Gedenken an Olympia-Attentat in München: Zehn Millionen und eine Entschuldigung
Die Gedenkfeier zum 50. Jahrestag des Olympia-Attentats 1972 droht, ohne Hinterbliebene stattzufinden. Die Regierung hofft, die Familien umzustimmen.
Am 5. September, dem 50. Jahrestag des Anschlags, ist in München eine große Gedenkfeier geplant. Die wichtigsten Gäste, so der aktuelle Stand, werden daran aber nicht teilnehmen – aus Protest. Die Hinterbliebenen der elf getöteten israelischen Sportler und Betreuer werfen der Bundesregierung mehrere Versäumnisse in der Aufarbeitung und eine unangemessene Entschädigung vor.
Trotzdem hoffen Bayern und das Bundesinnenministerium, vor dem 5. September zu einer Einigung zu kommen. „Die Verhandlungen werden weiter fortgeführt mit dem Ziel, ein positives Ergebnis zu erreichen“, heißt es aus der Bayerischen Staatskanzlei. Auch ein Sprecher des Innenministeriums betonte gegenüber der taz ausdrücklich die Bereitschaft der Bundesregierung, „die laufenden Gespräche fortzuführen“. In der zweiten Augustwoche hatten die Opferfamilien ein neues Angebot, das unter anderem weitere Zahlungen und eine neue Analyse des Attentats von Historiker:innen umfasst, abgelehnt.
Bislang zehn Millionen Euro „Anerkennungsleistungen“
Ob es zu weiteren Gesprächen kommen wird und ob diese erfolgreich sein werden, ist mehr als fraglich. In einem Brief an Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU), der dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) vorliegt, schreiben Ankie Spitzer und Ilana Romano im Namen der Opferfamilien: „50 Jahre Schmähung, Lügen, Erniedrigung und Abweisung durch die deutsche Regierung und insbesondere bayerische Behörden sind mehr als genug für uns.“ Bei der Geiselnahme wurden die Männer der beiden Frauen, Fechttrainer Andrei Spitzer und Gewichtheber Yossef Romano, von den palästinensischen Terroristen getötet.
Schon zum zweiten Mal lehnen die Angehörigen ein neues Angebot der Bundesregierung ab. Vor Kurzem wurden ihnen neue Zahlungen vonseiten der deutschen Behörden vorgeschlagen. Seit dem Anschlag vor 50 Jahren wurden in zwei Tranchen – 1972 und 2002 – insgesamt rund vier Millionen Euro an die Hinterbliebenen gezahlt.
Zusammen mit dem Freistaat Bayern und der Stadt München habe sich die Bundesregierung nach einer „Neubewertung des Umgangs mit den Ereignissen“ entschieden, weitere „Anerkennungsleistungen“ zu zahlen. Über die Höhe der Zahlungen machte das Bundesinnenministerium auf taz-Nachfrage keine Angaben. Laut dem Brief der Angehörigen an den bayerischen Ministerpräsidenten Söder ging es bei den zuletzt gescheiterten Gesprächen um zehn Millionen Euro, abzüglich der bereits gezahlten rund vier Millionen.
Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, sagte gegenüber dem RND, es handele sich um ein „faires Angebot“. Das sei an der „oberen Grenzen dessen, was man heute als Opfer einer terroristischen Straftat bekäme.“ Genau hier liegt ein Kritikpunkt der Hinterbliebenen: Sie wollen eine höhere Entschädigung nach internationalen Standards. Außerdem fordern sie eine Öffnung aller Dokumente in den Archiven der Regierung.
Ankie Spitzer zeigt sich auf taz-Anfrage empört. Die Familien der Athleten verhandelten nicht über Wiedergutmachungszahlungen. „Das ist Sache unserer Anwälte.“ Über das Angebot einer Analyse des Archivmaterials, das nun offenbar endlich deutschen und israelischen Expert:innen verfügbar gemacht werden soll, sei man hingegen sehr froh. „Ich möchte den Untersuchungsbericht einsehen. Das ist alles. Ich möchte wissen, was meinem Mann passiert ist.“ Zudem ginge es den Familien um eine „Anerkennung der eigenen Verantwortung und eine Entschuldigung“, dafür, dass man 50 Jahre lang versucht habe, Tatsachen zu vertuschen und „die Angehörigen zu ignorieren“.
Marlene Schönberger, zuständig für die Bekämpfung von Antisemitismus und die Förderung jüdischen Lebens in der Grünen-Bundestagsfraktion, versteht die Reaktion der Angehörigen: „Der Umgang Deutschlands bei der Aufarbeitung dieses Attentats ist skandalös.“ Als Beispiel nennt Schönberger, dass in München erst 2017 ein Ort der Erinnerung an die zwölf Opfer des Anschlags auf die israelische Mannschaft geschaffen wurde. Es sei deshalb „ein wichtiges Signal, dass die aktuelle Bundesregierung eine Kurskorrektur vornehmen will“, sagte die Grünen-Politikerin.
Unklarheit über Einsehbarkeit der Akten
Noch immer herrscht Unklarheit darüber, ob alle Akten zu dem Attentat einsehbar sind und in welchen Archiven unter Verschluss gehaltene Dokumente aufbewahrt werden. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) hatte im Juni mitgeteilt, dass die Akten zu dem Anschlag im Münchner Staatsarchiv vollständig zugänglich sind. Das Auswärtige Amt antwortete auf taz-Anfrage, dass alle Dokumente zu dem Fall in ihrem Politischen Archiv öffentlich verfügbar seien. Und das Bundesinnenministerium? Das kann auf Anfrage keinen Überblick geben, wo welche Akten aus den verschiedenen Abteilungen lagern und wie viele Dokumente zu dem Fall noch unter Verschluss sind.
Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, hofft, dass die Bundesregierung und die Familien der Opfer noch „eine gute Lösung“ finden. Vor allem in den Jahren nach dem Attentat ist die Geiselnahme nur nebensächlich aufgearbeitet worden. „In der Bevölkerung ist München 72 vor allem mit seinen heiteren Momenten im Gedächtnis geblieben: Mark Spitz’ Medaillen, Dackel Waldi, die Stimmung im Olympiastadion“, sagte Knobloch der taz. Erst später sei das Attentat in den Fokus gerückt.
In den vergangenen Tagen spürten in München wieder viele Menschen die von Knobloch beschriebene Stimmung. Bis Sonntag fand in der Stadt und in den Sportstätten von damals die Europameisterschaft in neun Sportarten statt: die größte Sportveranstaltung seit den Olympischen Sommerspielen 1972. Während die Hinterbliebenen des Attentats derzeit immer noch um Aufklärung kämpfen, werden in der Münchner Stadtpolitik erste Stimmen laut, sich wieder als Ausrichtungsort für die Olympischen Spiele zu bewerben.
Mitarbeit: Susanne Knaul
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