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Gedenken an die beim Anschlag von Hanau GetötetenSie sagten ihre Namen

Tausende Menschen sind bundesweit am Freitag auf die Straße gegangen. Ob auf Schildern, Bildern oder Ballons: Überall standen die neun Namen.

#SayTheirNames forderten die Angehörigen der Getöteten, das taten die Menschen am Freitag auf den Straßen vieler Städte Foto: dpa

Hamburg/Hannover/Bremen dpa/dpa/taz | In Gedenken an die neun Menschen, die am 19. Februar 2020 bei dem rassistisch motivierten Anschlag in Hanau getötet wurden, sind bundesweit in mehreren Städten Menschen auf die Straße gegangen. Sie forderten mehr Schutz für Menschen mit Migrationshintergrund und einen entschlossenen Kampf gegen den Rechtsextremismus.

Dabei handelten die Demonstrierenden ganz im Sinne der Forderung der Angehörigen #SayTheirNames. Für einen Tag waren zum Beispiel Straßenschilder in Hanau mit Magnettafeln überklebt worden, die die Namen der Getöteten trugen: Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtović, Vili-Viorel Păun, Fatih Saraçoğlu, Ferhat Unvar, Kaloyan Velkov. Andernorts stellten Menschen Bilder auf, oder formierten mit Kerzen ihre Namen auf der Straße.

Zuvor war in einer Veranstaltung in Hanau mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) der Toten gedacht worden. Hanaus Ehrenbürger Rudi Völler hatte mit einem Zitat von Wilhelm Grimm die Gedenkveranstaltung eröffnet.

In Hamburg gingen rund 2.000 Demonstranten unter dem Motto „Solidarität von Hamburg nach Hanau“ auf die Straße. Im Stadtteil St. Pauli beteiligten sich nach Angaben der Polizei an drei Kundgebungen 500, 600 und 650 Menschen. Im Stadtteil Wilhelmsburg seien weitere 200 bis 250 Demonstranten zusammengekommen. Zu den Kundgebungen hatten das Hamburger Bündnis gegen Rechts und die Initiative Seebrücke aufgerufen.

In Göttingen folgten rund 1.200 Menschen einem Aufruf der Grünen und des „Bündnisses gegen Rechts“ zu einer Demonstration am Auditorium der Universität und einer anschließenden Gedenkveranstaltung am Alten Rathaus. Dabei wurden die coronabedingten Abstandsregel weitgehend eingehalten.

In Hannover kamen rund 740 Menschen zu einer Kundgebung des Bündnisses „Ein Jahr nach Hanau“ auf den Steintorplatz. Die Mitveranstalter von der „Grünen Jugend“ sprachen sogar von rund 1.200 Teilnehmern. Rednerinnen und Redner kritisierten einer Sprecherin zufolge eine mangelnde Aufklärung des Anschlags und behördliches Versagen. Menschen mit Zuwanderungsgeschichte fühlten sich durch den Staat nicht geschützt. Die Zahl bewaffneter Rechtsextremisten sei gestiegen.

Weitere Aktionen sind geplant

Der Nährboden für Taten wie in Hanau werde unter anderem durch die AfD bereitet, kritisierten die Initiatoren. Dort hätten Menschen ihr Leben lassen müssen, „weil sie nicht in ein menschenverachtendes Weltbild passen“, hieß es in einem Aufruf. Dem Bündnis gehören rund zehn gewerkschaftliche und politische Jugendorganisationen an.

In Bremen gedachten rund 700 Menschen auf dem Marktplatz der Opfer des Anschlags. In Osnabrück hatte das „Bündnis 19. Februar“ eine Fotoaktion unter dem Titel „Nicht ausblenden!“ organisiert. Dabei konnten am Bahnhofsvorplatz Selfies gegen Rassismus aufgenommen und über soziale Medien verbreitet werden. Weitere Gedenkveranstaltungen waren für Freitag unter anderem in Braunschweig, Hildesheim, Lüneburg und Oldenburg geplant.

In Berlin wurde neben vielen Aktionen durch antirassistischen Bündnisse mit einem multireligiösen Friedensgebet an die Opfer des rassistischen Anschlags erinnert. An dem als Videokonferenz gestreamten Gebet beteiligten sich neben fünf muslimischen Geistlichen auch Vertreter verschiedener christlicher Konfessionen sowie Juden, Hindu, Bahai, Buddhisten und andere. Dabei wurden auch die Namen der neun getöteten verlesen.

Für Samstag sind bundesweit weitere Aktionen und Kundgebungen angekündigt. Darunter in Berlin. Ein Bündnis antifaschistischer und antirassistischer Gruppen ruft für den Jahrestag zu einem individuellen Gedenken auf, die ab 14 Uhr an verschiedenen Orten der Hauptstadt stattfinden werden.

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5 Kommentare

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  • #SayTheirNames scheint mir auch aus kultur-soziologischer Perspektive recht interessant zu sein. Waren Namen, sei es bei JHWH, Rumpelstielzchen, bei Seancen oder auch in der Populärliteratur doch schon immer mit der Idee verbunden die Benannten bannen oder beschwören zu können.



    "Bestimmte Wörter und Namen durften überhaupt nicht ausgesprochenwerden, andere nur nach rituellen Vorkehrungen. Insbesondere waren Verheimlichung und Verbot von Namen eine verbreitete Praxis, motiviert von der Furcht, daß man demjenigen ausgeliefert war, der den eigenen Namen kannte. So suchten Götter und Geister mit allen Mitteln, ihre Namen geheim zu halten, um zuverhindern, daß jemand Macht über sie bekommt. [...] Die Vorstellung, daß derjenige, der Namen gibt, wegnimmt oder Kenntnis von ihnen bekommt, damit auch Macht über die Menschen hat, sitzt tief" [1]



    Der Umstand, dass ein solcherart magisches Denken das öffentliche Erinnern bestimmt ist schon bemerkenswert, macht es doch deutlich dass die mit #SayTheirNames geforderte Evokation der Namen der Versuch ist der eigenen Ohnmacht die sich in der Tat manifestierte mit einem Akt der Selbstermächtigung zu begegnen. Als Bewältigungsstrategie und self-empowerment mag das nützlich sein, wenn dem Anschlag aber - wieder einmal - keine echten gesellschaftlichen Veränderungen folgen ist das allein zu wenig.



    [1] www.unibi.de/soz/p...mann/PDF/Macht.pdf

  • Gabriele R. - steht rechts neben dem Artikel

  • Warum wurde der Name der getöteten Mutter nicht genannt? Zählt die nicht? Nicht nur, dass ihr Name nicht genannt wurde, nicht einmal ihre Ermordung wird hier erwähnt. Gestern auf der Kundgebung in Leipzig auch nicht...

    • @Marius:

      Echt jetzt? Natürlich ist auch die Ermordung der Muter tragisch. Aber sie wurde wohl kaum aus rassistischen Motiven von ihrem eigenen Sohn umgebracht.



      Und Rassismus ist nunmal das definierende Merkmal dieses furchtbaren Anschlags. Deswegen wurde gestern bundesweit der 9 Menschen gedacht, die in keinerlei Beziehung zu dem mörderischen Rassisten standen, sondern einfach nur deswegen von ihm ermordet wurden, weil er sie anhand ihres Äußeren offensichtlich für nicht lebenswert hielt.



      Dass er anschließend seine Mutter (und sich selbst, wollen Sie das vielleicht auch betrauern? So ein Selbstmord ist ja auch immer eine Tragödie...) umgebracht hat, ist natürlich auch schlimm. Aber es ist eben nicht Ausdruck des mörderischen Rassismus, der diese Tat so schockierend macht.

      Und jetzt habe ich Lust auf Kartoffelstampf...

      • 9G
        90564 (Profil gelöscht)
        @Kawabunga:

        misogynie ist elementarer bestandteil rechtsextremistischer ideologie, ich hab da von einem politischen ansatz gehört, der die verschränkung der unterschiedlichen gewaltverhältnisse zum thema macht, nennt sich intersektional und sollte sowohl für die kritik an rassismus, für die kritik am patriarchat und die kritik am kapitalismus gelten.



        wer sich weigert diese verschränkungen mitzudenken, wird nicht verstehen, wieso rassist!nnen und antisemit!nnen die objekte ihres hasses so gerne efeminisieren, eigentlich war man da in den 2000er jahren auch schonmal weiter.



        das definierende merkmal dieses anschlages ist das rechtsradikale weltbild des attentäters, ein rassist, antisemit und frauenfeind. das rausdefinieren der mutter und der patriarchale blindfleck halte ich für einen massiven fehler