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Generaldebatte im BundestagVertauschte Rollen

CDU-Chef Merz wirkte bei der Generaldebatte im Bundestag gebremst, der unterkühlte Kanzler entfesselt. Die AfD sehnt sich nach der Katastrophe.

Friedrich Merz spricht in der Generaldebatte zum Haushalt im Bundestag Foto: Michael Kappeler/dpa

Berlin taz | Die Generaldebatte ist der Bierzeltmoment im Parlament. Es geht, mehr als sonst, um Angriff und Rhetorik. Friedrich Merz hat als Oppositionsführer die krachenden Attacke, die beißende Kritik an der Regierung wieder auf Niveau gebracht. Doch am Mittwoch Morgen wirkt er erst einmal etwas verhalten. Für den nicht ganz taufrischen Vorwurf, die Scholz-Regierung liefere der Ukraine zu wenig schwere Waffen, zitiert er sehr lange ein Zeitungsinterview mit Politikwissenschaftler Herfried Münkler. Hatte der Kanzler nicht kürzlich vor einem Gepard-Panzer für die Fotografen posiert?

Merz greift die offenen Flanken der Regierung an – da bietet sich die Atomkraft überdeutlich an. Der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck, der etwas zerknittert auf der Regierungsbank sitzt, hat sich angesichts der Energiekrise zum Reservebetrieb für zwei AKWs durchgerungen. Sein Koalitionspartner FDP will die AKWs aber lieber gleich mehrere Jahre länger laufen lassen. Eine gespaltene Regierung – ein Geschenk für die Opposition.

Merz beteuert, niemand wolle zurück zur Kernenergie – fordert aber, wie die FDP, dass die drei AKWs, die „die sichersten der Welt“ seien, mit neuen Brennstäben Jahre länger laufen. Nur der Reservebetrieb sei unverantwortlich. „Stoppen Sie diesen Irrsinn, Herr Bundeskanzler“, ruft der CDU-Mann am Ende – eine wohlgesetzte Klimax im Bierzeltmodus. Dass die Atomkraft nur sechs Prozent der Stromproduktion in Deutschland ausmacht, geht in diesem Trommelwirbel unter.

Insgesamt fehlt Merz Rede alles, was man sonst von ihm erwarten kann: die spontane Zuspitzung, die überraschende Pointe, die originelle Bösartigkeit. Auch der Seitenhieb auf Habeck, der sich nach dem unglücklichen Auftritt bei „Maischberger“ als Hämeopfer geradezu anbietet, wirkt gesucht. Er nennt Habeck „den Minister, dem man beim Denken zusehen kann“.

Kein leichter Gegner

Olaf Scholz, bekanntlich nüchtern und technokratisch, liegt das Bierzelthafte nicht. Der Kanzler betont, dass man das Nötige tue, Pipelines und LNG-Terminals baue. Er verteidigt routiniert das Entlastungspaket. So weit, so erwartbar. Dann aber stürzt er sich auf Merz, als gäbe es kein Morgen. Die Regierung tut zu wenig? „Wir haben das Problem schon gelöst, bevor Sie überhaupt verstanden haben, dass wir ein Energieproblem haben!“, ruft er und schneidet mit dem Arm die Luft entzwei. Diese fetzig-arrogante Formulierung gefällt Scholz so gut, dass er sie glatt noch vier Mal wiederholt – was zu viel ist.

Die Union, so Scholz, sei zudem an dem Debakel schuld, weil sie die Energiewende verschleppt und jedes Windrad verhindern wollte. Die CSU habe „heroisch gegen Stromleitung in den Süden“ gekämpft. Das sind zwar die Schlachten von gestern. Aber der Kanzler dreht damit die Rollen um: Der Angegriffene wird zum Angreifer.

Insgesamt fehlt Merz Rede alles, was man sonst von ihm erwarten kann: die spontane Zuspitzung, die überraschende Pointe, die originelle Bösartigkeit

In Sachen Waffen und Ukraine verweist Scholz kühl auf US-Präsident Joe Bidens nüchternen Text in der New York Times. Deutschland werde die Ukraine so lange wie nötig mit Waffen versorgen, aber, ganz im Sinne Bidens, ohne blindlings eine Eskalation zwischen Russland und der Nato zu riskieren. Der transatlantische Gestus schützt. Merz Angriff wegen der schweren Waffen verhallt geräuschlos.

Es ist ein Schlagabtausch mit vertauschten Positionen. Merz verhalten, der Kanzler entfesselt. Das ist nur eine Momentaufnahme, verstärkt durch die Erwartungshaltung, dass Merz ein blendender Redner ist, Scholz nicht. Aber dieser Mittwochvormittag zeigt, dass es vorschnell ist, den Kanzler abzuschreiben. Er ist kein leichter Gegner.

