Fischsterben in Italien: Notstand in der Perle der Toskana

Nach dem großen Fischsterben in der Lagune von Orbetello leckt die Region ihre Wunden. 35 Grad warmes Wasser tötetet fast alles Leben.

Sardinen-Schwarm im Meer vor Italiens Küste

Ein Sardinen-Schwarm vor der italienischen Küste Foto: imago

Berlin taz | Jetzt liegt die Lagune still unter der Augustsonne, als wäre nichts geschehen. Doch Ende Juli hat ein großes Fischsterben apokalyptische Züge angenommen. Die italienischen Medien sprechen wahlweise von „Inferno“ und „Disastro“. Videoaufnahmen zeigten ein Meer aus Fischkadavern soweit das Auge reicht. Ungezählte Tonnen Fische, die qualvoll erstickt sind und über viele Tage im Wasser trieben.

Zuvor, so heißt es, seien sie auf panischer Suche nach Sauerstoff zu Tausenden an die Wasseroberfläche geschwommen. Doch bei Wassertemperaturen von nie dagewesenen 35 Grad war die Lagune von Orbetello umgekippt. Der reiche Fischbestand des Gewässers, in dem auch viele Aquakultur-Anlagen stehen, hatte keine Chance.

Für die Region wurde der Ausnahmezustand ausgerufen. Der Gestank der Verwesung war kilometerweit bis in den Nachbarorte Feniglia und Ansedonia zu riechen. Auch dort waren die sonst dicht bevölkerten Strände fast leer. Unter großen Anstrengungen wurden die Kadaver schließlich zusammengetrieben und entsorgt. Es werde viele Jahre dauern, sagen die örtlichen Fischer, bis die Fischbestände sich erholen, ein Millionenschaden.

Alarm für die Tourismus-Branche

Aber nicht nur für die Fischerei, auch für den Tourismus ist das ein schwerer Hieb. Die malerische Lagune, unweit von Grosseto, gilt als Perle der Toskana. Ein Badeparadies und Naturschutzgebiet mit mehr als 200 Vogelarten, die im Süß- und Salzwassergemisch der Lagune heimisch sind. Der Strand von Orbetello zählt zu den schönsten Italiens. Doch stinkende Kadaver und Urlaubsfreuden vertragen sich schlecht. Und wer will sich im 35 Grad warmen Wasser noch erfrischen? Die Tourismus-Branche ist alarmiert.

Unmittelbar nach der Katastrophe hatte die örtliche Bürgerinitiative „Collettivo Kairós“ zu einer Protestkundgebung aufgerufen. „Wir wollen die Bürger darauf aufmerksam machen, was mit unserer Lagune passiert ist, ihnen eine Stimme geben“, erklärt Stella Traupe vom Kairos-Kollektiv, „wir müssen das Umweltbewusstsein schärfen“. Mehr als 300 Einwohnerinnen und Einwohner versammelten sich auf der überfüllten Piazza del Plebiscito, um den Rücktritt des gesamten Gemeinderats zu fordern. Ihm wird vorgeworfen, die Katastrophe zu verharmlosen, um den Tourismus nicht zu gefährden.

Jetzt soll nach den komplexen Ursachen des Fischsterbens gesucht werden. „Wir müssen lernen, die Lagune als Ökosystem zu verstehen, von dem wir ein Teil sind“, erklärt die Initiative. Die hohen Temperaturen sind offenbar nur ein Teil der Misere. Die Einleitung von kommunalen Abwässern und die Exkremente und Futterreste der Aquakulturen kommen dazu, sie werden dafür mit verantwortlich gemacht, dass der Sauerstoff in der Lagune schwand.

Orbetello ist ein spektakulärer Hotspot der großen Krise am gesamten Mittelmeer, das sich schneller erwärmt als die großen Ozeane. Schon vergangenes Jahr wurden Wassertemperaturen im offenen Meer von bis zu 30 Grad gemessen. Im Schnitt war das Mittelmeer vier Grad wärmer als das langjährige Mittel. Und 2024 ist nochmals wärmer.

Die „Tropikalisierung“ des Mittelmeers

Auch auf Sardinien klingeln in den Lagunen von Oristano wegen der Hitze die Alarmglocken. In Apulien ist die Muschelproduktion in Gefahr. Und die Fischer an fast allen Küstenabschnitten Italiens müssen immer weiter hinausfahren, um Beute zu machen, weil die Fischbestände sich in kühleres Wasser zurückziehen. Die Treibstoffkosten explodieren. Zudem sind in den vergangenen Jahren 800 gebietsfremde Fischarten ins Mittelmeer eingewandert, die teilweise große Probleme bereiten. Darunter sind viele tropische Arten, für die es keinen Markt gibt. Schon macht das Schlagwort der „Tropikalisierung“ des Mittelmeers die Runde.

Die Meere sind „die Frontlinie des Klimawandels““, sagt UN-Generalsekretär António Guterres. Und: „Wir müssen das Wettrennen gegen den Notstand der Ozeane gewinnen.“

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