Geflüchtete und Rassismus: Nette Nachbarschaft
Der Bund feiert sich für die Aufnahme 1.500 Geflüchteter. Forscher*innen liefern nun einen Grund, warum Deutschland weniger knauserig sein sollte.
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Gleichgültigkeit tut in der Regel weh. Doch wenn sie statt einer erwarteten negativen Attitüde auftritt, erscheint sie plötzlich ganz attraktiv. Gleichgültigkeit ist sozusagen das Hauptergebnis einer neuen Studie von Forscher*innen aus Mannheim, Berlin und New York: Sie fanden heraus, dass die Aufnahme von Geflüchteten in ostdeutschen Gemeinden dort nicht zu veränderten Einstellungen gegenüber Migration führte.
Rassismus ist dort zwar nach wie vor hoch im Kurs – das ist die schlechte Nachricht –, aber eben unabhängig vom Zuzug Geflüchteter. Das Zusammenleben mit ihnen scheint also doch nicht so schlimm zu sein, wie gedacht.
Nun wundert es noch viel weniger, dass viele Gemeinden seit Monaten anbieten, Geflüchtete aufzunehmen. Doch Innenminister Horst Seehofer (CSU) wartete erst vergeblich auf die erstarrte EU, um sich letzte Woche dann mit der Ankündigung zu schmücken, 1.500 Menschen von den griechischen Inseln aufzunehmen. Warum so spät und so wenige? Das ist aus humanitärer Perspektive nicht zu beantworten. Und spätestens jetzt auch nicht aus der Perspektive der Menschen in Deutschland, die mit Geflüchteten leben: die Menschen, für die der Innenminister meint, Politik zu machen.
Die Forscher*innen, unter ihnen Max Schaub vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, haben sich für die Untersuchung über 230 kleine ostdeutsche Ortschaften angeschaut, weil sie den Auswirkungen auf die Gemeinschaft und die individuellen Einstellungen durch den Zuzug von Geflüchteten auf den Grund gehen wollten.
Extrem geringer Ausländeranteil im Osten
„Was ländliche Regionen im Osten so speziell macht, ist der extrem geringe Ausländeranteil“, sagt Schaub auf Nachfrage. Deswegen sei dort der Vorher-nachher-Vergleich gut möglich. Gemeinden, die 2015 und 2016 Geflüchtete aufgenommen hatten, wurden mit ansonsten sehr ähnlichen Gemeinden verglichen, die keine aufgenommen hatten.
Schaub und seine Kolleg*innen befragten 1.320 Menschen nach ihrer Einstellung zu Migration und klassischerweise dem rechten Gedankengut zugeordneten Thesen: Sollte Deutschland Geflüchtete aufnehmen? Wenn ja, welche? Sollte Kindergeld nur an Deutsche ausgezahlt werden? Sollte die Bevölkerung bei wichtigen Fragen direkt entscheiden, nicht die Politiker*innen?
Die Antworten unterschieden sich zwischen den beiden Gemeinde-Gruppen mit und ohne Geflüchtete so gut wie nicht; ebenso wenig die zusätzlich verglichenen Wahlergebnisse. Klar, es gab einen heftigen Rechtsruck, der sich stark an den Wahlergebnissen der AfD zeigte – aber eben überall.
„Der Effekt der Aufnahme von Geflüchteten erklärt den Rechtsruck nicht“, sagt Schaub. „Wir interpretieren die Ergebnisse so, dass die Menschen zwar kritisch gegenüber Migration eingestellt sind, aber sich eher um die Gesellschaft als Ganzes sorgen und nicht um ihr individuelles Wohlbefinden.“
Doch wenn der Rechtsruck nicht durch die neuen Nachbar*innen verursacht wird, woher kommt er dann? Die Theorien dazu sind vielfältig: Das Vertrauen in die politischen Eliten sinke. Die Sorgen der Menschen in den Jahren, in den viele Geflüchtete den Weg nach Europa fanden, würden nicht ernst genommen. Inwiefern diese Thesen zutreffen mögen – ihre Schlagkraft liegt nicht daran, dass einzelne Menschen nun in Deutschland leben. Wer diese Meinung vertritt, schürt bewusst eine Angst, die es nun auch laut der neuen Studie gar nicht gibt.
Es ist natürlich zwiespältig, dass wir diese Studie im Diskurs gut gebrauchen können, um ein weiteres Argument dafür zu haben, noch viel mehr Menschen in einem reichen Deutschland aufzunehmen, denen es an jeglicher Perspektive fehlt. Und dennoch ist es genau deswegen wichtig, dass es sie gibt.
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