Geflüchtete in Deutschland: Kirchenasyl vor dem jüngsten Gericht
Bundesinnenminister Seehofer lädt zur Klärung, wie es mit dem Kirchenasyl weitergehen soll. Die Innenminister der Länder machen Druck.
Im Februar 2015 hatten sich das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) auf ein Verfahren für das Kirchenasyl verständigt. Es regelt bis ins Detail die Abläufe bei Kirchenasylen, von der sofortigen Meldung des Schutzsuchenden bei den Behörden über die Einreichung eines Dossiers bis hin zur nochmaligen Prüfung des jeweiligen Einzelfalls.
Einigen Bundesländern passte dies nicht: Sie sind zwar für die Abschiebungen zuständig, spielen beim Prüfverfahren aber keine Rolle. Im Dezember protestieren deshalb die Innenminister. Bei ihrer Sitzung in Leipzig stellten sie fest, dass „bei der Anzahl von Kirchenasylen keine grundlegende Verbesserung eingetreten ist“. Soll heißen: Es sind ihnen zu viele. Dies werde „in Teilen der Öffentlichkeit zunehmend kritisch betrachtet“.
Tatsächlich gibt es derzeit 445 aktive Kirchenasyle mit 674 Personen, davon sind 125 Kinder. 375 der Kirchenasyle sind sogenannte Dublin-Fälle, also Menschen, die nicht in ihr Herkunftsland, sondern in einen EU-Staat abgeschoben werden sollen. Diese Zahl sei im Vergleich zur Gesamtzahl der Schutzsuchenden „marginal“, sagt der Prälat Jüsten.
Doch die Innenminister machen schon länger Druck. Mehrfach wurden seit 2016 in Bayern Strafverfahren gegen Pfarrer eingeleitet. Auch in Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein ermitteln Staatsanwälte gegen Geistliche. Zuletzt musste sich im März ein Pfarrer in Rheinland-Pfalz wegen „Beihilfe zum illegalen Aufenthalt“ verantworten. „Wir sind sehr verwundert, dass es zu diesem Verfahren gekommen ist“, sagte der Sprecher der pfälzischen Landeskirche, Wolfgang Schumacher.
Der politische Druck nimmt zu
Das Oberlandesgericht München hatte Anfang Mai zwar die Praxis des Kirchenasyls grundsätzlich bestätigt. Doch der politische Druck nimmt zu und dürfte auch der Grund für die neue Gangart der Justiz gegen die Pfarrer sein.
Schleswig-Holsteins Innenminister Hans-Joachim Grote (CDU) etwa sagte, die Kirchen hätten sich „auf einen besonders sensiblen Umgang mit dem Instrument verständigt“, doch die Praxis erwecke „den Eindruck, dass dies nicht von allen Gemeinden verinnerlicht wurde“.
Über dem Gespräch am Freitag schwebt die Drohung der von Ländern und Innenministerium, die so genannte Überstellungsfrist von sechs auf 18 Monate zu erhöhen. Das würde die meisten Kirchenasyle faktisch aushebeln. Hintergrund ist, dass die Behörden derzeit sechs Monate Zeit haben, einen Flüchtling in einen anderen EU-Staat zurück zu schieben. Verstreicht diese Frist, darf er sein Verfahren in Deutschland betreiben – es sei denn, er ist untergetaucht. Bislang wertet das BAMF ein gemeldetes Kirchenasyl nicht als untertauchen. Doch das könnte sich ändern, hat das Bundesinnenministerium offenbar angedroht.
Die Kirchen hoffen, dies abzuwenden, indem die Bundesländer stärker am Verfahren beteiligt werden. „Wir wollen in gutem Einvernehmen mit den Ländern sein,“ sagt der Prälat Jüsten.
Doch das wird nicht so einfach. „Wir wollen auf keinen Fall am Kirchenasyl rütteln“, sagt etwa ein Sprecher von Schleswig-Holsteins Innenminister Grote. Die Kirchen sollten bloß „die Vereinbarung einhalten“. Nach Lesart Grotes schließt dies Kirchenasyl vor allem für Dublin-Fälle aus. „Da geht es um Rückschiebungen in demokratische Staaten, das kann ja gar kein Härtefall sein“, sagt Grotes Sprecher.
Die Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche besteht hingegen darauf, auch Dublin-Fälle schützen zu dürfen. Teils drohe diesen in Staaten wie Ungarn unmenschliche Behandlung, teils würden durch Dublin-Rückschiebungen Familien auseinander gerissen und häufig drohe eine „Kettenabschiebung“ – etwa erst nach Norwegen und dann weiter nach Afghanistan.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestellerautor will in den Bundestag
Nukleare Drohungen
Angst ist ein lautes Gefühl