: Gefahr Frau
Der Iran gilt als eine der Hochburgen des Fundamentalismus und der Frauenunterdrückung. Und doch könnte ausgerechnet die diffuse islamische Frauenbewegung zu einem Motor der Modernisierung werden. Von den Schwierigkeiten eines Balanceakts zwischen Islam und Feminismus
von FAHIMEH FARSAIE
Das iranische Volk hat am 18. Februar entschieden: In der fünften Legislaturperiode der Islamischen Republik bestimmen die Getreuen des Präsidenten Chatami über die Gesetze. Mehr als achtzig Prozent der Wahlberechtigten erteilten der Politik der konservativen Geistlichen und ihrer zivil gekleideten Verbündeten eine Absage. Besonders deutlich war diese Tendenz bei den Jugendlichen und den Frauen.
Die Frauen machten nur sieben Prozent der Parlamentskandidaten aus. Etliche der Kandidatinnen wurden zudem von den konservativen Wächterräten disqualifiziert. Sie seien nicht verfassungstreu gewesen, so die offizielle Begründung. Die von der Wahl ausgeschlossene Universitätsprofessorin Djaleh Shaditalab ist anderer Meinung: „Weil ich mich konsequent gegen die frauenfeindlichen Gesetze geäußert habe, bestrafen sie mich nun. Diese Gesetze bestreiten, dass Frauen auch Menschen sind. Unter meinen Kollegen sind sogar Männer, die uns fragen: ‚Was habt ihr Frauen in der Uni zu suchen?‘ “
Selbst der in Deutschland als Kritiker des islamischen Dogmatismus bekannte Islamwissenschaftler Abdolkarim Ssorusch betont: „Mann muss Mann und Frau muss Frau sein. Das ist eine der wichtigsten Kriterien in der Frau-Mann-Beziehung.“ Auch für die selbst ernannten religiösen Intellektuellen scheinen frauenspezifische Fragen ein sehr weites Feld zu sein. Der einflussreiche Sozialwissenschaftler Emadedin Baaghieie: „Wenn erst die Probleme der Menschen- und Bürgerrechte allgemein gelöst sind, wird auch die Frauenproblematik gelöst. Die Frauen müssen sich bewusst sein, dass ihr Engagement vielmehr zerstörend wirken würde, wenn sie die Rechte einer besonderen Schicht oder eines bestimmten Verbandes in der Vordergrund stellen. Was würde passieren, wenn jede Gruppe so denken und handeln würde? Das ist gefährlich!“
Um diese Gefahren abzuwenden, hat das von konservativen Abgeordneten dominierte Parlament in der zurückliegenden Legislaturperiode keine bedeutenden Gesetze zu Gunsten von Frauen verabschiedet. Im Gegenteil, die Exekutive nahm die bestehenden Gesetze zur Grundlage, den Frauen das Leben noch schwerer zu machen. Die Frauenrechtlerin Nahid Moti’e bezeichnet die Vorschriften der Sorgerechtsbehörden als „durch und durch rückständig“. „Sie betrachten die Mütter als Dienerinnen. Diese Vorschriften fungieren wie strenge Ehemänner, die ihre Frauen misstrauisch behandeln, sie verachten und ihnen stets Vorwürfe machen.“
Ausführendes Organ dieser Politik sind häufig männliche Sozialarbeiter, die von einer „gottgewollten“ Geschlechterordnung überzeugt sind. In einer von Nahid Moti’e durchgeführten und in der iranischen Frauenzeitschrift Zanan (Frauen) besprochenen Studie „Über die finanzielle, gesellschaftliche und rechtliche Situation allein stehender Mütter im Iran“ beklagt etwa „eine mittellose Frau mit fünf Kindern“, ihr Sozialarbeiter zwinge sie, mit zwei Kindern mit ihrem geistig behinderten und gefährlichen Mann weiter zusammenzuleben.
Vor drei Jahren bildeten muslimische Parlamentarierinnen eine parteiübergreifende „Frauenkommission“, um die miserable Situation zu ändern und gemeinsam „gerechte“ frauenspezifische Gesetzentwürfe vorzubereiten. Faeseh Haschemi, die Tochter des Expräsidenten Rafsandschani, zählte ebenso zu den Gründerinnen wie Nafisseh Faiasbachsch vom konservativen Flügel und drei Ärztinnen für Frauenheilkunde und Geburtshilfe. Die männlichen Abgeordneten begegneten diesem ersten parlamentarischen Frauenzusammenschluss von Anfang an mit Beschimpfungen, Beleidigungen und Drohungen. Vor kurzem reichte die Kommission die Novellierung des „Gesetzes über die Heirat von Minderjährigen“ ein, mit der die frauenfeindlichen Heiratsbedingungen für Mädchen geändert werden sollten – nach geltendem Recht dürfen Mädchen ab neun Jahren verheiratet werden. Der Widerstand gegen die Frauenkommission wuchs: Sie wolle die Grundsätze des Islams erschüttern.
