Geflüchtete mit Ziel Großbritannien: Paris fordert legale Migrationswege
Frontex-Überwachung, Druck auf London, Jagd auf Flüchtlinge: Wie Frankreich auf das tödliche Drama im Ärmelkanal reagiert.
„Was sollen wir mit den Engländern machen? Sie sollen ihre Gesetzgebung ändern und ihre Verantwortung übernehmen.“ Am Sonntag hatte Darmanin in der Hafenstadt Calais mit Vertretern mehrerer EU-Länder über Reaktionen auf das Drama der vergangenen Woche beraten.
Die Runde beschloss, dass ab Mittwoch ein Flugzeug der EU-Grenzschutzbehörde Frontex den französischen Teil des Küstenstreifens am Ärmelkanal kontrollieren soll. Seit dem Brexit ist die nordfranzösische Seegrenze nämlich eine EU-Außengrenze.
Frankreich, Belgien, die Niederlande und Deutschland erklärten sich außerdem bereit, enger gegen Schlepper zusammenzuarbeiten. „Oft werden die Schlauchboote in Deutschland gekauft, das Geld kommt aus Belgien und die Schlepper wohnen in den Niederlanden“, beschrieb Darmanin die grenzüberschreitende Organisation.
Die britische Innenministerin Priti Patel fehlte bei dem Krisentreffen in Calais. Ihr französischer Kollege hatte sie ausgeladen, nachdem Premierminister Boris Johnson Frankreich über den Kurznachrichtendienst Twitter aufgefordert hatte, alle Bootsflüchtlinge zurückzunehmen. Dennoch wollte Darmanin die Sitzung nicht als gegen Großbritannien gerichtet verstanden wissen. „Wir wollen mit unseren britischen Freunden zusammenarbeiten“, versicherte der Innenminister.
Bertrand sieht Sogwirkung in Richtung Großbritannien
In diesem Jahr gelangten bereits rund 24.000 Geflüchtete über den Ärmelkanal nach Großbritannien – dreimal mehr als im Vorjahr. Laut dem 2003 mit Großbritannien geschlossenen Abkommen von Le Touquet überwachen französische Beamte die britische Außengrenze auf der französischen Seite des Ärmelkanals. Die Kontrollen werden von Großbritannien finanziert, das erst im Sommer knapp 63 Millionen Euro zusätzlich zusagte.
Die britische Regierung hält die Überwachung allerdings immer noch für zu lasch und fordert gemeinsame Polizeipatrouillen mit Frankreich, was die französische Seite ablehnt. Frankreich registriert pro Jahr laut Darmanin rund 150.000 Asylanträge. In Großbritannien seien es lediglich 30.000.
Die Kritik am Abkommen von Le Touquet wächst seit der Tragödie im Ärmelkanal. Der aussichtsreichste Anwärter auf die Präsidentschaftskandidatur, der konservativen Republikaner, Xavier Bertrand, kündigte an, die Vereinbarung im Falle seiner Wahl sofort aufzukündigen. Ähnlich wie Darmanin kritisierte er in einem Radiointerview den britischen Arbeitsmarkt. Neuankömmlinge fänden sofort eine Schwarzarbeit, was eine Sogwirkung Richtung Großbritannien entfalte.
Treibjagden auf Geflüchtete
Johnson hatte seinen Landsleuten versprochen, dass Großbritannien nach dem Brexit die Kontrolle über seine Grenzen übernehmen werde. Allerdings ist dies derzeit nur auf Kosten Frankreichs möglich, das die Rolle als britischer Grenzwächter nicht mehr spielen will.
Präsident Emmanuel Macron will unter französischer EU-Ratspräsidentschaft ab 1. Januar den EU-Migrationspakt vorantreiben. Er werde nicht zulassen, dass der Ärmelkanal ein „Friedhof“ werde, sagte er vergangene Woche.
Hilfsorganisationen kritisieren die „Militarisierung“ der Region um Calais, wo sich die meisten Geflüchteten aufhalten. Der Polizei werfen sie vor, die Asylsuchenden systematisch aus ihren Zelten zu vertreiben und ihnen ihr Hab und Gut wegzunehmen.
Ein Parlamentsbericht bestätigt diese Praxis und geht hart mit ihr ins Gericht. Auf die Geflüchteten würden wahre Treibjagden veranstaltet – „nicht um Wildschweine zu jagen, sondern Menschen wie uns“.
Von den 27 am Mittwoch Gestorbenen wurde bereits eine Frau identifiziert: Die Kurdin Maryam Nuri Hamadameen, die zu ihrem Verlobten in Großbritannien unterwegs war. Sie hatte auf legalem Weg kein Visum bekommen und war deshalb in dem untergegangenen Schlauchboot den Weg über das Wasser angetreten.
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