Populistische Erzählungen in der Politik: Das Ende der Wahrhaftigkeit?

Neben Vertrauen und Glaubwürdigkeit braucht es in einer Demokratie vor allem Wahrhaftigkeit. Dass einem auch mal der Kragen platzt, kann nicht schaden.

Flammen erhellen am späten Abend ein Waldstück nahe Jüterbog

Wieder mal brennt der Wald bei Jüterbog Kunst: Thomas Schulz/dpa

In Jüterbog südlich von Berlin brennt mal wieder der Wald, die AfD fährt Umfragerekorde ein und der rot angelaufene Kopf des Kanzlers in Falkensee wird von vielen gleichsam als emotionales Wunder gefeiert. Diese drei Ereignisse haben mehr miteinander zu tun, als es auf den ersten Blick den Anschein erweckt. Bevor ich das auflösen kann, braucht es jedoch einen Ausflug ins politische Föjetong!

Ist Wahrhaftigkeit in einer Demokratie, neben Vertrauen und Glaubwürdigkeit, nicht die wichtigste Voraussetzung für gelungene Parteipolitik, gar Grundlage für die anderen beiden? Und sind nicht alle drei zusammen der entscheidende Impuls für die Stimmabgabe zugunsten einer Partei? Warum verhalten sich derzeit dann relevante politische Akteure so vorsätzlich demokratiegefährdend?

Bis auf die AfD stagnieren oder sinken die Werte aller im Bundestag vertretenen Parteien. Je mehr man die radikal Rechten imitiere, desto stärker mache man sie. Darin ist sich das Gros der Wissenschaft einig. Willkommen im derzeitigen Höhenrausch der AfD! Beim Umgang mit den Rechten erinnern mich Teile fast aller Parteien an Viehbauern, die – weil sie den Wolf so sehr fürchten – ihre Herde nicht etwa durch eine besonders clevere Zaunanlage sichern, sondern sich in Sicherheit wähnen, indem sie ihre Schafe kurzerhand selbst reißen.

Ganz nebenbei gräbt man dabei der Demokratie zugleich das Wasser ab

Zwei Beispiele für einen möglichen Ausweg: Die Pläne für eine gemeinsame Asylpolitik der EU erinnern an den sogenannten Asylkompromiss, den der Bundestag vor dreißig Jahren nach langer, hemmungsloser Auseinandersetzung verabschiedete. Mit der Drittstaatenregelung hatte sich Deutschland damals zunächst de facto komplett abgeschottet. Der Rest ist Geschichte, die Menschen kamen trotzdem, nicht erst 2015.

Bessere Lösung wäre möglich

Man glaubt es kaum, aber eine bessere Lösung wäre möglich, wenn auch erst mittelfristig wirksam: Die Ursachen von Flucht bekämpfen. Macht aber keiner, weil: It’s the economy, stupid! Wäre es nicht wahrhaftiger, in einem parteiübergreifenden Konsens diesseits der AfD der Gesellschaft die Zusammenhänge zwischen unserem Lebenswandel und der Situation der Menschen in ihren Ländern zu erklären und die daraus zu ziehenden Konsequenzen offenzulegen, um die Ursachen einzudämmen?

Beim Klima ein ähnliches Bild: In Jüterbog läuft es bislang zwar glimpflich ab, dennoch ließe sich auch am Beispiel dieses wiederkehrenden Infernos die Wucht des Klimawandels im Kleinen veranschaulichen. Kein Jahr vergeht, in dem sich nicht regional (Brandenburg und Ahrtal), national und in unserer (un)mittelbaren Nachbarschaft (Italien, Spanien) Katastrophen abspielen, anhand derer sich eine parteiübergreifende Erzählung rechtfertigen ließe, die die Wäh­le­r:in­nen davon überzeugen könnte, dass alle einstecken müssen und niemand verschont bleibe, Transformation und Anpassungen aber gemeinsam zu wuppen wären. Auch die Wissenschaft bestätigt den in diesem Fall tatsächlichen Sachzwang: ES.GIBT.KEINE.ALTERNATIVE.FÜR.DEUTSCHLAND!

Stattdessen wird populistischem Stuss das Wort geredet, wissenschaftliche Erkenntnisse werden verwässert, um einen scheinbaren Vorteil im politischen Wettbewerb zu erzielen. Ganz nebenbei gräbt man dabei der Demokratie zugleich das Wasser ab.

Womit wir wieder beim schreienden Scholz in Falkensee wären. Offenbar kann er nicht nur leisetreten und zaudern. Da lag so etwas wie Wahrhaftigkeit in der Luft, wenn auch aus Sicht mancher einige seiner Sätze diskussionswürdig waren. Viel erklärt hat er zwar nicht, aber er vertrat leidenschaftlich seine Haltung und erhöhte offenbar hierdurch auch seine Glaubwürdigkeit. Lautet die Schlussfolgerung am Ende also: Mehr Falkensee statt Tegernsee? Einen Versuch wäre es jedenfalls wert!

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Jahrgang 1976, Südhang Hindukusch. Berliner Junge. Schon als Kind im Widerstand gegen Exoten-Bonus und Kanaken-Malus. Heute als Autor und Producer zu unterschiedlichen Themenfeldern journalistisch tätig. Für TV, Print, Online und Bühne. Und fast immer politisch.

Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

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