Gaming-Historiker über Epidemien: „Überwinden der eigenen Ängste“
Seuchen sind ein beliebtes Thema in Games, auch in „Resident Evil 3“. Gaming-Historiker Eugen Pfister über Lerneffekte und Verschwörungstheorien.
taz: Herr Pfister, Sie erforschen Horror in Videospielen und was wir davon in die reale Welt mitnehmen. Wie gut eignen sich Seuchen für Games?
Eugen Pfister: Anscheinend ziemlich gut. Seuchen verbreiten sich in Videospielen seit den 80er Jahren, hauptsächlich in Form von Zombies. Bis heute sind Zombies unglaublich populär, wie es gerade wieder das aktuelle Remake von „Resident Evil 3“ zeigt. Das liegt auch an den grundlegenden Themen, die hier behandelt werden: kollektive Identitäten, also die Frage, wer wir sind und wo unsere Grenzen liegen.
Gehen Videospiele näher auf den Ursprung von Epidemien und Seuchen ein?
Das eher weniger. Das Virus ist meist nur ein Grund, um die Gesellschaft zusammenbrechen zu lassen und Spieler*innen dann in eine zerstörte Welt zu schicken. In Resident Evil 3 ist das die Stadt Racoon City, deren Infrastruktur zusammengebrochen ist, nachdem ein Virus aus einem Konzernlabor ausbrechen konnte. Viel weiter geht Resident Evil aber auch nicht auf die Viren ein, das würde dem Spiel auch einen Teil seiner Spannung nehmen. Denn Viren sind ja gerade deshalb so furchteinflößend, weil sie sich unserer Kontrolle entziehen und unberechenbar sind.
Tausende Menschen sind durch das neuartige Corona-Virus schon gestorben. Gleichzeitig sind Seuchenfilme auf Netflix beliebt und Zombiespiele sind Kassenschlager. Wie erklären Sie sich das?
Eine verbreitete Erklärung ist der Katharsis-Moment, also das Ausleben und Überwinden der eigenen Ängste. Die Germanistin Eva Horn hat mit “Zukunft als Katastrophe“ ein spannendes Buch dazu geschrieben. Sie unterteilt Dystopien in der Populärkultur in alarmistisch und entlastend: Dystopien weisen also entweder auf Gefahren hin oder lassen uns einfach anderen beim untergehen zusehen. Das Starren auf die Katastrophe entlastet uns von der schwierigen Aufgabe, selbst zu handeln. Zum anderen suchen wir vielleicht auch nach Worst-Case-Szenarien, um uns darauf vorbereiten zu können.
Helfen Videospiele dabei, sich auf reale Seuchen vorzubereiten?
geboren in Wien, hat Geschichte und Politikwissenschaft studiert und leitet das SNF-Forschungsprojekt „Horror-Game-Politics“ an der Hochschule der Künste in Bern. Er unterrichtet und forscht zu digitalen Spielen als historische Quellen.
Ein reines Zuschauen wie in Filmen ist in Videospielen meist nicht möglich, da sie interaktiv sind. Trotzdem können wir immer klar zwischen Spiel und Realität unterscheiden. Spiele mahnen uns vielleicht sogar mit ihren Worst-Case-Szenarien dazu, gegenteilig zu handeln, um darauf zu achten, dass es niemals so weit kommt. Vor diesem Spiegel erkennen wir hoffentlich, dass es besser ist, in der Gemeinschaft zu überleben, anstatt Waffen und Munition zu horten und unsere Nachbar*innen zu erschießen, sobald sie einmal husten.
Von fiktiven Zombieseuchen einmal abgesehen: Welche realen Krankheiten und Pandemien nehmen Videospiele als Vorbild?
Die mittelalterliche Pest beispielsweise im Action-Adventure A Plague Tale: Innocence. Im Vampirspiel Vampyr verarbeiten die Entwickler*innen die Spanische Grippe nach dem Ersten Weltkrieg. Und in I’m Positive wird das Thema HIV behandelt.
In Onlinespielen agieren Tausende Spieler*innen gleichzeitig und erzeugen soziale Dynamiken. Welche Ähnlichkeiten zur realen Welt gibt es dort?
Dort können wir bis zu einem gewissen Grad lernen, wie sich Menschen in Krisen verhalten und wie sich Viren verbreiten. Eine Studie untersucht etwa eine Pandemie im Online-Rollenspiel World of Warcraft aus dem Jahr 2005. Durch einen Programmierfehler entstand damals ein Virus, das die Spielfiguren tötete. Die tierischen Begleiter der Spieler*innen haben das Virus verbreitet, aber selbst keine Symptome gezeigt. Aber: Manche Spieler*innen suchten daraufhin das Risikogebiet auf, um einen „Kick“ zu erfahren. Andere verbreiteten vorsätzlich das Virus, um anderen Spieler*innen Schaden zuzufügen. Deshalb wäre ich vorsichtig mit Übertragungen auf die Realwelt.
Im Onlinespiel „Fallout 76“ ist Klopapier mittlerweile eine wertvolle Ressource. Spieler*innen posten Fotos von ihren Glasvitrinen, in denen sie Klopapier ausstellen.
Die Spieler*innen nutzen „Fallout 76“, um satirisch über Corona reden zu können. Ähnlich ist es mit den abgeriegelten chinesischen Städten, die mit den Horrorspielen „Silent Hill“ und „Resident Evil“ verglichen werden. Wir begegnen hier vielleicht einer Bewältigungsstrategie: Die Populärkultur, zu der Videospiele gehören, hilft uns dabei, Pandemien und unsere Ängste davor besser zu verstehen.
Auf Twitter tummeln sich einige User*innen, die eine große Verschwörung wittern und eine Verbindung zwischen „Resident Evil“ und dem Coronavirus herstellen. Corona sei ein Anagramm von Racoon City, ein Labor in Wuhan habe angeblich das gleiche Logo wie der Umbrellakonzern, der das tödliche Virus im Spiel gezüchtet hat. Wie erklären Sie sich das?
Viele Verschwörungstheorien greifen auf fiktionale Erklärmuster zurück und sollen uns so unerklärbare Situationen begreifbar machen. Die mangelhafte Trennung zwischen Realem und Fiktivem hat – so scheint es mir zumindest – zugenommen, was vielleicht auch an mangelnder Medienkompetenz liegt.
Im Strategiespiel „Plague Inc.“ von 2012 steuern Spieler*innen ein Virus und müssen die Menschheit vernichten, in „Resident Evil 3“ sind Tausende Menschen an einem Virus gestorben. Wie ethisch ist es, Videospiele mit solchen Szenarien in Zeiten von Corona zu verkaufen?
Ich finde, das ist keine ethische Frage. Die Entwickler*innen tragen keine Verantwortung daran, dass das Coronavirus ausgebrochen ist. „Plague Inc.“ ist ein intelligentes Spiel mit einer klaren Warnung: dass wir uns besser auf Pandemien vorbereiten und zusammenarbeiten müssen. Angesichts der kollektiven Weltangst ist „Plague Inc.“ aber nun zu nah an der Wirklichkeit und kann als Verherrlichung von Pandemien missverstanden werden. Die Entwickler*innen haben auf die aktuelle Situation reagiert und einen Spielmodus eingefügt, in dem man ein tödliches Virus besiegen muss.
Welches Videospiel empfehlen Sie, um gut durch die Isolation der nächsten Wochen zu kommen?
„Prune“ für das Smartphone. Darin muss man Zwetschgenbäume so beschneiden, dass die Zweige zur Sonne hin wachsen und zu blühen anfangen. Das beruhigt zumindest bei mir gerade die Nerven.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind