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Gedenken an Tag der Befreiung„Leid der Frauen anerkennen“

Bundestagspräsidentin Julia Klöckner machte zum 80. Jahrestag der Befreiung auf sexualisierte Gewalt im Krieg aufmerksam

Julia Klöckner (CDU), Bundestagspräsidentin, spricht in der Gedenkstunde zum 80. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs im Bundestag Foto: Michael Kappeler/dpa

Berlin taz | Frauen und Mädchen „sind die häufig übersehenen Opfer jedes Krieges“, sagte Bundestagspräsidentin Julia Klöckner am Donnerstag im Bundestag. In der Gedenkstunde zum 80. Jahrestag der Befreiung vom Nationalsozialismus widmete die CDU-Politikerin einen Teil ihrer Rede den Frauen, die im Zweiten Weltkrieg Opfer sexueller Gewalt wurden.

„Das Leid der Frauen wurde in der deutschen Nachkriegsgesellschaft einfach verdrängt“, sagte Klöckner. Es sei „Zeit, diesen Frauen in unserem Gedenken Raum zu geben, ihr Leid anzuerkennen – auch die unglaubliche Kraft, mit der diese Frauen ums Überleben kämpften und entscheidend zum Wiederaufbau beitrugen“. Klöckner zog Parallelen zum heutigen russischen Angriffskrieg in der Ukrai­ne. Auch dort würden Mädchen und Frauen wieder zu Opfern sexualisierter Gewalt, „eingesetzt als Kriegswaffe“.

Mit Blick auf die für den 9. Mai geplanten Siegesparaden in Moskau sagte Klöckner, Russlands Präsident Wladimir Putin rechtfertige seine Aggression gegen die Ukraine mit dem Kampf gegen den Faschismus von damals. „Was für ein Missbrauch der Geschichte!“

Am 8. Mai 1945 endete der von Nazi­deutschland ausgegangene Zweite Weltkrieg mit der deutschen Kapitulation vor den Alliierten USA, Frankreich, Großbritannien und der Sowjet­union. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier dankte daher in seiner Rede US-Amerikanern, Briten und Franzosen und ergänzte, die Deutschen wüssten auch um den Beitrag der Roten Armee, die das NS-Vernichtungslager Auschwitz befreit habe – „Russen, Ukrai­ner, Weißrussen und alle, die in ihr gekämpft haben“.

Die Lehren des 8. Mai

Gerade deshalb, betonte er in seiner Rede, der Krieg gegen die Ukraine sei „keine Fortsetzung des Kampfes gegen den Faschismus“. Putins Angriffskrieg habe nichts gemein mit dem Kampf gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft im Zweiten Weltkrieg.

„Diese Geschichtslüge ist nichts als eine Verbrämung imperialen Wahns, schweren Unrechts und schwerster Verbrechen!“ Steinmeier nutzte seine Rede auch dafür, Deutschlands Unterstützung für die Ukraine noch einmal zu unterstreichen. „Ließen wir die Ukraine schutz- und wehrlos zurück, hieße das, die Lehren des 8. Mai preiszugeben!“

Der Bundespräsident wies darauf hin, dass die Staatengemeinschaft als Konsequenz aus Vernichtungskrieg und Völkermord eine internationale Ordnung auf Basis des Völkerrechts geschaffen habe. Diese werde heute nicht nur durch Putin infrage gestellt, der mit dem Krieg gegen die Ukraine „unsere europäische Sicherheitsordnung in Trümmer gelegt“ habe. Sondern auch durch die USA.

Populistische Verlockungen

Die Faszination des Autoritären und populistische Verlockungen gewännen auch in Europa Raum, Zweifel an der Demokratie würden laut. Und in Deutschland erstarkten extremistische Kräfte, die die Institutionen der Demokratie und ihre Repräsentanten verhöhnten. Wer Gutes für dieses Land will, der schütze das Miteinander, den Zusammenhalt und den friedlichen Ausgleich von Interessen, sagte Steinmeier. Gerahmt wurde die Gedenkstunde von musikalischen Einlagen.

Ein Streichorchester spielte ein Stück von Dmitri Schostakowitsch von 1960, das dieser mit der Widmung „Im Gedenken an die Opfer des Faschismus und des Krieges“ versehen hatte. Im Anschluss an die Rede Steinmeiers demonstrierten alle Bundestagsabgeordneten Einigkeit: Gemeinsam sangen sie die deutsche Nationalhymne.

Neben der Gedenkstunde im Bundestag wurde in zahlreichen Veranstaltungen dem Kriegsende gedacht. Der Tag startete mit einem ökumenischen Gottesdienst in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche, an dem auch Steinmeier teilnahm. Im Anschluss gab es eine Kranzniederlegung an der Neuen Wache. (Mit Agenturen)

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8 Kommentare

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  • "Der Bundespräsident wies darauf hin, dass die Staatengemeinschaft als Konsequenz aus Vernichtungskrieg und Völkermord eine internationale Ordnung auf Basis des Völkerrechts geschaffen habe.Diese werde heute nicht nur durch Putin infrage gestellt, der mit dem Krieg gegen die Ukraine „unsere europäische Sicherheitsordnung in Trümmer gelegt“ habe. Sondern auch durch die USA."



    Israel bricht seit Jahrzehnten Völkerrecht, führt einen Vernichtungskrieg in Gaza und bombardiert seine Nachbarn Syrien und Libanon nach Gutdünken. Wer Israel Waffen liefert, sollte keinen grossen Töne spucken über das Völkerrecht.

  • Bei meinem vorangegangenen Post ist mir leider ein Lapsus unterlaufen, es waren wohl ca. 860.000 deutsche Frauen und Mädchen, die durch die Alliierten geschändet wurden. 2 Mio waren es wohl insgesamt bei allen Weltkriegsbeteiligten.

  • Gut dass Frau Klöckner den Frauen gedachte und an sie erinnerte, die im 2. Weltkrieg Opfer sexualisierter Gewalt wurden. Leider wird dies zu oft nicht thematisiert und gerne verschwiegen. Wie ich gelesen habe sollen im 2. Weltkrieg nur in Deutschland mehr als 2 Millionen deutsche Frauen und Mädchen Opfer dieser fürchterlichen Taten durch Alliierte gewesen sein.



    Wie viele es in den anderen Ländern durch deutsche oder verbündete Soldaten waren ist mir leider nicht bekannt aber auch dort wird es wohl eine hohe Anzahl gewesen sein.



    Alle diese Frauen und Mädchen haben es verdient, dass ihnen öffentlich gedacht wird.

  • Natürlich meint Frau Klöckner hier das Leid der deutschen Frauen. Dass Leid, dass osteuropäische, sowjetische Frauen unter den Grausamkeiten der Wehrmacht erleiden mussten, das spielt heute keine Rolle. Denn der Feind steht wieder im Osten und die Deutschen waren dieser Erzählung nach dann wohl das eigentliche Opfer im Zweiten Weltkrieg.

    • @TeeTS:

      Wo wird das Leid der osteuropäischen Frauen verdrängt?

      Es gibt dafür andere Gedenktage.

      Beim Tad der Befreiung wird es kein thematischen Schwerpunkt sein, weil diese s Leid mit der Befreiung beendet worden ist.

      Opfer aufzurechnen, bringt nicht weiter. Im Gegenteil.

      Krieg bringt typischerweise Leid auf beide Seiten.

      Dass "der Feind wieder im Osten steht", ist nichts, was sich hier jemand wünscht oder worauf hingearbeitet wurde.

      Die Osteuropäer werfen den Deutschen vor, viel zu lange viel zu naiv gewesen zu sein.

      Wenn Leute, die vor den Nazis in den asiatischen Teil Russlands geflohen sind, als betagte Senioren vor russischen Soldaten nach Deutschland flüchten und rechtsextreme Parteien in Deutschland ihre Liebe zu russischen Staatschefs entdecken, kann man auf die Idee kommen, die Zeiten könnte sich geändert haben.

      Manchmal passen historische Bezüge einfach nicht mehr.

  • Gilt die Erinnerung der Opfer sexualisierter Gewalt im 2. Weltkrieg auch den von Deutschen Vergewaltigten? Oder wird da nur die dog whistle von den unschuldigen deutschen Frauen bemüht, die von den Russen vergewaltigt wurden und dann das Land wieder aufgebaut haben?

    • @Clifford:

      Wer ernsthaft fragt, ob das Gedenken an vergewaltigte deutsche Frauen nur eine „dog whistle“ sei, offenbart eine zutiefst zynische und entmenschlichende Haltung. Was soll das heißen? Dass diese Frauen keine echten Opfer waren, weil sie Deutsche waren? Weil sie „im falschen Land“ geboren wurden? Meine Großmutter wurde von sowjetischen Soldaten vergewaltigt. Ihr Leben lang hat sie darunter gelitten – nicht ideologisch, sondern real, körperlich, seelisch.

      Die Verachtung, mit der hier über hunderttausende Frauen gesprochen wird, ist beschämend. Das Leid dieser Opfer kleinzureden oder zu politisieren, nur weil es nicht ins linke Opfer-Narrativ passt, ist geschmacklos – und historisch blind. Sexuelle Gewalt ist kein Thema, das man selektiv behandelt. Nicht nach Nationalität. Nicht nach Schuldkollektiv.

      Wer Menschen, die solches erlitten haben, in Anführungszeichen setzt, spricht ihnen die Würde ab. So etwas hat mit Aufarbeitung nichts zu tun. Es ist das Gegenteil: zynischer Moralismus auf dem Rücken derer, die sich nicht mehr wehren können. Wer das „Erinnerungskultur“ nennt, sollte sich fragen, wessen Geschichte da eigentlich erinnert wird – und wessen lieber verdrängt.

    • @Clifford:

      Es gibt für Sie Frauen, die irgendwie schuldig sind und deshalb eine Vergewaltigung quasi "verdient " haben?

      Spannend.