Gedenken an Prager Frühling: Schimpf und Schande für Babiš
Am 50. Jahrestag des Prager Frühlings machen viele Tschechen ihrem Unmut über den Regierungschef Luft. Denn der war ein Stasi-Spitzel.
Was sonst eine würdige und tragende Prozession zu trauriger Marschmusik ist, wurde für Ministerpräsident Andrej Babiš zum Spießrutenlauf im Pfeifkonzert: Sobald die hagere Figur des 63-jährigen vor den Toren des Rundfunkgebäudes auftauchte, erhob sich ohrenbetäubendes Geschrei und der laute Ruf: „Hanba!“ (Schande) Einige Hunderte Demonstranten hatten den Gedenkakt für eine lautstarke Demonstration gegen Babiš genutzt.
Als Mitläufer des „Normalisierungsregimes“, das mit dem Einmarsch im August 1968 installiert wurde, hatte sich Babiš – Deckname Bureš – der tschechoslowakischen Staatssicherheit angedient. Dass er heute bei Umfragewerten von um die 30 Prozent, die Regierungsgeschäfte leitet und nach dem Motto „den Staat wie eine Firma führen“ Kontrolle über die Geschicke Tschechiens hat, können viele Tschechen nicht verkraften.
Besonders in Prag, wo sich Babiš die Sympathien der urbanen Mittelklasse verspielt hat, stand das Gedenken an den Einmarsch vor 50 Jahren im Zeichen des Protests gegen ihn. Babiš stellte sich der Herausforderung, legte seinen Kranz nieder, und nahm sie dann an: Nach dieser Aktion würden seine Präferenzen wieder steigen, knurrte Babiš, nachdem seine Rede im Getöse der Demonstration untergegangen war.
Rote Unterhosen geflaggt
Anderswo protestierte man leiser. Nicht wenige Tschechen folgten zum Beispiel einem Aufruf in sozialen Netzwerken, vor ihren Häusern und auf ihren Balkonen anstelle der traditionellen Landesfarben rote Unterhosen zu flaggen. Die rote Unterhose ist zu einem Symbol gegen Präsidenten Miloš Zeman geworden, nachdem Prager Aktionskünstler vor zwei Jahren die präsidentielle Standarte auf der Prager Burg, gegen eine riesige rote Unterhose austauschten. Viele Tschechen betrachten die Weigerung des Präsidenten, anlässlich des 50. Jahrestags der Besatzung eine Ansprache zu halten, als Affront.
Jeder aber gedachte auf seine Art des 21. 8. 1968, der jede Familie des Landes getroffen hat. Auf Ausstellungen, Konzerten oder Diskussionsveranstaltungen, unter anderem mit dem russischen Ex-Dissidenten Pawel Litwinow, war es für viele vor allem ein Tag der Erinnerung. Die Älteren dachten an die ersten Stunden, als die Panzer ins Land rollten. Jüngere lauschten den Erzählungen von Zeitzeugen, ob am heimischen Ess- oder draußen am Kneipentisch.
Andere teilten Fotos oder Videos aus der Zeit in den sozialen Netzwerken. Das öffentlich-rechtliche tschechische Fernsehen trug der tschechoslowakischen Bedeutung des Jubiläums Rechnung und reagierte auf das Schweigen des Präsidenten: Es übertrug die Rede des Oberhaupts des einstigen Bruderstaats, Andrej Kiska.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Wirkung der Russlandsanktionen
Der Rubel rollt abwärts
Frauen in der ukrainischen Armee
„An der Front sind wir alle gleich“
Rauchverbot in der Europäischen Union
Die EU qualmt weiter
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag