piwik no script img

Gefährlicher IrrwegEuropäische Atomwaffen sind ein permanentes Dilemma

Gastkommentar von Florian Eblenkamp

Europa diskutiert über gemeinsame Nuklearwaffen. Doch die dadurch erhoffte Abschreckung ist unglaubwürdig – oder ein politischer Abgrund.

Wer glaubt, Paris riskiere sein eigenes Überleben, um Lettland oder Polen zu verteidigen, klammert sich an eine Illusion Foto: Daniel Cole/ap

D ie Debatte über ein europäisches Atomwaffenarsenal – sei es eine erweiterte französische Abschreckung oder eine eigenständige europäische Nuklearstreitmacht – beruht auf der Annahme, dass Atomwaffen Sicherheit schaffen. Doch diese Strategie widerspricht sich selbst: Abschreckung funktioniert nur, wenn glaubhaft vermittelt wird, dass eine Regierung bereit ist, massenhaften Tod zu verursachen.

Florian Eblenkamp

ist Advocacy Officer bei der Internationalen Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (ICAN). ICAN erhielt 2017 den Friedensnobelpreis für ihre Arbeit rund um den Atomwaffenverbotsvertrag.

Frankreichs Atomwaffen könnten nur abschreckend wirken, wenn Russland wirklich fürchtet, dass Paris im Ernstfall Millionen Menschen töten würde. Doch warum sollte Russland dann nicht ebenso bereit sein, Frankreichs Städte zu vernichten? Die Logik der Abschreckung funktioniert in beide Richtungen – sie macht niemanden sicherer. Zudem könnte Frankreich – anders als die USA – keinen nuklearen Erstschlag führen, ohne selbst vernichtet zu werden.

Russland verfügt über genug Waffen, um auf jede französische Attacke mit totaler Vergeltung zu reagieren. Damit wird eine französische „nukleare Schutzgarantie“ für Europa bedeutungslos. Wer glaubt, Paris riskiere sein eigenes Überleben, um Lettland oder Polen zu verteidigen, klammert sich an eine Illusion. Selbst wenn man Abschreckung als gegeben akzeptiert, bleibt ihr ethisches Dilemma bestehen: Sie setzt voraus, dass Staatsführungen glaubhaft signalisieren, ganze Bevölkerungen auslöschen zu können.

Regierungen, die auf Abschreckung setzen, müssen aktiv an der Glaubwürdigkeit dieser Drohung arbeiten – sie müssen sich als fähig und willens zum Massenmord zeigen. Atomwaffen sind keine „strategische Versicherung“, sondern ein permanentes Dilemma. Entweder bleibt ihre Drohung unglaubwürdig – dann nützen sie nichts. Oder sie ist glaubwürdig – dann ist sie ein moralischer und politischer Abgrund. Eine europäische Nuklearstreitmacht ändert daran nichts. Wer Europas Sicherheit ernsthaft stärken will, sollte nicht auf neue Abschreckungskonzepte setzen, sondern konsequent Abrüstung und kollektive Sicherheit voranbringen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

9 Kommentare

 / 
  • Auf die Gefahr hin, dass mein Beitrag wieder verloren geht, wiederhole ich mich.



    Die Aussage "Wer Europas Sicherheit ernsthaft stärken will, sollte nicht auf neue Abschreckungskonzepte setzen, sondern konsequent Abrüstung und kollektive Sicherheit voranbringen." ist aus meiner Sicht eindeutig wiederlegt. Russland hätte eine nuklear bewaffnete Ukraine niemals überfallen.



    Kleines Gedankenexperiment: Wenn z.B. die USAa der Ukraine ein Atomuboot überlassen und umgeflaggt gehabt hätten und das am 20. Februar 2022 durchs Schwarze Meer geschippert wäre, wäre am 24. Februar 2022 genau gar nichts passiert.

    Jetzt müssen wir abwarten, was passiert. Wenn Russland in zwei oder drei Jahren in Naeva einmarschiert (Estland, ca. 50 000 Einwohner), um die "russischssprachige Minderheit" zu beschützen, passiert vermutlich genau gar nichts, weil weder die USA noch Frankreich noch Grossbritannien dafür einen nuklearen Konflikt riskieren wollen. Konventionell ist die Gegend auch schwer zu verteidigen, und wenn die Aktion wieder durch Unterwanderung mit Hilfe grüner Männchen geschieht wie auf der Krim odder im Donbass, passiert erst recht nichts. Damit ist dann die Idee der NATO tot.

  • Seit US Manhattan Projekt, Bau von Atombomben 1941-1945 mit gigantisch geheimer Verschuldung am US Kongresshaushaltskontrollrecht vorbei, ist Geist Demokratieabbaus, Unterwerfung Wissenschaftsbetriebs unter politisches Kommando uneinholbar aus der Flasche nach deren Abwurf auf Hiroshima 6., Nagasaki 9.8.1945, Atombomben als einsetzbar militärische Waffen samt Aufwand für deren Bau zulasten konventioneller Rüstung zu begründen, was sie nicht sind, so wenig wie biochemische Massenvernichtungsmittel. Dass Produktion, Vorhalten atomarer Waffen nicht unter internationale Kontrolle gestellt wurden, wie es Robert Oppenheimer forderte, sich Büchse der Pandora öffnete für Atomwaffen Proliferation entgegen 5 Atommächte Schwur, Nontnuclear-Staaten im Atomsperrvertrag 1972 das zu verhindern. führt dazu, dass atomare Abschreckung unwirksam wurde durch denkbaren Einsatz atomarer Waffen durch Dritte unter False Flag, andere Staaten in atomaren Krieg zu treiben. Atomaffen cienen heute skrupellos politischem Ziel Bevölkerung in Panik zu versetzen durch Androhung deren Einsatzes, dadurch Staatskassen zu plündern, mit waffenfähig atomarem Material aus AKW Brennelemente Müll Welthandel aufzuziehen

  • "Die Logik der Abschreckung funktioniert in beide Richtungen – sie macht niemanden sicherer."



    Tja, verrückte Welt. Schon seltsam, dass genau diese Logik über Jahrzehnte hinweg funktioniert hat, und die Unsicherheit in Europa gravierend gestiegen ist, seit der große atomare Garant im Westen nicht mehr teilnehmen könnte.

    Finde den Fehler.

  • Zu Abrüstung gehören allerdings mindestens zwei Seiten. Und zu glauben, dass Russland jetzt abrüstet, ist entweder sehr optimistisch oder eher sehr dumm. Aber wer wie Herr Eblenkamp sein Leben lang für atomare Abrüstung eingetreten ist (und viele Jahre lang sah es auch gut mit der Abrüstung aus), kann wohl nicht mehr aus seiner Haut.

  • "...Russland dann nicht ebenso bereit sein, Frankreichs Städte zu vernichten?"

    Ist Russland doch! In russisches Staatsmedien wird täglich gedroht Berlin, Paris und London zu vernichten, auch nuklear!

    www.kas.de/de/laen...eskalationsrisiken

    www.msn.com/de-de/...-paris/ar-AA1B9D1y

    "beruht auf der Annahme, dass Atomwaffen Sicherheit schaffen."

    Und es ist doch so! Das sieht man doch gerade. Die Ukraine hatte Atomwaffen. Hat diese gegen Sicherheitsgarantien an Russland zurück gegeben. Die Ukraine wird überfallen und wir helfen nicht gegen Russland wegen der "nuklearen" Eskalation! Deshalb darf Russland nicht gewinnen, weil wir dann den letzten Beweis haben das Atomwaffen die Freikarte für alle sind und alle werden Atomwaffen wollen!

  • Es ist gut selber keine Atomwaffen zu haben. Wir haben in Deutschland nicht das Personal, dass mit dieser Verantwortung umgehen kann.

    • @womzie:

      Nur gut, dass Russland vertrauenswürdiges Personal hat.



      Achtung, Sarkasmus.

  • Das ist mal ein interessanter Kommentar für militärische Laien wie mich.

  • Auch die USA kann keinen nuklearen Erstschlag führen ohne selbst vernichtet zu werden, Russland übrigend auch nicht. Bisher hat dieser System ja funktioniert. Ich kann im Kommentar keine Argument erkennen, dass nicht auch für die USA, selbst für Russland gilt einschließlich des moralischen Dilema. Entweder ich glaube an die atomare Abschreckung (dann funktioniert die auch mit Frankreich, Großbritannien oder Deutschland) oder ich glaube eben nicht daran - und muss mir die Frage stellen, warum es in den vergangenenen 80 Jahren keinen direkten militärischen Angriff einer Atommacht auf eine andere gegeben hat