Gastronomie öffnet in Berlin: Viel zu komplizierte Auflagen
Seit Anfang Mai 2020 begleitet die taz Gastronom*innen durch die Pandemie. Wie geht es ihnen angesichts der ersten Öffnungsschritte am Freitag?
Doch dann gibt die sonst so resolute wie fröhliche Frau, die seit dem Lockdown im Dezember persönlich Bestellungen an Gäste in der ganzen Stadt ausfährt, zu: „Wissen Sie, das alles grenzt langsam an eine Tragikomödie.“
Das Problem, mit dem sich die Gastronom*innen in dieser Stadt derzeit sehr schwer tun, sind die vielen Auflagen, unter denen sie ab dem heutigen Freitag wieder draußen ihre Gäste bewirten können. Dass die Kellner*innen Masken tragen, die Gäste ihre Kontaktdaten hinterlassen und Abstand wahren müssen, dass es außerdem regnen könnte: Das kennen die meisten noch vom letzten Sommer, nach dem ersten Lockdown.
Doch nun kommt auch noch hinzu – und Achtung, jetzt wird es kompliziert: Die Gäste müssen qua Impfpass nachweisen, dass sie vollständig geimpft sind. Wenn diese genesen sind, müssen sie entweder einen positiven PCR-Test, der mindestens 6 Monate zurückliegt, plus die erste Impfung nachweisen oder einen positiven PCR-Test, der mindestens 28 Tage bis maximal 6 Monate zurückliegt.
Und wer weder geimpft noch genesen ist, kann einen Schnell- oder PCR-Test vorlegen, der durch ein Testzentrum erstellt wurde, den Nachweis eines Schnell- oder Selbsttests, der durch die oder den Arbeitgeber*in ausgestellt wurde – oder die Restaurants bieten Selbsttests vor Ort an, die sie durchs Betriebspersonal beaufsichtigen lassen müssen.
Mengling Tang, die seit einem Jahr alles versucht, was möglich ist, hat bereits Tests bestellt. Aber sie weiß, dass es jetzt erst einmal noch lange nicht um Umsätze gehen kann. „Wir können draußen höchstens 50 Personen bewirten“, sagt sie und weist dann darauf hin, dass es besonders zur Mittagszeit problematisch bleiben wird, wenn die wenigen Menschen, die bereits wieder im Büro arbeiten, nur eine halbe Stunde bleiben können. „Eigentlich wollen wir nur zeigen, dass wir noch da sind“, fügt sie an.
„Nur noch verwirrt“
Essen und Trinken Wer mag, kann ab heutigen Freitag wieder in sein Lieblingsrestaurant oder ihre Lieblingskneipe gehen – wobei reingehen nicht wörtlich gemeint ist: Öffnen darf nur die Außengastronomie, allerdings auch von Bars, Kneipen und Cafés. Hinsetzen darf sich nur, wer einen tagesaktuellen negativen Coronatest hat, nachweislich genesen ist oder bereits zweifach geimpft wurde. Der Ansturm könnte trotz kühlem Wetter groß sein; eine Reservierung ist zu empfehlen und oft auch zwingend.
Feiern Bis die richtige Berlin-Party startet, dauert es noch wohl ein bisschen. Aber auch Clubs können ihre Außenflächen öffnen und zumindest Drinks verkaufen. „Wir hoffen, dass es bald möglich ist, draußen Tanzflächen einzurichten“, sagt Lutz Leichsenring von der Clubcommission.
Kultur Wieder am Start sind bereits seit Mittwoch viele Museen; auch die Saison in den Freiluftkinos hat begonnen. Ticket bitte online im Voraus buchen.
Hintergrund für die Öffnungsschritte ist eine Sieben-Tage-Inzidenz von berlinweit unter 100. Am Donnerstag lag sie bei 56,3. Tendenz: sinkend. (taz)
Weitaus problematischer noch als Mengling Tang sehen das alles Arzu Bulut und Lale Yanik, die Inhaberinnen des türkischen Restaurants Osmans Töchter in der Pappelallee. „Wir waren eigentlich euphorisch, wollten noch nicht sofort, aber am 1. Juni wieder eröffnen“, berichtet Bulut. „Aber dann haben wir uns durchgelesen, was wir alles machen müssen, und nun sind wir nur noch verwirrt.“
Die beiden wissen bislang noch nicht, wie sie kontrollieren sollen, dass die fünf Personen, die sie maximal an einen Tisch setzen dürfen, wirklich nur aus zwei Haushalten kommen. Was, wenn ein Haushalt in zwei Wohnungen wohnt, weil beispielsweise das Paar getrennt lebt? Diese gehören laut Regelung zu einem Haushalt. Aber kontrollieren kann man das nicht einmal, wenn man die Personalausweise der Gäste checkt.
„Wie soll ich wissen, in welchem Verhältnis diese Menschen zueinander stehen? Was geht mich das überhaupt an?“, sagt Arzu Bulut, die mit ihrer Geschäftspartnerin während des Lockdowns beschlossen hat, kein Essen mehr zu liefern, sondern gleich einen professionellen Online-Versand von Meze, von so leckeren wie frischen türkischen Vorspeisen, aufzuziehen.
Für viele Gastronom*innen in der Stadt sind die neuen Auflagen zu umständlich, zu bürokratisch, sie haben zu wenig mit der Gastfreundschaft und der guten Laune zu tun, die sie ihren Besucher*innen entgegenbringen wollen. Sie sagen, dass es ja das Ziel eines Restaurantbesuches ist, sich zu entspannen – und dass ein Restaurant keine Arztpraxis ist. Zurück bleibt also Verunsicherung.
„Ich habe überhaupt kein Gefühl mehr, was am Wochenende passieren wird“, sagt deshalb Mengling Tang. Werden sich die Gäste freudig auf die neuen Freiheiten stürzen – oder doch lieber abwarten, bis alles noch etwas einfacher wird?
Viele der Berliner Gaststätten haben erst kürzlich die staatliche Unterstützung erhalten, die zur Überbrückung des Dezembers gedacht war. Den 19.000 Gaststätten, Kneipen, Cafés, Bars, Eisdielen und Caterern in der Stadt droht eine riesige Pleitewelle, es herrscht zunehmend Existenzangst, ja Panik. Weil für viele der Unternehmen bis vor Kurzem die Pflicht ausgesetzt war, bei Zahlungsunfähigkeit Insolvenz anzumelden, lässt sich noch nicht in Zahlen ausdrücken, wie viel Schaden der Lockdown angerichtet hat. Doch laut Hotel- und Gaststättenverband beschäftigt sich ein Viertel der Branche mit der Geschäftsaufgabe.
Einer der drei Gastronom*innen, die die taz seit über einem Jahr begleitet, ist übrigens seit Wochen nicht für die Presse zu sprechen; er ist aus familiären Gründen gerade nicht in der Stadt, sagt er. Mario Dzeladini (60) ist in Mazedonien aufgewachsen und seit 1980 in Berlin. „Ich habe von ganz unten angefangen“, hatte er vor einem Jahr berichtet. Auf den großen Terrassen, so ein Mitarbeiter am Telefon, wird das Firenze trotzdem erst mal am Freitag wieder eröffnen.
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