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Geldforderungen der IndustrieVerschobene Fronten

Simon Poelchau
Kommentar von Simon Poelchau

Grüne, SPD, Gewerkschaften und jetzt der BDI haben es verstanden: Der Staat braucht mehr Geld. Die Union und die FDP tun sich schwer mit der Einsicht.

Will sogar Steuern senken: Christian Lindner (FDP) Foto: Michael Kappeler/dpa

D er Bund der Deutschen Industrie (BDI) will mal wieder nicht wenig: ein kreditfinanziertes Sondervermögen von 400 Milliarden Euro, damit die Wirtschaft sich fit machen kann für die klimaneutrale Zukunft. Damit setzt der BDI die FDP und auch die Union unter Druck, die sich gern als wirtschaftsnah geben – deren notorisches Festhalten an der Schuldenbremse aber nicht nur der progressiven politischen Konkurrenz gegen den Strich geht, sondern offenkundig auch der Wirtschaft.

Ein weiteres Sondervermögen neben dem Bundeshaushalt wäre effektiv ein Aufweichen der Schuldenbremse, ohne sich formal von ihr zu verabschieden. Dass der BDI sich gerade jetzt vehement dafür einsetzt, ist überraschend. Schließlich haben SPD und Grüne, die für kreditfinanzierte Investitionen in die Zukunft sind, bei der Europawahl massiv an Stimmen verloren. Das kann man auch als Votum gegen eine Wirtschaftspolitik sehen, die die Transformation der Industrie aktiv gestaltet.

Es ist aber einfach deutlich: Der Staat braucht mehr Mittel, um die anstehenden Aufgaben zu bewältigen. Mit ein bisschen Bürokratieabbau ist es nicht getan, wenn der Wirtschaftsstandort nachhaltig gesichert werden soll. Wenn es keine Mehrheit für eine Reform der Schuldenbremse gibt, braucht es für die notwendigen Investitionen ein kreditfinanziertes Sondervermögen. Schließlich wendet sich besonders die FDP auch dagegen, dem Bundeshaushalt durch höhere Steuern Spielraum zu verschaffen.

Im Gegenteil: Finanzminister Christian Lindner will sogar Steuern senken. So haben sich in der Wirtschaftspolitik die Allianzen verschoben. Auf der einen Seite sind Union und FDP. Auf der anderen Seite neben Grünen, SPD und Gewerkschaften jetzt auch der BDI. Während sich die einen um die Jobs von morgen sorgen, geht es den anderen um künftige Profite.

Union und FDP müssen ihren Widerstand gegen ein Aufweichen der Schuldenbremse aufgeben, wenn sie weiterhin behaupten wollen, dass sie Wirtschaftskompetenz haben. Denn die haben sie derzeit offensichtlich nicht.

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Simon Poelchau
Redakteur
ist für Ökonomie im taz-Ressort Wirtschaft und Umwelt zuständig.
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14 Kommentare

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  • Vielleicht sollten es die Herren von der Industrie einfach genauso machen, wie sie es dem Mindestlöhner vorbeten: Selber für die Zukunft vorsorgen (wobei beim Geringverdiener stets die gar nicht lustige Frage bleibt: Wovon eigentlich?). Aber das hieße die Ausschüttung an die Shareholder kürzen, was automatisch eine Reduzierung der eigenen Bezüge bedeuten würde. Beides ist selbstverständlich nicht zumutbar, da soll dann doch wieder der Löhner mit seinen Steuergeldern herhalten. Vor Jahrzehnten gab es noch Spuren von Anstand bei den damals vielgescholtenen "Bonzen". Davon ist heute nichts mehr übrig.

  • Dass die Wirtschaft gerne jammert und immer mal wieder mit irgendwelchen völlig überzogenen Forderungen kommt, ist ja nichts neues. Nun sind es 400 (!) Milliarden, ein Brüller.



    Einen Haufen Milliarden also, mit der wir Steuerzahler den Unternehmen unter die Arme greifen sollen. Einfach noch eine weitere gewaltige Umverteilung.

    Nein, Geld ist genügend vorhanden. Sowohl beim Staat, als auch in der Wirtschaft. So viel, wie noch nie zuvor.

  • Das Geld ist da würde es nich für Fahrradwege oder Kühlschränke ihrgendwo verpulfert werden. Oder die Millionen die sinnlos in zweifelhafte Demokratieprojekte ohne Nutzen verpulfert werden. Entwicklungshilfe etc auf den Prüfstand…

    • @Thomas Zwarkat:

      Die ist schon bewusst, dass es sich bei Entwicklungshilfe meist um Kredite handelt und keine Spenden und außerdem da zich Größenordnung bzgl des Betrages dazwischen liegen

    • @Thomas Zwarkat:

      Ihr Kommentar zeugt von einer beängstigenden Unkenntnis der finanziellen Größenordnungen im Bundeshaushalt.

      • @My Sharona:

        Ja deshalb haben wir auch in 2023 nur 33,9 mrd Euro allein über das Entwicklungsministererien zur Verfügung gestellt. Also schön noch die Hilfen aus dem Auswärtigen Amt und nicht zur vergessen aus dem Wirtschaftsministerium (die Kühlschränke kommen aus dem Budget ) dazuzählen. Also sind wir weit über dem Delta was der Bundeshaushalt 2024 und 2025 zusätzlich benötigt . Und ja ein Teil sind Kredite aber wer so argumentiert sollte sich mal die Kreditausfallquote anschauen die liegt z.B bei den afrikanischen Ländern bei über 90% und bei den südamerikanischen bei 75-80 % . Fakt ist ohne Entwicklungshilfe wäre ohne aufweichen der Schuldenbremse genug Geld da . In china wurde gerade im letzten Jahr auf die fällige Rückzahlung des Entwicklungkredites verzichtet, da wollte jemand nicht den wichtigsten Handelspartner wegen Peanuts verärgern…..

        • @Thomas Zwarkat:

          Sind 33,9 Mrd. nicht weniger als 10% von 400 Mrd? Wurden für die Differenz Kühlschränke gekauft? Oder ist gar das AA für die 360 Mrd. Differenz schuld?

          • @0 Substanz:

            die 400 MRD sind ja nicht das Haushaltsdefizit, das beträgt so zw. 20-40 MRD und soll für 2024 zu einem Teil über einen Nachtragshaushalt geschlossen werden In der Planung 2025 ist ein ebenso grosses Loch! Die 400 ;rd sind wieder eine dubiose Forderung um die Schuldenbremse fallen zu lassen und dann noch ungehemmter die Staatskasse für Geschenke an SPD /Grüne Wähler verteilen zu können. Alle wundern sich dass die junge Generation AFD gewählt, das könnte auch daran liegen dass Diese Generation die grosszügigen Geschenke an Rentner. Entwicklungshilfe , Kindergrundsicherung, Bürgergeld bezahlen müssen. Vielleicht haben die darauf einfach keinen Bock! und Frau Esken hat bei Markus Lanz eindeutig gesagt, dass Sie noch viel mehr Geld braucht um Ihre Projekte durchzubekommen

  • Die Vorschläge aus dem BDI lesen sich wie : Staatsaufgaben für Anfänger. Wir erklären den Politkaspern und realitätsfernen Beamten jetzt einmal, was sie machen sollen...



    Man kann gute Gründe finden, Politik und "oberste" Beamtenschaft für schlafmützig, ideologieblockiert und-oder inkompetent zu halten - aber das ein paar Angestellte eines Lobbyverbandes die Staatsaufgaben besser verstanden haben und planen können, das ist nun wirklich ein dickes Packet Hybris....

  • Zwei Aspekte:



    1. Die Industrie ist natürlich immer gerne bereit zuzugreifen, wenn Subventionen winken. Das Problem eines klimaneutralen Umbaus der Wirtschaft ist, daß Produktionsverfahren, die sich bisher gerechnet haben, durch Produktionsverfahren ersetzt werden sollen, die sich nur durch Subventionen rechnen werden. Es wird nicht in eine höhere Produktivität investiert, aus deren Erlösen sich die aufgenommenen Schulden künftig tilgen lassen.



    2. Die nachfolgenden Generationen werden schon genügend durch den demografischen Wandel und die dadurch steigenden Beiträge für Renten, Gesundheit, etc. belastet. Da muß man ihnen nicht noch weitere Schulden aufbürden.

    • @Pfennig:

      Sie haben ja so recht. Es ist wirklich besser den nachfolgenden Generationen einen Staat mit kaputter Infrastruktur zu vererben. Wer braucht schon, Schiene, Straße, Kliniken, Schulen, etc.?

    • @Pfennig:

      Ich denke auch, es ist wirklich besser, wenn wir die nachfolgenden Generationen durch ein sozial und infrastrukturell kaputtes Deutschland belasten.

    • @Pfennig:

      "Das Problem eines klimaneutralen Umbaus der Wirtschaft ist, daß Produktionsverfahren, die sich bisher gerechnet haben, durch Produktionsverfahren ersetzt werden sollen, die sich nur durch Subventionen rechnen werden."

      Was auf Dauer nicht funktioniert. Es ist wohl niemand bereit, einen Industriezweig künstlich durch Subventionen am Leben zu erhalten.

      Was nicht rentabel ist, geht weg. Wie früher auch schon (Elektronik, Kleider, Schuhe, Metallindustrie..) Alles andere macht keinen Sinn und lässt sich auch nicht finanzieren.