Portrait von Ingo Potrykus

Melan­cholischer Idealist: Ingo Potrykus vor seinem Zuhause im schweize­rischen Magden, 2016 Foto: Sebastian Magnani/13Photo

Gentechnik-Pflanze „Goldener Reis“:Gegen den unsichtbaren Hunger

Ingo Potrykus hat selbst Hunger erlebt. Der Biologe entwickelte Reis, der Vitamin-A-Mangel lindern soll. Doch Greenpeace kämpft dagegen.

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17.9.2024, 12:35  Uhr

Ein grüner Stängel. Oben die schmale verzweigte Rispe, an ihr sitzen die hellbraunen Ähren, in denen wiederum die Reiskörner liegen. Um diese schließt sich eine Schutzhülle, das sogenannte Silberhäutchen, das man entfernen kann, um das nackte Korn zu erhalten. Meistens ist es weiß. Nicht aber bei dem Reis, um den es hier gehen soll. Die Körner dieser besonderen Variante schimmern gelb-golden, der Grund dafür ist eine kleine gentechnische Veränderung. Sie könnte Hunderttausende Menschen vorm Erblinden oder gar vorm Tod retten.

Das zumindest ist die Hoffnung des Biologen Ingo Potrykus, dem Erfinder dieser speziellen Reispflanze. Potrykus ist heute 90 Jahre alt, der Goldene Reis ist sein Lebenswerk. Er wollte etwas gegen den Hunger tun, weil er ihn als Kind selbst erlebt hat. Doch seine Erfindung ist umstritten: Umweltorganisationen bekämpfen den Genreis seit Jahrzehnten. Jüngst hat Greenpeace einen Rechtsstreit auf den Philippinen gewonnen, wo der Goldene Reis zum ersten Mal großflächig angebaut wurde. Der alte Kampf geht weiter.

Ingo Potrykus trägt eine braune Fleecejacke und einen grauen Rund-um-den-Mund-Bart. Er sitzt im Wohnzimmer seines Hauses in Magden, einem schweizerischen Dorf unweit der deutschen Grenze, umgeben von ­Hügeln und Weizenfeldern. Potrykus erzählt von der Krise, die ihn einst auf den Goldenen Reis brachte, sie plagt bis heute südostasiatische und afrikanische Staaten: Arme Menschen ­nehmen zu wenig Vitamin A zu sich, dieser Mangel ist besonders für Kinder gefährlich. Die Weltgesundheits­organisation (WHO) schätzt, dass jedes Jahr bis zu 500.000 Kinder erblinden, weil es ihnen am richtigen Obst und Gemüse fehlt. Die Hälfte ­aller Kinder, die ihr Augenlicht verlieren, sterben laut WHO im Laufe eines Jahres, denn der Körper braucht Vitamin A auch für viele lebenswichtige ­Funktionen. „Unsichtbarer Hunger“ heißt die Mangelerscheinung in Fachkreisen.

Vor fast 40 Jahren arbeitete Ingo Potrykus als Professor an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich. Potrykus sah sich weniger als Wissenschaftler denn als Ingenieur, sagt er. Die Wissenschaft vergrub sich für seinen Geschmack zu tief in der Grundlagenforschung.

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Er wollte die damals neue Gentechnik praktisch nutzen: Es gab Länder mit Vitamin-A-Mangel – was also, wenn das Grundnahrungsmittel dieser Länder Vitamin A enthielte? Was, wenn es einen Reis gäbe, der gegen den Mangel helfen kann? Nach jahrelanger Arbeit gelang es Potrykus, Gene aus einer anderen Pflanze in den Reis einzuführen, sodass dieser von sich aus Provitamin A produziert, was der menschliche Körper wiederum zu Vitamin A umwandelt. Das Provitamin soll gegen den Nährstoffmangel helfen. Und es verleiht dem Reis seinen goldenen Schimmer.

