piwik no script img

Genossen unter Strom

Der Streit um das heißeste rot-grüne Eisen, den Ausstieg aus der Atomenergie, ist abgekühlt: Zwischen der Regierung Schröder und den Stromkonzernen soll es demnächst eine Einigung geben. Dabei faßt die SPD die Konzerne mit Samthandschuhen an: Zwar fordert die Partei seit Jahren den Ausstieg – doch in den Aufsichtsgremien der Unternehmen tun die Genossen alles, damit die Parteilinie nicht umgesetzt wird.  ■ Von Bernhard Pötter

Sogar die taz war begeistert. „Kein Zweifel“, jubelte das Zentralorgan der Atomkraftgegner am 28. 8. 1986 zum SPD-Beschluß, in zehn Jahren aus der Atomenergie auszusteigen, „der Ausstiegswille ist verankert, und jene, die den Prozeß zu verlangsamen trachten, haben in der neuen SPD keine Chance“.

So kann man sich täuschen. Dreizehn Jahre später bremst die SPD der „neuen Mitte“ unter ihrem Vorsitzenden und Bundeskanzler Gerhard Schröder den Atomausstieg der rot-grünen Koalition. Schröder hatte als Juso-Vorstand auf dem Nürnberger Parteitag 1986, als die Bundesrepublik unter dem Schock der Atomkatastrophe von Tschernobyl stand, noch gewarnt, bei einem Kampf für den Ausstieg werde sich die SPD einer „hochkonzentrierten Kapitalmacht“ gegenübersehen.

Doch an der „hochkonzentrierten Kapitalmacht“ der Energiekonzerne, die ihre Renditen unter anderem mit den umstrittenen Atommeilern machen, sind SPD-Funktionäre auf allen Ebenen beteiligt. Während Rudolf Scharping noch vor wenigen Jahren die Stromkonzerne als „Gefahr für die Demokratie“ geißelte, sitzen seine Genossen in den Vorständen, Kontrollgremien und Beiräten ebendieser Unternehmen, lassen sich ihre Tätigkeit fürstlich entlohnen und sorgen mit ihrem politischen Einfluß dafür, daß der Ausstiegsbeschluß ihrer Partei bloß nicht zu schnell umgesetzt wird.

Bei den Verhandlungsrunden zum Atomausstieg etwa kennt man sich von früher: Der parteilose Wirtschaftsminister Werner Müller verdiente sich seine Pension als Vorstand bei der Veba Kraftwerke Ruhr AG, einer Tochter des Veba-Konzerns, der über seine andere Tochter, PreussenElektra, seine Atomkraftwerke in Norddeutschland betreibt. In deren Aufsichtsrat saß während seiner Amtszeit in Niedersachsen auch der damalige Ministerpäsident Gerhard Schröder.

Über Jahrzehnte haben die deutschen Energieversorger die Politik und die Politiker für sich eingenommen – und das waren mindestens ebenso viele Sozial- wie Christdemokraten. Deutschlands Energiegigant Nummer eins, RWE (Rheinisch-Westfälisches Elektrizitätswerk) in Essen, und die Dortmunder VEW (Vereinigte Elektrizitätswerke) sind aus kommunalen Energieversorgern entstanden. Die vor allem in Nordrhein-Westfalen oft SPD-dominierten Kommunen garantierten sich durch die sprudelnden Monopolgewinne der Energiekonzerne eine gute Einnahmequelle für ihre maroden Haushalte – und begaben sich in die finanzielle Abhängigkeit: So erhielt etwa die Stadt Dortmund Anfang der neunziger Jahre von den VEW jährlich hundert Millionen Mark an Konzessionsabgaben, Dividenden und Steuern.

Das Öko-Institut Freiburg monierte, die Verflechtungen von Energiewirtschaft und Kommunalfinanzen seien „grundlegende Hemmnisse für eine sozial und ökologisch orientierte Energiewende“. Zu deutsch: Was interessiert den SPD-Politiker die Beschlußlage seiner Partei zum Atomausstieg, wenn seine Gemeinde eine neue Turnhalle braucht? So sichern sich die Konzerne die Gunst der Politiker. Bei Europas größtem privatem Stromerzeuger RWE kassieren nach Angaben der Übersicht „Wem gehört die Republik?“ in den verschiedensten Gremien „Hunderte von Landräten, Oberkreis-, Stadt- und Oberstadtdirektoren aus 64 Städten und Kreisen vom Stromversorger einen Nebenverdienst“. Schätzungsweise 2.000 Politiker und Verwaltungsbeamte aller Couleur werden vom Konzern und seinen Tochtergesellschaften mit einem Zubrot versorgt.

Einen nennenswerten Einfluß auf die Geschäftspolitik durch die atomkritische Parteilinie hatte die Beteiligung Dutzender SPD-Politiker an den RWE- und VEW-Gremien nicht. Energieexperten sprechen von der „Unmöglichkeit der kommunalen Einflußnahme“ auf die Geschäftspolitik der Stromkonzerne, die nur nach wirtschaftlichen Kriterien handeln. Doch die Verflechtung mit den Genossen ist geblieben: Im RWE-Vorstand ist der ehemalige SPD-Oberstadtdirektor von Duisburg, Richard Klein, zuständig für den Unternehmensbereich Umweltdienstleistungen. Klaus Bussfeld, ehemaliger sozialdemokratischer Oberstadtdirektor von Gelsenkirchen, sitzt im Vorstand der RWE Energie, die unter anderem das AKW Gundremmingen und die stillgelegten Reaktoren Kalkar, Mülheim-Kärlich und den französischen Super-Phenix verantwortet. Im Aufsichtsrat der RWE wiederum sitzen der SPD-Landtagsabgeordnete Wilhelm Nowak und der Genosse Oberbürgermeister von Leverkusen, Walter Mende.

Daß der Stromgigant Nummer eins in seiner Geschäftspolitik das Gegenteil der SPD-Meinung zur Atomkraft praktiziert, führt der umweltpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Michael Müller, auf „legalisierte und institutionalisierte Korruption“ zurück. Die SPD-Mitglieder in den Gremien, die „nie mehr als ein Drittel der Stimmen ausmachten“, würden von den Sachzwängen zur Räson gebracht. Es sei „das sozialdemokratische Dilemma, sich die Hände schmutzig zu machen, weil man meint, etwas bewirken zu können“.

Auch bei den VEW in Dortmund ist die Nähe zur SPD deutlich. An der Spitze des Konzerns, der 27 Prozent seines Stroms aus Atomkraft erzeugt, stand bis Dezember vorigen Jahres der ehemalige Schatzmeister der NRW-SPD, Fritz Ziegler. Er wurde 1990 von den Sozialdemokraten in den Vorstand gehievt und von seinen Parteifreunden im Aufsichtsrat, Günter Samtlebe, dem Oberbürgermeister von Dortmund, und dem Herner OB Wolfgang Becker kontrolliert. Im Herbst 1998 geriet Ziegler wegen des Verdachts der privaten Steuerhinterziehung ins Visier der Staatsanwaltschaft und in Untersuchungshaft. Für ihn rückt demnächst der ehemalige SPD-Wirtschaftsminister von Brandenburg, Burkhard Dreher, in den Vorstand nach. Im Verwaltungsbeirat der VEW schließlich findet sich die regionale Prominenz: Neben CDU-Vertretern beraten etwa die SPD-BürgermeisterInnen von Dortmund, Münster, Recklinghausen, Lünen, Hattingen, Witten, Herten und Hamm den Konzern.

Im Landesvorstand der SPD Nordrhein-Westfalen gibt es „keine kritische Debatte“ über die Beteiligung von SPD-Politikern an den Stromunternehmen, sagt SPD-Sprecher Stefan Lennardt. Im Gegenteil: „Wir sind stolz darauf, daß wir mit dem Atomausstieg weit vorn sind. In NRW gibt es schließlich keine Atomkraftwerke mehr“ – die Miliardenruinen in Kalkar und Hamm-Uentrop sind vergessen.

Das Gedächtnis des grünen Vorstandssprechers von NRW, Reiner Priggen, reicht weiter zurück. Er hat beobachtet, wie die SPD die Energieversorger als Endlager für ausgebrannte Kommunal- und Landespolitiker benutzt. „Das Herrschaftssystem von SPD und Stromkonzernen funktioniert so: Die Politiker setzen die Vorstellungen der Konzerne um und wechseln dann für die letzten zehn Jahre ihrer Karriere auf einen lukrativen Posten bei den Energieversorgern.“ Da steige dann der Umweltsprecher der Fraktion für 400.000 Mark im Jahr bei der Firma ein, der er in seiner Amtszeit die nötigen Genehmigungen erteilt habe. Schließlich, so Priggen, sei in NRW auch der Einfluß der Gewerkschaften als „Kampftruppen der SPD“ auf die Geschäftspolitik der Stromkonzerne nicht zu unterschätzen. Selbst aus der SPD heißt es zur Politik der IG Bergbau, Chemie und Energie (IGBCE): „Mit Atomausstieg ist da nichts.“

Die Verflechtung ist nicht auf das Energieland Nordrhein-Westfalen beschränkt. Auch in den SPD-Bastionen in Norddeutschland sind die Beziehungen gut. Die PreussenElektra etwa ist eine 100prozentige Tochter des Veba-Konzerns, der in Niedersachsen und Schleswig-Holstein unter anderem die Atomkraftwerke Brokdorf, Grohnde, Lingen und Unterweser am Netz hält. In ihrem Aufsichtsrat sitzen nicht nur die Vertreter des Eigentümers, also der Veba, sondern auch die Größen aus der Landespolitik, um „die Tradition der guten Zusammenarbeit mit den Ländervertretern“ zu garantieren, wie es offiziell seitens des Unternehmens heißt.

Im Aufsichtsrat in Hannover trifft sich also der niedersächsische SPD-Ministerpräsident Gerhard Glogowski mit dem SPD-Minister für Finanzen und Energie aus Schleswig-Holstein, Claus Möller. Außerdem leistet sich die PreussenElektra einen Beirat, dessen Mitglieder für „zwei bis drei Sitzungen und ein gutes Abendessen jährlich 30.000 Mark kassieren“, wie ein Mitglied sagt. In dem fünfundzwanzigköpfigen Goodwill-Gremium ist die SPD ebenfalls gut vertreten: durch den niedersächsischen Wirtschaftsminister Peter Fischer, den Bürgermeister von Leer, Günther Boekhoff, den Oberkreisdirektor von Wolfenbüttel, Ernst-Hartmut Koneffke und die Bremer Umweltsenatorin Christine Wischer.

Das vielleicht drastischste Beispiel eines Atomkonzerns, dessen Anteile lange von Genossen kontrolliert wurden, sind die Hamburger Elektrizitätswerke (HEW). Obwohl 72 Prozent der Anteile in Landesbesitz sind, scheiterte der Hamburger Bürgermeister Hans-Ulrich Klose 1981 mit dem Versuch, das Unternehmen zum Ausstieg aus dem Projekt Brokdorf zu bewegen. Statt dessen trat Klose zurück. Erst 1992 schrieb Hamburg seinem Unternehmen, das an den Atomkraftwerken Krümmel, Brokdorf, Brunsbüttel und Stade beteiligt ist, in die Satzung: „... auf Kernenergie so zügig verzichten, wie dies rechtlich und wirtschaftlich vertretbar ist.“

Sieben Jahre später hält der Hamburger Senat immer noch die Stimmenmehrheit von 50,2 Prozent. Die traditionell SPD-dominierte Stadtregierung stellt auch heute noch den Ersten Bürgermeister der Freien und Hansestadt, Ortwind Runde, als Aufsichtsratsvorsitzenden. An der Geschäftspolitik hat das allerdings nichts geändert. Der HEW-Vorstandsvorsitzende Manfred Timm zeigte erst im März bei den Diskussionen um den Atomausstieg, wie wenig er von politischen Beschlüssen seiner Eigentümer und seiner Satzung hält: Ein vorzeitiges Abschalten seiner Atommeiler, so Timm, komme für ihn nicht in Frage.

Bernhard Pötter, 33, ist Redakteur für Wirtschaft und Umwelt bei der taz.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen