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Gedanken in der PandemieScheißhimmel über Berlin

Die Durchhaltelogik beim Lockdown ist keine Option. Vielleicht hilft es zu fragen: War das alte Leben eigentlich wirklich so geil?

Ist Pandemie oder was? Foto: Kira Hofmann/dpa

U m mich herum sind alle depressiv. Nicht im klinischen Sinn, zumindest hoffe ich das. Ich bin natürlich nicht mit allen den typischen Fragenkatalog durchgegangen, ich würde nur gerne trösten, und weiß nicht, wie. Vermutlich leiden einfach fast alle an der Situation. Es herrscht also das, was ich mal als Vorstufe von Depression bezeichnen würde: Erschöpfung der Seele. Stille. Ein schwermütiges Schweigen. Zwar wird natürlich weiter geredet, gegrummelt und gemurrt, aber leiser. Mut- und freudlos, gedämpft. So einheitsgrau wie der Scheißhimmel über Berlin, so saftlos wie seine staubigen Schrippen.

Ich kann schon verstehen, warum. Die einen sind überfordert mit dem lästigen Teil des Lebens. Entweder ist ihr ohnehin harter Job noch härter geworden, oder es kam zum normal harten Job noch das Nebenbei-Kinder-Beschulen oder Ganztags-Bespaßen obendrauf, bei Letzterem stellt sich auch noch die Frage: Bespaßen womit?

Die anderen sind völlig unterfordert, die mit den nicht so harten Jobs und/oder ohne Kinder. Die, die ihr Leben sonst mehr im Außen gefüllt haben. Viel Außen gibt’s aber halt gerade nicht, und das ist doof, wenn man nicht gerade Erfüllung im Musikhören oder spazieren findet. Denn klar, auch Unterforderung kann übelst anstrengend sein, zumindest für die Seele, das weiß jeder, der schon mal maximal unterfordert in irgendeinem Büro saß und sich unter Todesqualen gefragt hat, warum zum Teufel er (oder sie) nicht mehr mit seinem Leben angestellt hat und wie zur Hölle man noch vier Stunden beschäftigt wirken soll, obwohl alle Mails längst gelöscht, alle Kaffeetassen gespült und alle „echte“ Arbeit ohnehin seit Stunden verrichtet ist. Ja, wahrscheinlich würden die meisten – so wie ich – einen echten Hochdruck-Job (Küchenchef, Sanitäter, Kindergärtner) dieser Agonie des Nichts-zu-tun-Habens sogar bei weitem vorziehen.

Aber jetzt steht man halt da, im Lockdown oder dem, was zumindest danach aussehen soll, mit dem Leben, das man sich irgendwann, als man jung und dumm war, mal ausgesucht hat, und ärgert sich. So oder so.

Ist müde und traurig und schwach – alles ziemlich weit unten im sozialen Ranking der Gefühle – und fühlt sich gleich noch mieser, weil man sich schlecht fühlt. Dabei ist das hier halt eine Ausnahmesituation; wann, wenn nicht jetzt, darf man sich mies fühlen? Statt gnädig mit sich und seinen Gefühlen zu sein, wünscht man sich insgeheim lieber eine irgendwie aufregende Ausnahmesituation. Eine, in der man was leisten kann. Aber kaum einer von uns darf Kinder retten, Verfolgte verstecken, sich von ’nem Hubschrauber abseilen oder wenigstens flammende Philippiken halten, die die Welt retten. Gut, Letzteres versuchen viele, allein die Welt- oder sonst eine Rettung gelingt ihnen nicht. Es ist, man muss es schon so sagen, eine verdammt öde Ausnahmesituation.

Also einfach Zähne zusammenbeißen und durch? Keine so gute Idee, sagt Jan Kalbitzer, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie. Es habe sich gezeigt, dass Menschen, die auf eine Durchhaltetaktik setzten, mehr Probleme im Umgang mit der Krise hätten. „Die sind immer zermürbter und können immer weniger durchhalten.“ Eine langfristige Anpassung an die Situation sei hingegen hilfreich.

Wie jetzt? Sollen wir uns an diesen Mist auch noch gewöhnen? Anpassen ans Zuhausebleiben? Wer so fragt, steckt noch in der Durchhaltelogik. Vielleicht hilft es, zu fragen: War das alte Leben eigentlich wirklich so geil? Oder bot es einfach bessere Ablenkung von dem, was uns eigentlich beschäftigt? Wenn einem im Büro schon immer so fad war, dass man es nur mit Extrem-Irgendwas am Wochenende ertragen hat, ist es vielleicht Zeit für was Neues.

Andererseits ist natürlich alles eine Frage der Perspektive. Wenn mich – was derzeit öfter vorkommt – die Panik packt, ob ich ab Mai, wenn das Baby da ist, jemals wieder schlafen, duschen, Sex haben werde, so wie es mir viele erfahrene Eltern gerade prophezeien, denke ich: Wie lang ist schon jemals? Drei Jahre, fünf Jahre, zehn Jahre? Schnell genug wird das Kind einen Zettel an seine Zimmertür kleben, auf dem „Eltern raus“ steht. Das hilft mir immer. Auch bei anderen, potenziell oder real anstrengenden, schmerzhaften Dingen. Wie lang ist Zeit, wenn man auf sein ganzes (hoffentlich natürlich langes) Leben guckt?

Was also sind ein, zwei, vielleicht drei Coronajahre? Am Ende schnurren sie zusammen zu einer Geschichte, die wir unseren Enkeln erzählen werden.

Klar, der Rhythmuswechsel kam ziemlich abrupt: von superschnell zu superlangsam. Und klar fällt einem im Spielstraßentempo plötzlich auf, was man dem Leben noch alles abpressen will, ganz gleich, wie lang es sein mag. Hauptsache, finde ich aber, es fällt einem ein und man rauscht nicht nur so durch und dran vorbei.

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Ariane Lemme
Redakteurin
schreibt vor allem zu den Themen Nahost, Antisemitismus, Gesellschaft und Soziales
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13 Kommentare

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  • Quintessenz:



    "flammende Philippiken halten",



    "Hauptsache, finde ich aber, es fällt einem ein und man rauscht nicht nur so durch und dran vorbei."



    Ich könnte noch aus den Kommentaren zitieren, ist aber obsolet, weil sie stehen ja schon da...



    Sonntagsgrüße depuis l'Alsace 🛁🏝🪘🥳

  • Wünsch erstmal für mit Zwulch viel Glück & gute Zeit. Deern - hab das vier mal gerne mitgemacht - das wird.



    Doon is‘n Ding. Snakken kaant wi all •



    &



    Sach mal so - als gelernter Depressiver.



    (hätte ich vor meinem 58. fürn Witz gehalten - aber den im “Knast“ verbracht!) & medikamentiert.



    & last time -



    Schlug mich seit Herbst vorletzten Jahres mit ner Bronchitis rum.



    & Däh! spätes Frühjahr -



    Haute mir das Kontrastmittel den Schutz wech & the whole shit!



    “Ja was Wunder! Überlegen Sie mal - Sie wissen - letzte Woche letzter Auftritt - wann der nächste: in den Sternen! Lassen Sie das mal an sich ran!“ Buff!



    Medikamentierung - wie bekannt & => wieder gerade aus.



    Grad Tochter a tel/car: “Und Vaddern?“ - “Naja - außer im “Knast“ - gelangweilt hab ich mich ja nie! Lesen - Musike - Aufnahmen - Session - hin & wieder ne digi🎭&🎶 - Kochen tgl. - lecker 🍻🍷 - Hie & da mal tel. - Enkel ärgern - sojet halt!“ - “Dacht ich mir - bin zuhause angekommen! Machs gut - Vaddern!“

    So geht’s doch

    • @Lowandorder:

      Also, ich war auch schon im "Knast" und ich habe mich nirgends weniger gelangweilt als dort.

      Jeden Tag kamen neue verrückte Bräute und die Jungs waren auch nicht ohne. Knackis mit interessanten Geschichten und traurige Menschen, die in der Drehtür lebten.

      Highlight: Eines Tages kam ein Mann auf mein Zimmer, der sich als Professor vorstellte, was an diesem Ort nicht viel heißen will.

      Er war aber einer und zudem der Mensch der die Loriotsche Steinlaus in den Pschyrembel gebracht hatte.

      Was seine häufig seufzende Frau bei einem Besuch bestätigte.

      • @Jim Hawkins:

        Jeder Jeck is anders.

  • Das ist eine interessante Feststellung!

    Ich lasse mal Scheiß weg und erinnere mich an" Den Himmel über Berlin" die alten Buddys Damiel und Casiell.



    .....Die Engel Damiel und Cassiel treten als Beobachter der Welt auf, insbesondere in Berlin. Sie können nicht in das Leben der Menschen eingreifen und sich ihnen nicht zu erkennen geben. Sie können ihnen jedoch neuen Lebensmut einflößen. Das Leben der Engel ist rein geistig, sinnliche Empfindungen sind ihnen unzugänglich. Der Wunsch, am Leben der Sterblichen und deren Empfindungswelt teilzuhaben, wird bei Damiel so groß, dass er dafür bereit ist, auf seine Unsterblichkeit zu verzichten. ...

    Wäre interessant zu wissen wie die beiden jetzt agiert hätten.

    Also das Lied vom Kindsein von Peter Handke,



    Prolog für eine Liebe, Anrufung der Welt (1987) und Das Gewicht der Welt (1977) von Peter Handke,



    die Duineser Elegien (1923) von Rainer Maria Rilke,



    die Odyssee (ca. 8. Jahrhundert v. Chr.) von Homer,



    die Anfangsworte des Buches Genesis können mich auch als Literaturlaien über die Zeit bringen.



    .....„Eine poesievolle Liebeserklärung an das Leben, an die Sinnlichkeit und an die Begrenztheit des irdischen Daseins.“.....



    Song of childhood



    www.youtube.com/watch?v=gRhkxDaPb5A

  • Das ist das Problem der meisten: kein Hobbies, keine Interessen, nicht mal mit sich selbst alleine klar kommen.

    Also ich komme im Lockdown prima klar. Ich find es besser wie vorher.



    Weniger Menschen, weniger Verkehr. Kann von mir aus ewig weiter gehen

    • @danny schneider:

      Hier sind selbst die Wanderwege und Schluchten usw gesperrt.



      Raus in die Natur geht also nur auf geteerten Straßen.

      Wie soll man so seinem Hobby, dem Erleben der Natur, nachgehen?

    • @danny schneider:

      Ich bin Misantroph, kann mich prima alleine beschäftigen und brauche keine Menschen um mich herum.



      Zu meinen Hobbies und Interessen gehört aber zum Beispiel Museen zu besuchen, das ist für mich entspannend. Aber selbst das kann ich auch seit Monaten nicht mehr und es geht mir zusehends auf den Keks. Die Waldwege hinterm Haus sind auch alle schon hundert mal gelaufen und mittlerweile übervölkert von anderen Menschen, die auch nirgendwo hin können.



      Langsam reicht es dann doch mit der Virologen-Regierung, die Menschen wie Laborratten behandelt. Ich verstehe deren Standpunkt rein wissenschaftlich vollkommen, aber Menschen sind keine Laborratten, wo man einfach mal einen Schieber zu macht und die Population ist fern vom Virus. Dinge sind komplizierter. Und das ist auch verdammt gut so.

      • @Bouncereset:

        Währen die Menschen davor vernunftbegabt und hätten gemäß dem Anspruch die Krone der Schöpfung zu sein gehandelt, wäre die Sache auch nicht so aus der Kontrolle geraten.

        E Funktionen sind jetzt keine Raketenwissenschaft und auch die Grundlagen eines Systems mit Totzeit sollte jeder mit Abitur geistig nachvollziehen können.

        Aber ja, ich bezeichne mich selbst als Misantroph, insofern sehe ich das auch nicht als Beleidigung :-)

        • @danny schneider:

          Das war auch weder als Beleidigung gemeint oder an dich gerichtet. Ich beschrieb mich nur selbst.

        • 0G
          02612 (Profil gelöscht)
          @danny schneider:

          ... sehen wir auch so, die Seuche ist halt hausgemacht und ist die längst fällige Antwort der Natur auf gelebte Respektlosigkeit ... wer A sagt sollte auch B ertragen können ... wohl bekommst.

  • Und noch etwas. Zitat aus dem Artikel: "Wenn einem im Büro schon immer so fad war, dass man es nur mit Extrem-Irgendwas am Wochenende ertragen hat, ist es vielleicht Zeit für was Neues."

    Das las ich vor kurzem erst woanders, in Bezug auf Ischgl. kann sogar ein Taz-Artikel gewesen sein. Grundaussage: "Wer dieses extreme 'Feiern' braucht, dessen Altagsleben stimmt irgendwie nicht." Glaub ich gern. Wer 14 Tage lang nur "Saufen-Kotzen-Saufen-Kotzen" braucht, um mal zu spüren, dass er noch am Leben ist - dem kann ich nur raten: Job kündigen.

  • Wer sich aufheitern will:

    Schaut ich mal ein Video von "Ingo ohne Flamingo" an. Ja, das ist der Typ, der sich immer als Ente verkleidet. Und dann "geniesen" wir die Lieder über "24/7 besoffen" mit Bilders des "damaligen" Berliner Nachtlebens. Zumindest *darauf* kann ich gern verzichten.

    Ich will gar nicht zurück zur alten Normalität sondern hoffe auf eine neue, bessere. Ob das klappt, weiß der Fuchs, aber man kann's es ja mal probieren.