Potrykus lagert den Goldenen Reis auch bei sich zu Hause in Magden. Ein großer Sack im Keller, ein Glas davon in der Küche. Weil Potrykus nicht mehr richtig laufen kann, bittet er seine Ehefrau Inge, das Glas zu holen. „Wir essen hin und wieder davon“, sagt er.

Für Potrykus ist der Goldene Reis eine Revolution, ein effektives Mittel, um den Hunger und das Sterben von Kindern in Südostasien zu bekämpfen. Wenn man das denn zuließe.

Für Greenpeace, die wahrscheinlich mächtigste Umweltschutzorganisation, birgt Gentechnik im schlimmsten Fall Gefahren für Gesundheit und Umwelt. Im besten Fall ist sie eine Ablenkung von den systemischen Lösungen für Mangelernährung. Greenpeace fordert stattdessen, die Armut zu bekämpfen, oder ökologische Kleingärten zu fördern, in denen auch andere Nutzpflanzen angebaut werden können, die Provitamin A enthalten.

Immer wieder zerstören zudem Van­da­lie­re­r:in­nen Felder mit Gentechnikpflanzen in Europa, erst im Juni entwurzelten sie in Italien ein Versuchsfeld mit pilzresistentem Reis. Doch solche fundamentale Gegnerschaft stößt vermehrt auch Menschen auf, die den Wunsch nach Umweltschutz teilen. Die linksliberale Zeitung The Guardian nannte jüngst nicht den Reis, sondern die Kampagne dagegen „gefährlich“.

Er hat Hunger am eigenen Leib erfahren

Ingo Potrykus spricht freundlich, muss sich hin und wieder kurz sammeln, weil ihm ein Name entfällt. Kommt er aber auf Greenpeace zu sprechen, bricht die Verbitterung durch, dann wird seine Stimme kräftiger und er wirkt um Jahre verjüngt.

Draußen hat sich der Himmel verdunkelt, der Mairegen tränkt die ­saftigen Hügel. Obwohl es erst Mittag ist, sitzt Potrykus in seinem Wohn­zimmer im Lampenschein. Hätte er vor vielen Jahrzehnten gewusst, ­welche Hürden und Widerstände ihn und seinen Goldenen Reis erwarten würden, hätte er vielleicht nie angefangen, sagt der Pflanzengenetiker heute: „Ich habe meine großen Zweifel, dass das, was ich damals gemacht habe, nicht ein ziemlich dummer Idealismus war.“

Seinen Wunsch, etwas gegen Hunger zu unternehmen, führt Ingo Potrykus auf seine Kindheit zurück. 1933 kam er als einer von drei Brüdern im niederschlesischen Hirschberg zur Welt; die Stadt liegt heute in Polen und heißt Jelenia Góra. Sein Vater, ein Arzt in einem Militärkrankenhaus, starb an jenem Tag, als seine Schwester geboren wurde. In den letzten Wochen des Zweiten Weltkriegs 1945 floh die Mutter mit den vier Kindern vor der heranrückenden Roten Armee nach Bayern. Um zu überleben, klaute er von den Feldern der Bauern, erinnert sich Potrykus: „Ich habe über Jahre erlebt, was es heißt, zu hungern.“

Später arbeitete Potrykus als Biologielehrer, nahm dann eine Stelle in der Wissenschaft an. 1986 wurde er als Professor an die ETH Zürich berufen, wo er sich mit seiner Forschung nicht nur Freunde machte. Ab 1990 widmete er sich dem Reis. Unweltbewegte Studierende störten Potrykus’ Vorlesungen mit Megafonen. „Ich habe eine richtig feindliche Stimmung erlebt dort“, sagt er. Um Potrykus und seine transgenen Pflanzen zu schützen, baute die Unileitung ihm damals sogar ein Gewächshaus aus Panzerglas, das mehreren Pistolenschüssen oder einer Handgranatenexplosion standhalten würde.

Gentechnik mit dem Luftgewehr

Auch fachlich gab es Bedenken. „Niemand hat sich da rangetraut“, erinnert er sich, „weil jedem klar war: Das ist ein Himmelfahrtunternehmen. Das ist nicht lösbar.“ Potrykus betraute seinen Doktoranden Peter Burckhardt mit dem Projekt und holte den Biologen Peter Beyer aus Freiburg ins Team.

