakter Eigenbedarf muss den Leuten richtig wehtun“, fordert Siebenkotten. „Da muss es entsprechende Bußgelder geben. Denn die Mieter kommen nicht mehr rein, wenn sich herausstellt, dass es vorgeschoben war.“

Für die kommenden Jahre rechnet Siebenkotten damit, dass jeder Dritte, der in einer umgewandelten Wohnung lebt, früher oder später eine Eigenbedarfskündigung bekommt. Klaus Mindrup rechnet sogar mit einer Eigenbedarfsrate von 50 Prozent. „Hier droht vor allem in Berlin eine soziale Katastrophe“, sagt Mindrup.

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4 Kommentare

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  • Ich kenne keine Partei, die dafür gesorgt hat, dass in Berlin in den letzten 10 Jahren tatsächlich mehr Wohnungen entstehen. Die Linken erzählen immer, sie wollen bauen. Das Ergebnis hat man unter Senatorin Lompscher gesehen = sinkende Genehmigungszahlen speziell im sozialen Wohnungsbau... Die SPD hat das Pech, dass die Zinsen steigen und Private nicht mehr bauen können. Die Grünen verhindern das Nutzen von Brachflächen wie dem Tempelhofer Feld...

    Und jetzt krakeelen alle, dass der Staat bauen soll. In Berlin? Das muss ein Scherz sein :)))

  • Dass Nichthandeln von Bausenator Geisel sollte bei der Berliner Wahl Konsequenzen haben, weil damit die Kernwähler der SPD ignoriert werden.

    De facto hat die SPD niemanden, der Gentrifizierung und viel zu wenig Sozialwohnungen schnell und konsequent verbessert.

    SPD-Politiker Klaus Mindrup ist in der SPD eine absolute Ausnahme und sollte deshalb in den Bundestag gewählt werden!

    In Hamburg, Vorbild für die Scholze Wohnungspolitik, fehlen Tausende bezahlbare Wohnungen und trotzdem zieht der Hamburger Senat jedes Jahr Millionen Euro an Gewinn aus der stadteigenen Saga, um das Geld in andere Haushaltsbereiche zu stecken. Realpolitik der SPD, obwohl im Jahr 2021 nur 20.000 Sozialwohnungen statt geplanter 100.000 entstanden.



    Wo sollen geplante 400.000 Sozialwohnungen bis 2025 herkommen?



    Bauministerin Geywitz ignoriert den Bedarf, der auch aufgrund von 1,5 Millionen Flüchtlingen, die im letzten Jahr nach Deutschland kamen, entstand.



    Das Bündnis für soziales Wohnen fordert deshalb mehr Geld vom Bund für soziales Wohnen, insgesamt 50 Mrd. Euro, die Geywitz jedoch verweigert.



    Sie behauptete im Interview mit dem ZDF allen Ernstes, sie habe die Zahl von nur 20.000 gebauten Sozialwohnungen im Jahr 2021 überrascht! Das sei der alten Bundesregierung zuzuschreiben, die neuen Zahlen für 2022 liegen ihr nicht vor! Als ob es der Ministerin nicht möglich wäre, sich schnell in etwa einen Überblick über die Zahl der 2022 gebauten Wohnungen zu verschaffen, damit eine genaue Basis für die Kalkulation da ist!

    Die Ministerin versagt, weil sie die die Karten nicht auf den Tisch legt und gemeinnützige Wohnungen zwar stärker fördern will, aber das reicht nicht einmal im Ansatz, um nur diejenigen Wohnungen zu ersetzen, die der Staat einst zu Hunderttausenden an private Konzerne verkaufte und die jedes Jahr aus der Sozialbindung fallen.

    www.youtube.com/watch?v=2VoaDxa6Lvc

  • Berlin scheitert regelmäßig mit seinen Bundesratsinitiativen (und auch in Karlsruhe). Weshalb sollte man also ein absehbar erfolgloses Vorhaben einbringen?

    Insoweit kann nur vermutet werden, dass Herr Mindrup irgendeinen Vorteil aus einer verlorenen Bundesratsinitiative wittert.

    Eine Verlängerung auf 20 Jahre wird es in dieser Legislaturperiode jedenfalls nicht geben.

  • Gentrifizierung in Berlin bedeutet Zuzug Reicher und Wegzug Armer aus dem Bundesland.



    Das ist für das politische Berlin ein Vorteil.



    Mehr Steuereinnahmen und Armutsprobleme wandern ab.