Garagenkomplexe aus DDR-Zeiten: Seltene Rückzugsorte
Garagenbauten zwischen Wohnhäusern gibt es bis heute in Leipzig und anderswo. Sie verschwinden. Von werkelnden Männern und kollektiven Träumen.
Paul ist 33 Jahre alt, lebt seit 6 Jahren in Leipzig und arbeitet als Kaffeeröster. Er trägt eine verwaschene olivgrüne Jacke, hat eine Flasche Bio-Apfelsaftschorle dabei und strahlt eine gewisse Gelassenheit aus. Wir stellen unsere Fahrräder ab. Er schließt das Eingangstor auf. Gemeinsam tauchen wir ein in eine Welt ein, in der ich mich zuletzt in meiner Jugend bewegt habe.
In Zerbst, einer Kleinstadt in Sachsen-Anhalt, in der ich aufwuchs, gab es auch solche Garagenkomplexe, zum Teil mit etwa 100 Garagen. An Wochenenden standen viele Tore offen. Radios liefen. Es roch manchmal nach Schmieröl, manchmal nach Lack und Terpentin. Vor allem ältere Männer werkelten an ihren Fahrrädern, Mopeds oder ihren alten Trabbis. Manchmal wurde zusammen gegrillt. Getrunken wurde meistens Hasseröder. Man half sich untereinander, wenn es nötig war. Obwohl alle ihre eigenen Garagen hatten, schien es einen gewissen kollektiven Geist zu geben.
„Ist das heute noch so?“, frage ich Paul. „Also gegrillt hat hier noch keiner“, antwortet er, „wenn ich hier war. Aber die Leute sind schon interessiert, wenn sie da sind, grüßen freundlich und fragen, was man gerade so treibt.“
Alter Schlüssel aus DDR-Zeiten
Wir gehen zur Garage Nummer 13. Mit einem alten Schlüssel aus DDR-Zeiten – drei Viertel oranges Plastik, ein Viertel Metall – öffnet Paul die Tür. Neben jeder Menge Baumaterial, das hier lagert, erwarten uns einige weitere Relikte aus der Zeit vor der Wende. Ein blau-weißes Klapprad von Mifa, eine Kuckucksuhr aus Weimar, das eben schon erwähnte Quecksilberthermometer und zwei alte Leuchtstoffröhren an den Decken, die erst mehrmals flackern, bevor sie richtig angehen.
Seit fast einem Jahr darf Paul die Garage nutzen, zu der er nur wenige Minuten mit dem Rad braucht. Ein zufälliger Bekannter hat ihm vertrauensvoll die Schlüssel gegeben und lässt ihm dort freie Hand. „Er findet’s gut, wenn Menschen, die etwas machen wollen, das auch machen können. Ich bin dabei, hier eine Werkbank aufzustellen, um dann eigene Möbel zu bauen.“
Dass so ein lockerer Umgang mit dem Garagenschlüssel üblich ist, kann Paul sich nicht vorstellen. Die wenigen Nachbar*innen, die er bisher gesehen hat, sichern ihre Garagen zum Teil mit mehreren Schlössern und Alarmanlagen. Sie verwahren dort ihre Mopedsammlungen, Motorräder, Oldtimer – ihre kleinen blechernen Heiligtümer. Manchmal sind sie da, zum Putzen und Schrauben, jedoch wirke alles recht anonym. Nicht so anonym wie im städtischen Wohnen, aber eben doch recht anonym. „Das war auch schon vor der Wende so“, erzählt mir Pauls Bekannter am Telefon.
Wie es mit diesem und anderen Garagenhöfen weitergeht, ist fraglich. In Ostdeutschland gab und gibt es bis heute in vielen Städten etliche solcher Garagenbauten, die zwischen Wohnhäusern gebaut wurden. 227 allein in Leipzig, mit insgesamt Tausenden Garagen. Mit knapper werdendem städtischem Raum wird auch der Druck auf die Garagenbesitzer*innen größer.
„Gewachsene Sozialräume“
Wie die Datschenbesitzer*innen im ehemaligen Osten gehören auch sie deshalb zu den besonders von Verdrängung bedrohten Gruppen. Auch ihre Pachtverträge gehen oft noch auf die DDR-Zeit zurück, auch bei ihnen läuft der Bestandsschutz dieses Jahr aus. In Leipzig will man zur Lösung des Themas allerdings „sensibel vorgehen“, da es um „gewachsene Sozialräume“ aus „ostdeutscher Stadtentwicklung“ geht, heißt es in der Antwort des Stadtrats auf eine Nachfrage der Linkspartei im Februar 2022.
Lässt sich an diesen Garagen hier von einem „gewachsenen Sozialgefüge“ sprechen? Paul beteuert, dass der Ort schon eine Relevanz für die Menschen habe, die sich hier bewegen. Für sie und auch für ihn sei das ein seltener Rückzugsort. „Hier kann man mal aussteigen aus dem Alltag und sich voll in sein Hobby vertiefen.“
Zur Zukunft der Garagen ist Paul zwiegespalten. Bei allen Vorteilen, die die Garagen für ihn und die anderen Nutzer*innen bieten, sei es schwer zu rechtfertigen, dass hier „Mopeds ein Dach über dem Kopf haben, während zentral gelegener sozialer Wohnraum knapp ist“.
Gemeinsam denken wir über Alternativen nach: Wie wäre es mit nicht-kommerziellen, kollektiven Parkflächen und Werkstätten? Das würde nicht nur Material und Raum sparen. Man könnte auch voneinander lernen und – Vorsicht – am Ende sogar noch Freundschaften schließen.
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