Beyer war ein Experte für Narzissen, und so wählten sie die Blume als Genspenderin. Die Narzisse enthält ein Gen, das für die Produktion von Provitamin A sorgt, das auch ihre Blätter gelb färbt. Um die Blumen-DNA in den Reis einzuführen, nutzten die Forscher ein Instrument, das in seiner Grobschlächtigkeit fast komisch wirkt: die sogenannte Genkanone. Forschende in den USA hatten zuvor herausgefunden, dass man Gene mit einem Luftgewehr in Zwiebelpflanzen einschießen kann.

Potrykus’ Team verwendete eine verfeinerte Version der „Kanone“. 1997 konnten sie in einem Journal-Artikel ihren Erfolg vermelden: Sie hatten das Gen in die Reis-DNA eingeführt. Doch damit der Reis wirklich Provitamin A herstellt, fehlten noch drei weitere Gene, die sie in andere Pflanzen brachten. Die vier unterschiedlichen Pflanzen zu einer gesunden Variante zu kreuzen, war aber schwierig. Zu schwierig.

Reisbauern auf einem Reisfeld

Auf Feldern des Internationalen Reis­forschungs­instituts in Los Banos, Philippinen, pflanzen Ar­bei­te­r:in­nen Goldenen Reis Foto: Ezra Acayan/getty images

1998 stand Ingo Potrykus in einer Sackgasse. Also disponierten er und seine Kollegen um. Diesmal wollten sie alle vier benötigten Gene auf einen Schlag in den Reis einführen, und zwar mithilfe eines Bodenbakteriums, das sein Erbmaterial von Natur aus auf Pflanzen übertragen kann – eine Fähigkeit, die sich die Gentechnik zu eigen macht. Auf diesem Wege gelang es ihnen, 500 Reisembryos zu präparieren, aus denen Pflanzen wuchsen. Zehn davon bauten sie im Gewächshaus an.

Etwa vier Monate später brachte Peter Beyer die geernteten Reiskörner in sein Labor, um sie dort zu polieren, also aus ihrer Schale zu befreien. Eines Abends im Februar 1999 rief er Potrykus an. „Ingo, öffne deinen Computer“, sagte er. „Ich schicke dir ein Bild, das dir gefallen wird.“ Auf dem Bildschirm sah Potrykus rund hundert Körner. Goldene Körner. Die Früchte von fast zehn Jahren Arbeit. Er findet, sie sehen aus wie Edelsteine: „Und wie viel kostbarer sie sind!“

Kein Konzern und trotzdem Feindbild

Der Pflanzengenetiker hatte endlich seinen Erfolg im Labor. Er glaubte, in drei Jahren sei der Goldene Reis marktreif. Im Jahr 2000 landete Potrykus’ Porträtbild sogar groß auf dem Cover des Time Magazine, der Wissenschaftler zwischen seinen Pflanzen. „Dieser Reis könnte eine Million Kinder retten“, tönte die Zeitschrift. Doch es war der Untertitel, der sich als prophetisch erweisen sollte: „… aber Demonstranten glauben, solche genetisch veränderten Lebensmittel sind schlecht für uns und unseren Planeten.“

Diese Sorge ist auch mehr als 20 Jahre später nicht verschwunden.

Bis der Goldene Reis Anfang der 2000er Jahre an Bekanntheit gewann, hatte Greenpeace seine Angriffe vor allem gegen große Agrarkonzerne gerichtet. In den USA setzte etwa Monsanto Gentechnik ein, um Weizen resistenter gegen Herbizide zu machen und mehr davon versprühen zu können. Auch warfen die Ak­ti­vis­t:in­nen den Konzernen vor, Kleinbauern durch patentiertes Saatgut in Abhängigkeit zu bringen.

