Gentrifizierung in Berlin: Kapital contra Kultur
Dem Buchladen Kisch & Co in Kreuzberg droht das Ende. Das Haus ist an einen Luxemburger Fonds verkauft. Nun startet eine Initiative Proteste.
In einer ersten Version des Vertragsangebots hätten sie sich, so sagt es Geschäftsinhaber Thorsten Willenbrock der taz, sogar dazu verpflichten müssen, sich gegenüber Medien und Politiker*innen positiv über die Eigentümer zu äußern – ein No-Go. „Ich denke, die werden jetzt den Klageweg gehen, um uns aus dem Laden zu räumen“, sagt Willenbrock, aber auch: „Wir halten so lange durch, wie es nur irgendwie geht.“
Ein Kurzbesuch offenbart schnell, was der 1997 eröffnete Buchladen – vorher residierte hier der legendäre linke Verlag Elephantenpress – bis heute für den Kiez bedeutet. Das Gespräch mit Buchhändlerin Ulla Biermann hat noch nicht begonnen, als sich die beiden anwesenden Kunden einmischen. „Es wird mir das Herz brechen, wenn der Laden weg ist“, sagt Max, ein Endvierziger, der hier täglich seine Zeitung kauft. Und wie zum Beweis seiner Zugehörigkeit holt er eine Schachtel aus der Jackentasche, in der etwas Silbernes klappert. „Ich wollte dir doch die Titanschrauben zeigen, die sie mir aus der Hand rausgeholt haben“, sagt er zu Biermann.
Der andere Kunde entpuppt sich als Klaus Theuerkauf, seines Zeichens Nasenflötist beim Original Oberkreuzberger Nasenflötenorchester und Künstler, der mit seiner Galerie Endart die Berliner Kunstszene der 1980er Jahre mitgeprägt hat. „Alle werden entmietet, es geht alles verloren“, sagt er halb zornig, halb verzweifelt und zeigt durch die gläserne Eingangstür auf das Haus gegenüber. „Da haben früher zum Beispiel tolle Maler wie Johannes Kahrs und Max Neumann gewohnt, die mussten alle raus. Auch ich wurde weggentrifiziert!“
Natürlich hat auch Ulla Biermann Angst um ihren Job. Seit zwanzig Jahren, erzählt sie, arbeitet sie bei Kisch. Mit den vier KollegInnen ist sie befreundet, man arbeitet „kollektiv“, auch wenn zwei der fünf Inhaber sind, die anderen angestellt. „Ich kann mir schlecht vorstellen, in einem ’normalen' Buchladen zu arbeiten“, sagt sie.
Kulturelles Kiez-Zentrum
Das Gewerbehaus in der Oranienstraße 25, in dem auch die neue Gesellschaft für bildende Kunst und das Museum der Dinge ihren Sitz haben, ist immer noch ein kulturelles Zentrum im Kiez. Bis zum vergangenen Jahr gehörte es der Berggruen Holdings GmbH des US-Milliardärs Nicolas Berggruen. Schon dieser wollte Kisch & Co loswerden und hatte 2017 mit einem Designer-Brillenladen einen Nachmieter präsentiert, der sich infolge des öffentlichen Drucks selbst zurückzog. Auch Berggruen ging dem weiteren Konflikt aus dem Weg und vereinbarte mit Kisch & Co einen Mietvertrag über drei Jahre.
Anfang dieses Jahres erfuhren die Mieter, dass das Haus an einen Luxemburger Fonds mit dem Namen Victoria Immo Properties V S.a.r.l. verkauft wurde. Die Mieter*innengemeinschaft spricht von einem Konstrukt „wie aus dem Lehrbuch des aggressiv und global agierenden Turbokapitalismus“. Der Eigentümer habe „vom ersten Tag seiner Besitznahme keinen Zweifel an seinen rein ökonomisch orientierten Verwertungsinteressen an der Immobilie aufkommen lassen“. Kein Wunder angesichts des Kaufpreises: 35,5 Millionen Euro gingen für das Gebäude mit seinen 4.000 qm über den Tisch. Zum Vergleich: Die deutlich größeren Gewerbehöfe in der Lausitzer Straße 10 sollen für ein Drittel dieses Preises verkauft werden.
Die Refinanzierung dieses Spekulationspreises ist nur über Mieterhöhungen möglich. Wo die Reise hingeht, zeigt das Angebot an das Architektenbüro kleyer.koblitz, das nach einer Vertragsverlängerung 38 Euro pro qm statt bisher 13 Euro zahlen sollte. Eine „Wuchermiete“, die laut den Mieter*innen auf die „Entmietung des Objekts“ zielt und die, wenn überhaupt, „durch Venture Capital finanzierte Start-ups“ finanzieren können.
Spur nach Schweden
Dass sich die wahren Profiteure der Gesellschaft, so gut es geht, zu verstecken suchen, ist da nur folgerichtig. Recherchen, angestoßen von der Mietenexpertin der Linken, Gaby Gottwald und weitergeführt von Christoph Trautvetter vom Netzwerk Steuergerechtigkeit, haben eine konkrete Spur offengelegt. Demnach gehört der Fonds mit hoher Wahrscheinlichkeit Erben des schwedischen Tetra-Pak-Gründers und Multimilliardärs Ruben Rausing. Trautvetter war im Transparenzregister auf die Namen von drei Liechtensteiner Anwälten gestoßen, die dort als wirtschaftlich Berechtigte geführt werden, aber tatsächlich nur als Treuhänder fungieren.
Die drei Anwälte fanden sich im dänischen Transparenzregister wieder, und zwar bei einem Agrokonzern einer Rausing-Enkelin, einer Londoner Milliardärin. Auch eine Schwester von ihr kommt als Anteilshalterin der Fondsgesellschaft infrage. Gottwald hat die Mitglieder der Familie Rausing persönlich angeschrieben. Erst als über einen Mittelsmann des Buchladens ein persönlicher Kontakt hergestellt war, erhielt sie Antwort. „Die haben reagiert, der Fonds und seine Manager sind ihnen bekannt“, sagt Gottwald: „Aber bislang wurde keine Abhilfe geschaffen.“ Auch wenn es keinen schriftlichen Beleg über eine Beteiligung einzelner Familienmitglieder an dem Fonds gibt, ist Gottwald sich sicher, an der richtigen Adresse zu sein. „Ich habe die Erwartung, dass die Eigentümerin sich einschaltet und konkret interveniert, damit dieser Buchladen nicht schließen muss.“
Diese Erwartung hat auch die Initiative Bizim Kiez, die am Mittwoch ab 18.30 Uhr vor dem Haus eine Kampagne zur Rettung des Buchladens und der anderen Mieter startet, sagt Initiativensprecher Philipp Vergin. Wie vor fünf Jahren, als es um den Erhalt des Gemüseladens Bizim Bakal ging, soll es regelmäßige Kundgebungen geben. Unter dem Motto „Volle Breitseite für die Oranienstraße 25“ soll ein Buch in A1-Format mit Beiträgen solidarischer Nachbar*innen angelegt werden. Eingeladen sind außerdem Verlage und Autor*innen. Den Anfang macht am Mittwoch Raul Zelik, der sein neues Buch „Wir Untoten des Kapitals“ präsentieren wird. „Wir wollen so viel öffentlichen Druck aufbauen, dass die Eigentümer einlenken“, sagt Vergin.
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