In dieser giftigen Atmosphäre löste der Gesetzentwurf zum „Verbot der Instrumentalisierung der Frauen in Printmedien“ heftige Auseinandersetzungen aus. Nach diesem Entwurf sollte unter anderem die Abbildung von Frauengesichtern auf Zeitschriftentiteln verboten werden. Auch unter den Frauen der Kommission wurde kontrovers diskutiert: Haschemi äußerte sich gegen, Faiasbachsch für den Entwurf. Öffentliche Proteste und der Druck progressiver Medien führten dazu, dass der Entwurf vorerst ruht.
Die freundliche Zusammenarbeit der Frauenkommission war mit diesem Streit beendet. Die Animositäten zeigten sich unter anderem in einem Protestbrief von Nafisseh Faiasbachsch an eine Zeitung mit der Anweisung, die Redaktion dürfe ihren Namen in keiner Hinsicht mit dem von Faeseh Haschemi gleichrangig erwähnen: „Wir vertreten grundsätzlich kontroverse Meinungen.“ Die Kommission wird inzwischen in ironischer Anspielung auf die Mitgliedschaft der drei Ärztinnen „Kommission für Frauenheilkunde und Geburtshilfe“ genannt.
Tatsächlich fungierte die Frauenkommission des islamischen Parlaments als Geburtshelferin für neue Definitionen über die patriarchalisch-islamischen Diskurse, wie die traditionelle Geschlechterordnung, die allerlei Privilegien für Männer einräumt und nur die Pflichten der Frauen markiert. Die Devise lautete: antipatriarchalische islamisch legitimierte Gegendiskurse auszuarbeiten. Ein Motto, dem schon einige islamische Frauenzeitschriften in ihren Publikationen folgten. Anfangs wurden sie scharf attackiert, besonders von ihren männlichen Kollegen der halbstaatlichen Tageszeitung Keyhan (Die Welt) und vom Organ der konservativen Geistlichen Dschomhorie Islamie (Islamische Republik). Auch Angriffe von Hisbollahschlägertrupps kamen immer wieder vor.
Doch die islamischen Frauenzeitschriften erscheinen immer noch. Sie stellen frauenspezifische Forderungen nach Gesetzesänderungen, publizieren Stellungnahmen für und gegen die Verschleierung. Sie berichten über Misshandlungen von Frauen durch ihre Ehemänner und veröffentlichen Reportagen über Frauen, deren Männer sich ohne ihre Zustimmung scheiden lassen oder die nach der Scheidung kein Sorgerecht für ihre Kinder erhalten.
Die Herausgeberinnen dieser Frauenzeitschriften grenzen sich zwar stets vom „westlichen Feminismus“ ab, versuchen aber, eine islamische weibliche Identität zu entwickeln und in der Gesellschaft zu verankern, um so den Kampf für die Gleichberechtigung zu legitimieren. Vor allem ist es den islamischen Frauenzeitschriften gelungen, die herrschende patriarchale Definitionsmacht (ein Monopol der Geistlichen) in Frage zu stellen.
Was die Vertreter des orthodoxen islamischen Geschlechterdiskurses besonders in Rage bringt, ist die Tatsache, dass die Frauenzeitschriften die religiösen Texte grundsätzlich theoretisch kritisieren und aus Frauensicht neu interpretieren. Diese „Feministinnen“ rügen den traditionellen Diskurs, der Männern und Frauen gleiche Würde, aber unterschiedliche Rechte zuweise. Sie vertreten die Auffassung, dass die dominanten Vorstellungen von der Unterordnung der Frauen nur die jahrhundertealte patriarchalische Fehlinterpretation des göttlichen Rechts widerspiegeln.
Wie ihre Schwestern in arabischen Ländern propagieren sie ein selbstbewusstes und eigenwilliges Frauenbild. Als Vorbild nennen sie Beispiele aus der islamischen Frühgeschichte wie Sakineh, eine Enkelin, und Aischeh, die letzte Ehefrau des Propheten.
Natürlich vertreten nicht alle neun Frauenzeitschriften, die im Moment im Iran erscheinen, diese Einstellung. Sie bedienen aber in ihrer Vielstimmigkeit ein breites soziales Spektrum und versuchen dadurch, politischen Einfluss auszuüben. Die hohe Beteiligung der Frauen an der Parlamentswahl am 18. Februar zeigt, dass all diese islamisch-„feministischen“ Strömungen erfolgreiche Aufkärungsarbeit geleistet haben. Es bleibt offen, inwieweit das neu gewählte und von Chatamis Anhängern dominierte Parlament ihre Forderungen ernst nimmt und verwirklicht.
FAHIMEH FARSAIE, geboren 1952 in Teheran, saß unter der Schahherrschaft wegen einer Erzählung achtzehn Monate in Haft. 1983 gelang ihr vor dem Chomeiniregime die Flucht nach Berlin. Heute lebt sie als Autorin in Köln
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