„Steigbügelhalter“ russischer Propaganda

Und die Opposition? AfD-Fraktionschefin Alice Weidel sieht die mittelständische Wirtschaft „vor dem Zusammenbruch“. Inflation und Krise, so Weidel, „zerstören die bürgerliche Mittelschicht.“ Wenn man der AfD-Chefin glaubt, ähnelt Deutschland 2022 dem von Hyperinflation und Hunger gebeutelten Deutschland 1923. Ein Land vor dem Abgrund, nun zertrümmert von grünen Ideologen, die die Wirtschaft ruinieren, Staatsfinanzen sowieso. Es ist die übliche Mixtur aus Neoliberalismus, Putin-Fantum und Klimaleugnerei. Aber auch für AfD-Verhältnisse bizarr.

Die Rechtsextremen spekulieren mit dieser überbordenden Katastrophenrhetorik darauf, die Krise in einen Energieschub für sich selbst zu verwandeln. Der grüne Andreas Audretsch attestiert Weidel und Tino Chrupalla, in dessen Rede Putin als Opfer westlicher Sanktionen erscheint, später „Steigbügelhalter für russische Propaganda“ zu sein.

Die Linkspartei hat es im Schatten von AfD, Scholz und Merz nicht leicht, überhaupt sichtbar zu werden. Fraktionschefin Amira Mohamed Ali fordert, wie üblich, das Ende der Schuldenbremse, eine Vermögenssteuer, mehr Geld für Arme. Und sie garniert diesen überraschungsfreien Katalog mit einer sterilen Empörungsvokabel. Das Entlastungspaket sei „eine Frechheit“ und „ein Witz“ Es ist ein lustloser, bemühter Auftritt, von dem kaum etwas hängen bleibt. So wird die Linkspartei den sozialen Protest nicht kanalisieren können.

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16 Kommentare

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  • Merz zu Habeck: „den Minister, dem man beim Denken zusehen kann“.



    Genau das macht den unterschied zu Merz !



    Außer Meckern und Geschrei ... nichts !



    Oder aber: Merz noch im März:



    "Gasembargo sofort !!!



    1/2 Jahr später ... Atomkraft weiterlaufen lassen !



    Nur spalten, moppern ohne eigene Vorschläge ... weil er es halt nicht weiß !



    Nur warme Luft ! Oh heilige Einfalt !

    • @Thüringer:

      Die einen ertragen nicht auszurottene Monarchien, die anderen repräsentative Demokratien...



      Gut hat es - wer die Kunst versteht und trotzdem glücklich damit lebt .

  • Danke für diese Zusammenfassung für die Leute, die sich nicht gern solche Reden live "antun" wollen.

    Scholz ist also nicht immer voll entspannt ... das war eigentlich klar, wenn man seine Mimik deutet.

    Gut, dass er die Politik der Regierung vehement vertritt.

    Und dem feinen Herrn Merz mal die Meinung sagt.

  • Es freut mich, dass der Kanzler mal Contra gibt.



    Ob Alles immer optimal läuft, sei dahin gestellt, wer kann das für sich in Anspruch nehmen?!



    Untätigkeit kann man der Ampel jedoch nicht vorwerfen.



    In einer Zeit, wo eine Krise der nächsten folgt, folgt eine Entscheidung auf die nächste.



    Herr Merz trägt derzeit weder Verantwortung noch hat er neben Reden schreiben nennenswerte Arbeit.



    Was nämlich hinter Haushalt, Entlastungspaketen, Ringtausch, etc . steht, ist:Arbeit, Arbeit, Arbeit!



    Von der Tribüne ist leicht rufen, aber das Spiel ist auf dem Platz.

    • @Philippo1000:

      Ihre Kenntnis des Deutschen Bundestages ist mangelhaft. Der Bundestag ist ein Arbeitsparlament. de.wikipedia.org/wiki/Arbeitsparlament in dem alle Parteien einbezogen sind, auch die Opposition

      Nur Populisten, linke wie rechte, betrachten den Bundestag als Schwatzbude

  • Danke fürs Fotto!

    Ja - sprach der Lehrer Lämpel -



    m.media-amazon.com...jLQMYL._SL500_.jpg



    “Merz. Lümmel von der letzten Bank!“



    “…das ist wieder ein Exempel!“



    & echt was krank - 🖕-



    Der a 🥱 & a 🥱 - pubi-autoritäre Zeigefinger -



    War doch bei dir selbst - noch nie ein Bringer.



    Fake-getuntes Mopädche - un nie Lederjacke!



    Nö. “Letzter Halt! Brilon 🌳 🌲 🌳 - 🙀🥳 - 🤬 -



    Hauste immer gerne auffe 💩 💩💩 -



    Doch läßt dess - doch selbst dei ahl Oma kalt.



    Cum-Ex & ex&Hopp - mach einfachzu dei Kopp!

    kurz - Ab in die Wanne -=> Abg-Niedereimer •



    & ahl Schwaadlapp - kurz&knapp =>‘



    Dess sei für sojet Labbes* - dei letzter Reimer!

    unterm—- servíce —-*



    Labbes - langer pubertärer Junge, flegelhafter Junge; "Labbese" auch Name einer erfolgreichen Band aus Bergisch Gladbach.



    & Däh



    encrypted-tbn0.gst...TCeCfOyjg&usqp=CAU



    Liggers. Mit der Zeit wird alles heil!



    Nur du Cum-Ex-Pfeife kriegst hoffentlich bald dein Teil!

    • @Lowandorder:

      Man darf die ‚Es-hat-keine-Polizeigewalt-gegeben‘ - Rhetorik nicht vergessen, ebenso wenig wie die über den Tod hinaus fortgeführte Anwendung von Brechmitteln. Ohne EU-Gerichtshof wahrscheinlich noch heute Gang und Gäbe. Beides Mittelfinger an alle Opfer der jeweiligen Folter- und Gewalteinsätze. Nun Lobhudeleien weil Herr S. Herrn Merz hat schlecht da stehen lassen? Dass du Feind meines Feindes bist, macht dich nicht zu meinem Freund, mein Freund. Ende aus Micky Maus, Erinnerungslücken mit Stinkefingern füllen und freudig weiter Richtung Zukunftsklima schreiten. Man kennt’s...

      • @outsourced:

        Sach mal so: exGröfimaz Oil of Olaf I. zu HH & G 20 - ist für mich - wie hier im around häufig ausgeführt - ein ziemliches Brechmittel •



        Sorry - aber vergessen ist da nix - beim Tuchfabrikantensohn aus HH-Rahlstedt!







        Gleichwohl ist er in dieser B-Mannschaft einer exekutiven Laienschauspielschar -



        cum grano salis - der einzige Profi & ~ Besonnene! - bis dato! Woll.



        Und leise knarrzt des Holzgewinde - 💨

        Hingegen spielt dieser Charakterlose Reaktionär aus Westfälisch Sibirien (hab da 9 1/2 Jahre gelebt) in einer so ganz andern subobtimalen Schwarzfrontliga •



        Gellewelle&Wollnichtwoll!



        & Däh!



        Kaltschnäuziger Opportunist 🤢🤮🤑 -



        Das paßt auf keinen Deckel •

  • Hallo zusammen,



    zuerst ein Lob: Eine sehr gute Zusammenfassung der Generaldebatte!



    Olaf Scholz sollte öfters solche Reden halten, auch wenn er sich mehrfach wiederholte und sich öfters verhaspelt hat. Dadurch wurde er mir deutlich sympathischer und klarer in seiner politischen Position. (Und ja, ich hoffe, dass sich alles zum guten wenden wird)

  • Genial ist die Taktik des Transatlantikers Scholz, dem Transatlantiker Merz in die Flanke zu reiten, dass doch Biden höchstselbst die Art und Weise der Waffenlieferung durch die Bundesregierung lobt.



    Wenn Biden zufrieden ist, muss Merz es auch sein. Und Baerbock sowieso.

    • @Rolf B.:

      Ich finde es stets recht amüsant wie „Transatlantiker“ hier oft als etwas vermeintlich dubioses betont wird…dabei dürfte selbst den größten NATO-Skeptikern spätestens seit dem Ukraine-Krieg klar sein dass die transatlantische Westbindung das Beste ist was uns diesbezüglich passieren konnte.

      • @Saile:

        Klar - schon im ollen Rom sprach mann amüsanterweise dieserhalb ja auch schon von Vasallenstaaten.



        & Angie wollte ja bekanntlich bei my dear friend Dubbelju - im Irak-Krieg mitmarschieren öh …lassen! Gellewelle.



        & die Lüchenmäuler GazpromGerd &



        entblödeten sich nicht - Schland das 2.Mal!! verfassungs&völkerrechtswidrig



        dabei Kriegspartei sein zu lassen. Woll!



        www.bverwg.de/210605U2WD12.04.0



        &



        www.wsws.org/de/ar...05/09/urt-s14.html



        &



        taz.de/Das-Voelker...-Kay-Nehm/!488913/

        kurz - Volkers 👄 tut gern sojet Wahrheit kund!



        “Schade Schade - Arschkriecherballade •



        & zu ehram Amüsemang =>



        ““Wie früher die Druckpresse hat heute das Fernsehen die Macht erlangt, zu bestimmen, in welcher Form Nachrichten übermittelt werden sollen, und es bestimmt auch, wie wir darauf reagieren sollen. Indem das Fernsehen die Nachrichten in Form einer Variétéveranstaltung präsentiert, regt es andere Medien zur Nachahmung an, so dass die gesamte Informationsumwelt das Fernsehen widerzuspiegeln beginnt.” (S. 138)



        Neil Postman “Wir amüsieren uns zu Tode.“



        & in aller Eitelkeit => Lovando =>



        taz.de/Kritik-an-d...anzlerin/!5844696/



        => 9. April 10:46 => pp



        servíce & Gern&Dannnichfür - 🙀🥳 -

  • Ich glaube das Wesentliche ist gesagt. Manchmal gibt es nicht mehr zu sagen. Ist auf Arbeit ja auch manchmal so. Heißt nicht dass die Positionen alle schwach sind.