Genießen statt schwitzen: Kühl bleiben
Der Trend dieses Sommers ist „Coolcation“. Denn wer fährt schon in den heißesten Wochen des Jahres in Gegenden, die besonders heiß sind?
K lar, früher war alles schon mal da, es hieß nur anders: „Bouldern“ war Klettern, „Hiken“ Bergwandern, „Urban Gardening“ Gartenarbeit – und „Coolcation“ eben schlicht Sommerfrische.
Und doch ist bei dieser von den touristischen Fachmagazinen und sozialen Medien ausgerufene Trendsynthese von „cool“ und „vacation“ die Lage etwas anders. Denn die Sehnsucht, im Sommer eben gerade nicht dahin zu fahren, wo ein stabiles Hoch für entsprechend hochsommerliche Temperaturen sorgt, ist dem Klimawandel geschuldet. Gewiss war es auch schon vor 30 oder 50 Jahren eine Herausforderung, der sich im Wesentlichen Touristen unterzogen, den August in einer der italienischen Kunststädte zu verbringen.
Wenn nun aber etwa die Sommermonate in Rom konstant Tagestemperaturen nahe 40 Grad liefern und die Nächte keine echte Abkühlung mehr bieten, dann sprechen selbst die hitzebeständigen Einheimischen schlicht von „Lockdown“ und bleiben von den frühen Morgenstunden abgesehen zu Hause beziehungsweise in geschlossen Räumen mit der Klimaanlage auf Höchststufe.
Paradoxerweise scheint also die menschengemachte, künstliche Erderwärmung die Gattung Mensch zu einem natürlichen Verhalten zurückzuführen – nicht umsonst verbringen Wildschweine die heißen Stunden des Tages am liebsten in schattig-schlammigen Fennen oder Pfuhlen.
Deutschland vorn – theoretisch
Bei weiter sich verringernder Schneemenge dürfte der Trend auch auf den Winterurlaub übergreifen: Nie wäre der mittelalterliche Mensch auf die Idee gekommen, ausgerechnet in der kalten Jahreszeit sich den Gefahren der Bergwelt auszusetzen; wenn es künftig keinen Schnee mehr gibt, braucht man sich entsprechend auch nicht auf die Gipfel schleppen zu lassen, um anschließend eh nicht von ihnen herunterrutschen zu können.
Deutschland könnte von dieser Entwicklung profitieren – theoretisch. Wer wie der Autor seinen Urlaub auf einer Nordseeinsel beziehungsweise im Bayerischen Oberland verbracht hat, verlebte wunderbar milde, erholsame Tage, laue Nächte und frische Morgen, mit zwischendurch ein paar hübschen Wölkchen und mehr malerischen als bedrohlichen Gewittern.
Zwischen diesen Destinationen lagen allerdings Reisen mit der dysfunktionalen Deutschen Bahn, die den Erholungswert beträchtlich verringerten. Denn selbst bei angenehmen 25 Grad Außentemperatur entspricht ein ICE-Abteil mit ausgefallener Klimaanlage einem Aufenthalt an einem der voll belegten Adriagrills.
Vielleicht ist es aber gerade dieser heruntergewirtschafteten Infrastruktur zu verdanken, dass man zwei Stunden nördlich von Hamburg und vierzig Minuten südlich von München an menschenleeren Stränden und einsamen Seen wandeln darf, während „der große Haufen sich, in überengen / Behältern drangvoll duldend wie auf Viehtransporten, / Aus Deutschlands nördlich milden Breiten oder Längen / Hinquält zu seinen grauenhaften Urlaubsorten“, wie es der Dichter Peter Hacks einst in seinem Gedicht „Rote Sommer“ so passend beschrieb.
Ob die Neuauflage der Sommerfrische dauerhaft ein Geheimtipp bleiben wird? Wünschenswert ist das nicht. So wie man nur wirklich frei sein kann, wenn alle frei sind, so ist Erholung ein Grundrecht, das allen Menschen zusteht – und nicht zuletzt der Natur selbst: Ein Mittelmeerraum, der im Sommer zwar in der Mörderhitze flimmert, dessen Rhythmus sich aber entsprechend verlangsamt, der vor dem Ansturm des Massentourismus verschont bleibt und Zeit zum Regenerieren hat, ist selbst unter ökonomischen Gesichtspunkten keine schlimmere Vorstellung als ein besinnungslos Richtung Hitzekollaps taumelndes System. Und Rom ist nie schöner als einem klaren Tag im Januar.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Streit in der SPD über Kanzlerkandidatur
Die Verunsicherung
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit