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Gastkommentar WeltverbrauchertagNicht hinter die Fichte führen lassen

Kommentar von Renate Künast

Verbraucher brauchen keine Almosen, die Große Koalition muss sie stattdessen endlich als Rechtssubjekte betrachten, die sich wehren können.

Als Verbraucher muss man nicht auf den Weihnachtsmann warten, man muss klagen können Foto: Unsplash/ Taylor Friehl

A lle reden ständig über Verbraucherrechte, hier und da werden auch Angebote gemacht. Aber werden die Verbraucher tatsächlich als Rechtssubjekte gesehen oder nur Potemkinsche Dörfer gebaut? Schauen wir auf aktuelle Fälle, ist der halbherzige Ansatz der Bundesregierung deutlich zu erkennen.

Beim Dieselskandal wurde drei Jahre lang vermieden, die Automobilindustrie zum Nachrüsten zu verpflichten. Obwohl jedem klar sein musste, dass das Bundesimmissionsschutzgesetz am Ende die Gerichte zu Fahrverboten zwingen würde. Erst die Bundestagswahl brachte verbale Beteuerungen im Sinne der Verbraucherrechte. Am Ende kam eine Musterfeststellungsklage heraus, die vielen zunächst die Klage erleichtert hat. Aber den zweiten Schritt – individuellen Schadenersatz einfordern – müssen Verbraucher alleine tun. Und damit es losgeht, strecken die Steuerzahler die Kosten vor. Allerdings nur da, wo ein Verband die Klage für klug hält. Der Rest bleibt alleingelassen.

Auch beim nationalen Textilbündnis wurde viel geredet. Aber wir warten vergeblich auf eine verbindliche Transparenzrichtlinie, die im europäischen Markt nachvollziehbar macht, wo und zu welchen sozialen und ökologischen Bedingungen unsere Kleidung produziert wird. Kein Minister traut sich, den Prozess auf EU-Ebene in Gang zu setzen, der in einigen Jahren jedes T-Shirt rückverfolgbar macht. Von einer verpflichtenden Einhaltung der Menschenrechte ganz zu schweigen.

Und bei der Ernährung gilt: Es gibt immer mehr Fertigprodukte, die zu süß, salzig und fettig sind und Fehl­ernährung und Krankheiten verursachen. Nach jahrzehntelangen Debatten scheut sich die Bundesregierung noch immer, eine Nähwertkennzeichnung wie etwa die Ampel oder Nutri-Score einzuführen.

Bild: Reuters
Renate Künast

Renate Künast, 63 Jahre, war von 2001 bis 2005 als erste Grüne in diesem Amt Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft. Damals gründete sie das Bundesinstitut für Risikobewertung. Aktuell ist sie Mitglied des Bundestags.

Hinter allem steht, dass sich die Groko nicht traut oder weigert, die Verbraucher als Träger von Rechten innerhalb der Wirtschaft anzusehen. Aber wir dürfen uns nicht hinter die Fichte führen lassen: Verbraucher sind Rechtssubjekte, nicht Empfänger von ein paar Almosen.

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3 Kommentare

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  • Frau Künast hat sehr gute Arbeit gemacht und kann sich mit Selbstkritik durchaus zurückhalten. Dass alle Regierungen allgemein vor der Wirtschaft und speziell der äußerst aggressiven Agrarlobby einknicken, ist nun wirklich nicht ihre Schuld.

  • 9G
    93350 (Profil gelöscht)

    Ich bin verblüfft von dem Selbstbewusstsein von Frau Künast, ohne historische Rückschau auf die eigenen Versäumnisse die bis heute wirken. Man weiß garnicht wo man anfangen sollte, würde man die fatalen Versäumnisse der Regierungen vergangener Jahre aufzählen. Als ob Lebensmittelproduktion, Landwirtschaft, Verbraucherrecht und Infrastrukturentwicklung erst seit kurzem zu Gunsten der Finanz- und Industriekonzerne von der Politik gesteuert wird. Die Sache mitbdem Glashaus ist hier zu erwähnen. Auch Selbstkritik kann ein guter Anfang sein.

  • Ach, Frau Künast! Sie waren die Einzige, die als Ministerin das Thema Verbraucherschutz wirklich ernsthaft vorangetrieben haben. Seitdem nur mehr "Arbeitsplätze!"-Verteidiger, die Folgekosten von der Industrie abwenden möchten.