Diese Argumente aber ziehen beim Goldenen Reis nicht. Eine Kooperation der Entwickler mit dem Konzern Syngenta hielt nur kurz, die Gelder kamen vor allem von der Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung. Doch Greenpeace ließ nicht locker. Worum ging es der Organisation also? Um die internationale Macht der Agrarkonzerne? Oder doch um die Technik an sich?

Ein Anruf bei Greenpeace Deutschland in Hamburg. Christiane Huxdorff beschäftigt sich dort als Landwirtschafts-Campaignerin mit Gentechnik. Sie sagt: Die Menschen auf den Philippinen müssen in die Lage gebracht werden, sich selbst zu ernähren. „Techno fixes“, also Interventionen von außen, lehnt sie ab. Gleichwohl legt Huxdorff Wert darauf, dass Greenpeace keine Fundamentalopposition fährt. „Gentechnik als solches ist ja nichts Schlechtes“, sagt sie. „Wir sind nicht gegen Insulin, gegen Impfstoffe“, auch wenn diese mit Gentechnik hergestellt werden.

Nur in der Landwirtschaft ist Huxdorff skeptisch. Denn dort führe man gentechnisch veränderte Pflanzen in die Umwelt ein, was unbekannte Folgen haben kann. Doch auch bei herkömmlichen Züchtungen gibt es keine hundertprozentige Sicherheit vor unerwünschten Effekten – wichtig sind am Ende die Eigenschaften der fertigen Pflanzen, die allesamt aufwendige Prüfverfahren durchlaufen müssen.

„Für den menschlichen Verzehr sicher“

Auf den Philippinen hatte die Regierung 2021 eine lokal gezüchtete Variante des Goldenen Reis zum Anbau freigegeben. Das erste Mal weltweit begannen Bauern in verschiedenen Landesteilen, den Reis im großen Stil anzupflanzen – nicht nur wie bisher im Laborgewächshaus oder unter kon­trollierten Bedingungen, sondern frei auf den Feldern, in Provinzen, in denen besonders viele Kleinkinder an Vitamin-A-Mangel leiden. Das Saatgut wurde dort nicht zu Profitzwecken vermarktet, sondern zum gleichen Preis wie sein weißes Pendant an die Bauern abgegeben.

Doch Greenpeace klagte gemeinsam mit Umweltorganisationen und Bauern gegen die Zulassung des Landwirtschaftsministeriums. Und bekam Recht. Im April entschied das oberste Berufungsgericht der Philippinen, die Anbaulizenz zu kippen. In ihrer Urteilsbegründung schreiben die Rich­te­r:in­nen von „widersprüchlichen wissenschaftlichen Ansichten“ über die Risiken des Goldenen Reis. Sie verweisen ferner auf vermeintlich fehlende Sicherheitsüberprüfungen und Kon­trollregime – die Regierung solle diese nachreichen.

Die Nationale Akademie für Wissenschaft und Technologie der Philippinen kritisierte die Entscheidung des Gerichts. Es gebe keine Gründe anzunehmen, dass der Goldene Reis eine Gefahr für Mensch oder Natur darstelle. Auch in den USA, Kanada, Australien und Neuseeland habe er alle Tests für die Zulassung bestanden. Dieser Einschätzung schließt sich auf Anfrage der taz auch die UN-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation FAO an: „Die Abteilung für Pflanzenproduktion und -schutz der FAO bestätigt, dass Goldener Reis für den menschlichen Verzehr sicher ist.“

Auf den Philippinen bekommt die Diskussion um den Goldenen Reis noch eine andere Note beigemischt. Die lokale Umweltorganisation Masipag wittert hinter dem Projekt eine „koloniale Geisteshaltung“: eine Lösung von außen für ein Problem, das einer heimischen Lösung bedarf.

Schwierige Versorgung mit Vitamin A

Doch es gäbe auf den Philippinen heute keinen Goldenen Reis, hätten Wis­sen­schaft­le­r:in­nen vor Ort nicht die lokale Variante gezüchtet. Und während manche Bauern auf den Philippinen gegen den Reis vor Gericht ziehen, sind andere überzeugt vom Malusog – oder „gesundem“ – Reis, wie er dort heißt.

