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Gastkommentar Özil-StreitHeimatministerium DFB

Kommentar von Sergey Lagodinsky

Fußball als Ort für Tribunale: DFB-Chef Grindel macht im Streit um Mesut Özil aus seinem Verband eine neurechte Inquisitionskammer.

Sündenböcke werden zu „Fremden“ gemacht: Mesut Özil Foto: dpa

A ls Reinhard Grindel mit Fußballpolitik angefangen hat, da spielte Mesut Özil schon seit 16 Jahren Fußball für verschiedene deutsche Clubs. Während Grindel als Bundestags-Hinterbänkler für die CDU gegen die doppelte Staatsbürgerschaft kämpfte, holte Özil für seine Heimat Siege in Qualifikations­spielen und einen Weltmeistertitel.

Nun ist Grindel Chef des DFB. Oberlehrerhaft liest der Fußballanfänger Grindel dem Fußballprofi Özil die Leviten: Özil habe seine Fans enttäuscht und müsse sich, „auch in seinem eigenen Interesse“, öffentlich äußern. Weswegen enttäuscht? Wozu äußern? Alles bleibt nebulös, in Kombination mit Hinweisen auf Leistungen des gefallenen Stars aber patriotisch aufgeladen. Nach Oliver Bierhoffs Statement nach dem Muster „Özil – unser Unglück“ war Grindels Tirade kaum unbeabsichtigt.

Dass Özil mit seinem Erdoğan-Foto sich selbst und vielen anderen einen antidemokratischen Bärendienst erwiesen hat, steht außer Frage. Doch die meisten „Fans“, die Özil auf Stadien und auf Twitter rassistisch beschimpften, irritiert nicht, dass der Fußballer sich mit einem Diktator abbildet, sondern, dass er diesen Diktator als „seinen Präsidenten“ bezeichnet. Özils mühsam erarbeitete Zugehörigkeitsvermutung zur „deutschen Volksgemeinschaft“ wird mit Pfiffen einkassiert. Eine Warnung an uns alle – egal, wie gut und fleißig ihr seid, ein einziger Illoyalitätsverdacht – und ihr seid raus!

Spätestens hier sind wir im Heimatministerium DFB angelangt. Während Seehofer sich mit Merkel beschäftigt, übernimmt Grindel die Drecksarbeit und macht aus dem Volksverband DFB eine Inquisitionskammer der Neurechten. Jetzt, wo der „Türke“ Özil den Deutschen keinen Sieg aus Moskau gebracht hat, solle er sich bekennen: entweder zu Deutschland oder schuldig! So klingt die neue Loyalitäten-Diktatur im deutschen Fußball.

Sergey Lagodinsky

ist Rechtsanwalt und Publizist. Er bewirbt sich für die Grünen-Liste für das EU-Parlament.

Adieu, Fußball als Vorzeigelabor für Vielfalt. Hallo, Fußball als Ort für öffentliche Tribunale und Dolchstoßlegenden. Sündenbockstheorien gehören seit je zu unserer Folklore. Erst recht, wenn wir Sündenböcke zu „Fremden“ machen.

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13 Kommentare

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  • Was den DFB und Löw angeht gebe ich gerne Recht, aber Özil als den armen, armen Kerl hinzustellen finde ich unglaublich naiv. Der Mann ist Multimillionär, hat Manager und Berater und sein Auftritt mit Erdogan war kein spontaner Einfall sondern geplante PR für die Deutschtürken, die in der Mehrheit ein Unrechtsregime in der Türkei unterstützen, um sich Liebkind zu machen. Und seine Aussage `Herr Erdogan, sie sind mein Präsident´ macht die Sache nicht besser, sondern zeugt von seiner Haltung. Von einem Nationalspieler kann ich erwarten kein Unrechtsregime außerhalb Deutschlands zu unterstützen...

  • Das Fiasko der Nationalmannschaft in Russland muss die gesamte Mannschaft einschl. Trainer und andere Mitarbeiter tragen.

    ZDF hat herausgefunden, dass beim Gegentreffer vom Mexiko im ersten Spiel wohl alle Deutschen Spieler langsamer gelaufen seien zum eigenen Tor zurück als der Schiedsrichter!

    Der Gegentreffer von Schweden geht voll und ganz auf die Kappe von Toni Kroos. Mehrmals gingen Schweden zudem durch die Mitte durch und kamen zu 100 % Chancen. Es gab viele Ballverluste bei einfachen Pässen wie von Draxler zu Beginn des Spiels. Auch defensives Mittelfeld war quasi überhaupt nicht am Platz. Schweden konnten einfach nicht die Chancen verwandeln und ein Elfmeter wurde für sie nicht gegeben. Glück gehabt in einem desolaten Spiel.

    Sane (der teuerste Deutsche Fußballspieler lt. Transfermarkt und der beste Nachwuchsspieler der englischer Liga vergangenen Meisterschaft) ) wurde nicht mitgenommen. Hingegen spielte Draxler, der bei PSG nicht zu den ersten 11 gehört, auch wenn Neymar verletzungsbedingt oder aufgrund von einer Sperre nicht spielt. Bereits in Confederationscup konnte man sehen, wie überheblich er erspielt. Viele Ballverluste; nicht richtig gekonntes Dribbling ohne Effektivität und Effizienz; kein Umschalten bei eigenen Ballverlusten. Seine Nominierung zum besten Spieler kann man z.B. politisch erklären. Er schrieb ja kurz davor einen offenen Brief an den DFB. Ähnlich auch bei der WM; jedoch betrifft das mehrere Spieler diesmal.

    Sturm. Ohne Klose keine Tore!

    Neuer. Wegen der Verletzungen und der langen Pause hat noch nicht zu seiner alter Form zurück gefunden. Sonst wären wohl keine Gegentreffergeschehen.

    Das Hauptproblem war die mentale Einstellung. Als Weltmeister muss man sich irgendwie motivieren. Der Blick "des hungrigen Tigers" hat gefällt. Den Teamgeist - jeder für jeden - hat man leider vermisst.

    Zweikampfverhalten war – statistisch gesehen – am Schlechtesten.

    So etwas kann oft passieren, wenn man der Beste = Weltmeister ist.

    ...

  • "Dass Özil mit seinem Erdoğan-Foto sich selbst und vielen anderen einen antidemokratischen Bärendienst erwiesen hat, steht außer Frage."

    Aber die Europäische Union macht doch Flüchtlingsdeals mit der Türkei. Wo ist da der Unterschied?

  • Ozil wurde erst mit 17 oder 18 Jahren Jahren im Ausblick auf eine Nominierung der DFB-Elf ein deutscher Staatsbürger. Dass er den türkischen Pass damals als Gelsenkirchener Junge abgegeben hat, hat er nicht erklärt.

    Ohne jeweiligen Pass keine Nationalmannschaft - damit ist es automatisch ein National- und kein Nicht-National-Thema.

  • 8G
    81331 (Profil gelöscht)

    .."dass er diesen Diktator als „seinen Präsidenten“ bezeichnet". Nein, hat er nicht, das war Herr Gündogan.

  • @dima Schauen sie nach Belgien, Frankreich, Schweden, dann wissen Sie, was Erfolg bringt: Verzicht auf Rassismus.



    Komisch, dass die fanatischsten Nationalisten zusammen mit der BLÖD besonders viel beigetragen haben, die Stimmung in der deutschen Fußballmannschaft kaputt zu machen.

  • Als ausdrücklich nicht von Sympathien für die CDU-geleiteter Zeitgenosse möchte ich mal den Laschet aus Ozils Heimat NRW zitieren: „Auf die Idee, dass ein Foto mit Erdogan an der Niederlage gegen den Fußball-Giganten Südkorea schuld sein soll, können auch nur DFB-Funktionäre nach drei Wochen Nachdenken kommen“ (auf twitter 09.07.2018).

    Das Verhalten des Ex-CDU-MdB- Hinterbänklers Grindel ist nur noch erbärmlich. Der Mann, der sich bereits beim damaligen sog. Visa-Untersuchungsausschuss („Vollmer-Erlass“) gegenüber Joschka Fischer als besonders gut im Nachtreten erwiesen hat, stimmt nun ein in die Abrechnung, in den Kulturkampf gegen “Multikulti“, der von Springer’s Oberschmieranten Reichelt & dem Dunkeldeutschland-Online-Mob betrieben wird.

    Zum Vergleich: von Schwedens WM-Team & vom anständigen Teil der schwedischen Öffentlichkeit wurden die unterirdischen online-Angriffe auf den türkischstämmigen Jimmy Kurnaz mit einer eindeutigen solidarischen Unterstützungsaktion beantwortet.

    Ich hatte eigentlich so was aus dem DFB-Kreis, ja direkt aus der Mannschaft auch erhofft als klares Signal, was geht in diesem Land und was nicht. 2016 bei Gaulands Verbaldurchfall gegen Boateng funktionierte das noch. 2018 nicht mehr, weil der menschenfeindliche Rechtsaußen-Diskurs Oberhand gewonnen hat und Medien wochenlang sich das rechtspopulistische Seehofer-Dobrindt-Söder-Schmierenstück vorspielen lassen und mit inszenieren.

    Das waren noch Zeiten als Ex-DFB-Chef Theo Zwanziger sich für die LGBT-Community und für Respekt gegenüber schwulen Fußballern in die Bresche geworfen hat. Vorbei … die Grindels, Reichelts, Weidels (Tweet: „AfD wirkt!“ bei Özils Nichtaufstellung gegen Schweden) haben Oberwasser. Der oder die wildgewordene Kleinbürger*in flatuliert aus allen Öffnungen.

  • Der Autor schießt mit seinem Kommentar und der geäußerten Kritik am DFB ein wenig über das Ziel hinaus. Er sagt selbst, dass Herr Özil sich einen Bärendienst erwiesen hat. Dieser Bärendienst ist im Falle einer Nationalmannschaft (im Gegensatz zur Multinationalmannschaft) doch ganz erheblich und von erheblichem öffentlichen Interesse.

    Lässt sich das für die Zukunft vermeiden? Ja, indem zukünftig nur noch Spieler mit Singlepass aufgestellt werden.

    Angesichts der hohen Gehälter und des großen Images dürfte es jungen Spielern recht leicht fallen, eine mögliche doppelte Staatsbürgerschaft aufzugeben.

    • @DiMa:

      Man kann auch vermeiden, dass Dunkelhaarige Fehler machen, indem man nur noch Blonde aufstellt...

      Tatsächlich ist Özil - im Gegensatz zum Kollegen Gündogan - kein türkischer Staatsbürger. Es hilft also nichts, hier irgendwelche künstlichen Grenzen zu ziehen: Wenn ein deutscher Nationalspieler in seiner Freizeit Typen trifft, die Ottonormalbürger nicht leiden kann, dann ist es zunächstmal an Ottonormalbürger zu erkennen, dass ihn das nicht zu interessieren braucht.

      Fußball ist auf dem Platz. Wenn sich das die Zuschauer klarmachen, kommt auch die Presse nicht auf die Idee, solche überflüssigen Kampagnen zu reiten.

    • @DiMa:

      Özil besitzt meines Wissens nur die deutsche Staatsbürgerschaft als Gelsenkirchener Junge.

      Das geistig, oder offen auf AfD-Zusammenrottungen (von Poggenburg) propagierte Ausbürgern von deutschen Staatsangehörigen (wie bei Özoguz oder Özdemir vorgenommen) gehört eindeutig einer anderen Zeitperiode der deutschen Historie an.

      Oder hat Rechtsaußen auch schon den Stempel mit dem großen "J" parat, diesmal in der "M"-Ausgabe für Muslime?

      • @esgehtauchanders:

        Wat willste von soner Dimmlampe an der Spitze der Wertschöpfungskette 'schland anderes erwarten*!*

        unterm—



        Früher - nannte frauman - solche Unsagbaren - “Doof wie Schifferscheiße“ - aber angesichts -



        Arschlöcher für Deutschland -



        Wäre das ja glatt - Suboptimal!



        &



        Wer Bitte*¿* - Wollte sich mit Acker -



        vulgo GazPromGerd “Raus - aber schnell“! Newahr! Auf eine Stufe stellen! Eben.

        kurz - Gornet erst ignorie‘n*!*

        • @Lowandorder:

          Zum Gruße ..

          mal wieder gekonnt runtergedimmt ;-) .. oder doch vielleicht raufgedimmt von 0 auf Unter-Tippich-Höhe?

          Wie auch immer . der Padr.. idiot brauchts halt.

  • Ähm: Es war Gündogan, der Erdogan - durchaus zutreffend - als "seinen" Präsidenten bezeichnet hat. Özil hat außer seiner puren Anwesenheit für die Foto-OP nichts gesagt oder getan. Das scheint aber weder rechte noch linke Basher zu interessieren.

    Und es war die deutsche Journaille - AUCH von ganz rechts bis ganz links - die GANZ GENAU wusste, was sie davon zu halten hatte und wie unmöglich es war, dass Özil dazu "immer noch" schwieg, und dass es die verdammte Pflicht des DFB gewesen wäre, Özil zu einer wogenglättenden Äußerung zu dem Thema zu bewegen oder aus der Mannschaft zu schmeißen.

    Der DFB hat sich an der allgemeinen Özil-Schelte nur sehr gemäßigt beteiligt und seine Kompetenzen nicht überschritten, indem er den Spieler genötigt hätte sich selbst zu äußern. Jetzt sieht er aber, dass die Absicht, die Antwort auf dem Platz zu geben, auch(!) an dem zu Beginn der WM immer noch tobenden Shitstorm gescheitert ist. Man kann sowas halt nicht ignorieren und den Spieler gewähren lassen, wenn man eine Mannschaft in Turnierform zu bringen hat. Diese traurige Erkenntnis offen zu kommunizieren, ist jetzt natürlich inquisitorisch und ebenfalls eine Shitstorm wert - am besten mit der Rassismus-Karte zuoberst. Die hat noch jeden Funktionär in den Rücktritt geprügelt...

    Tatsache ist doch: "Die Mannschaft" hat versagt. Alle sind sauer und wollen Blut sehen. Und von den DFB-Verantwortlichen hat keiner bislang die Güte gehabt, sich vor laufenden Kameras zum Bauernopfer zu machen. Das geht einfach nicht, also muss jetzt aus allen Rohren geschossen werden, auch wenn die Funktionäre nur genau das tun, was dieselben öffentlichen Scharfrichter zuvor wochenlang als den einzig richtigen Weg dargestellt haben.