Einer von ihnen ist Edwin Paraluman. Er arbeitet als Kleinbauer in General Santos City, einer Stadt am südlichen Ende der Philippinen. Die Bauern im Norden bauen Reis auf den traditionellen Terrassen an. Bei Paraluman im Süden wachsen die grünen Halme auf ebenen Feldern. Er pflanzt und erntet Reis auf drei Hektar – und seit vergangenem Jahr auch die goldene Variante. Außer dem beigefügten Provitamin A gebe es in den Anbautechniken oder im Ertrag keine Unterschiede, erzählt der 66-jährige am Telefon. Paraluman verkauft seine Ernte an Freunde, Nachbarn, aber auch an Lehrer, die für ihre Schü­le­r:in­nen danach fragten.

„Wir haben auf den Philippinen viele Kinder, denen es an Vitamin A mangelt“, sagt Paraluman. Er selbst sehe kleine Kinder, die Brillen mit dicken Gläsern tragen. Die Regierung hat deshalb ihr eigenes Programm aufgesetzt, sie schickt Ärz­t:in­nen in arme Gegenden, damit diese Kindern Vitamin-A-Tropfen auf die Zunge träufeln. Damit konnten die Philippinen den Mangel lindern – aber ihn nicht beseitigen. Edwin Paraluman sagt, die Kinder hätten manchmal Angst vor den Helfer:innen, liefen vor ihnen weg: „Das Programm funktioniert nicht kontinuierlich.“

Die Regierung versuchte auch, Lebensmittel mit Vitamin A zu strecken. Doch das gestaltete sich als logistische Herausforderung. Die Streckmittel verteuerten die Produkte, es gab Probleme mit der Haltbarkeit des beigefügten Vitamins. Die Umweltorganisation Masipag fordert deshalb, die Menschen sollten sich vielfältiger ernähren, um dem Mangel vorzubeugen. Das klingt sinnvoll, ist aber nicht so einfach: In den Städten hat die arme Bevölkerung kein Land zur Verfügung, um selbst das richtige Obst und Gemüse anzubauen, und auf dem Markt ist es für sie ein Luxusgut. Die Armut zu beseitigen, wäre wohl die nachhaltigste Lösung – aber eben auch die schwierigste.

In Magden kramt Inge Potrykus in einem Küchenschrank nach dem Glas mit dem wohl kontroversesten Reis der Welt. Sie kommt zurück ins Wohnzimmer. „Ich fürchte, da ist schon eine Motte drin“, sagt sie und stellt das ­Einweckglas auf den Tisch. Und tatsächlich hat sich ein Falter darin ein­genistet. Auch hat dieser Reis seinen gelben Ton fast verloren. Denn seit er geerntet wurde, sind etwa drei Jahre ver­gangenen, erklärt Ingo Potrykus. „Der verliert mit der Zeit seine Farbe, wie alle Pflanzen, die Provitamin A enthalten.“

Der Goldene Reis – ein Propagandamittel?

Der Goldene Reis als Projekt für die Mottenkiste – ein Sinnbild, das Greenpeace wohl gefallen würde. Die Ak­ti­vis­t:in­nen kritisierten damals vor 20 Jahren, der Prototyp enthalte viel zu wenig Provitamin A. Ein erwachsener Mensch müsse täglich neun Kilogramm essen, um seinen Bedarf zu decken – was sich später als falsch herausstellte. Als Forschende schließlich eine Reisvariante mit einem Vielfachen an Provitamin A gezüchtet hatten, warnte Greenpeace vor einer Überdosis. Auch führten die Ak­ti­vis­t:in­nen „unbekannte Gesundheitsrisiken“ der neuen Technologie an, ohne aber zu begründen, worin diese Risiken bestehen sollten.

Diese Argumente hört man heute weniger, dafür geht Greenpeace auf die Metaebene. Der Goldene Reis sei in Wahrheit ein Feigenblatt für die In­dus­trie, ein Propagandamittel, um Gentechnik in der Bevölkerung zu ­legitimieren.

Die Schlachten mit Greenpeace drückten all die Jahre auf Ingo Potrykus’ Stimmung. Erholung brachten die Vögel. Solange er noch laufen konnte, betreute er hier im Tal in der Gemeinde Magden 156 Vogelkästen, erzählt er. Im Frühjahr putzte Potrykus sie aus, bewachte die Brut, schaute immer wieder nach, was da heranwuchs. Im ersten Stock in seinem Arbeitszimmer stehen Bildbände mit selbst geschossenen Vogelfotos. Potrykus sagt: „Ich war schon mit 14 Jahren aktiver Naturschützer und war das mein Leben lang.“

Auch Edwin Paraluman auf den Philippinen hält nicht viel von den Einwänden von Greenpeace. Ihm geht es weniger um die Zuchttechnik, als um das fertige Saatgut. Seit seiner ersten Ernte im Herbst vergangenen Jahres essen er und seine Familie von dem Goldenen Reis, sagt er: „Die Gegner behaupten, wenn man zu viel davon isst, geht es einem schlecht. Ich denke, diese Argumente sind nur ein Alibi, um gegen die Technologie zu sein.“ Paraluman glaubt, der Reis habe der Entwicklung seiner Enkel geholfen. Dass viele Menschen auf den Philippinen Biotechnologie in der Landwirtschaft ablehnen, liegt seiner Meinung nach an fehlendem Wissen.

Angesichts der Beharrlichkeit von Greenpeace meldeten sich 2016 über hundert No­bel­preis­trä­ge­r:in­nen zu Wort. In einem offenen Brief kreideten sie die Antihaltung der Ak­ti­vis­t:in­nen an: „Wir fordern Greenpeace auf, seine Kampagne gegen Goldenen Reis im Besonderen und gegen biotechnologisch verbesserte Pflanzen und Lebensmittel im Allgemeinen einzustellen.“ Zur Verzögerung des Goldenen Reis fragten sie: „Wie viele arme Menschen müssen weltweit sterben, bevor wir das als 'Verbrechen gegen die Menschlichkeit’ ansehen?“

„Sie können mich nicht vom Pflanzen ­abhalten“

Warum bleibt Greenpeace dennoch auf den Goldenen Reis fixiert? Denn selbst wenn die Organisation andere Lösungen bevorzugt, schließen sich eine neue Reissorte und Reformen in der Landwirtschaft ja nicht aus. Doch im ökologischen Idealbild von selbstversorgenden Kleinbauern und unberührter Natur erscheinen komplexe moderne Zuchttechniken, die zielgenau ins Erbgut der Pflanzen eingreifen, als Anmaßung. Egal, ob nun Konzerne, Regierungen oder wohlmeinende Philanthropen dahinterstehen.

Das philippinische Landwirtschaftsministerium teilt auf taz-Anfrage mit, es strenge derzeit eine Überprüfung des Urteils an, gleichfalls nehme man die Sicherheitsbedenken der Menschen ernst. Auch in anderen Ländern hängt der Goldene Reis in der Schwebe. In Bangladesch harrt eine lokale Sorte seit 2017 der Zulassung, doch das Umweltministerium stellt sich quer.

Edwin Paraluman will sich nicht beirren lassen von dem Urteil, das er für unwissenschaftlich hält. Dem Richterspruch zum Trotz will er seinen Goldenen Reis auch künftig wieder anpflanzen. Seine Stimme am Telefon wird jetzt schneller und lauter. „Wenn das oberste Gericht mich dafür festnehmen und anklagen will, dann sei es so. Aber ich werde dem Gericht sagen: Ernährt ihr dann meine Familie?“

Sei die Pflanze erst mal in der Hand der Bauern, könnten die Gerichte nichts mehr machen, sagt Paraluman. „Sie können mich nicht vom Pflanzen ­abhalten.“

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