G-7-Gipfel in Elmau: Lohnen sich Großproteste noch?
Sieben mächtige Politiker fahren nach Elmau, aber kaum Demonstranten. Haben sich zu viele Aktivisten ins Lokale zurück gezogen?
Am Morgen sind die Straßen blockiert, überall Menschen. Kein Auto kommt mehr durch zu dem Hotel, in dem sich die mächtigsten Männer und Frauen der Welt treffen wollen. Sie müssen schließlich mit dem Hubschrauber eingeflogen werden. So war es 2007 beim G-8-Gipfel im Ostseebad Heiligendamm. An diesem Wochenende treffen sich sieben Staats- und Regierungschefs der selbst ernannten wichtigsten Industrienationen wieder in Deutschland. Wird es dann noch einmal solchen Protest geben?
Die Polizei scheint daran zu glauben, die Regierungen in Berlin und München auch. Die Sicherheitsvorkehrungen für den G-7-Gipfel in Elmau sind hoch. Das Schengener Abkommen ist bis zum 15. Juni teilweise aufgehoben, für Kontrollen an den österreichischen und tschechischen Grenzen. 19.000 PolizistInnen sind um Elmau im Einsatz.
In Garmisch-Partenkirchen haben Kritiker des Gipfels ihre Zelte aufgeschlagen. Das Verwaltungsgericht München hatte das Camp nur wenige Tage vor dem Treffen doch noch erlaubt. In München haben am Donnerstag etwa 34.000 Menschen gegen G7 demonstriert. Doch die bayerische Hauptstadt ist rund 100 Kilometer von Schloss Elmau entfernt.
Eine Blockade wie 2007 in Heiligendamm erscheint unwahrscheinlich. Das hängt nicht nur mit der Abgeschiedenheit des Versammlungsorts zusammen. Vor dem Gipfel zeigte sich, dass die verschiedenen Gruppen des Protestlagers unterschiedliche Ziele verfolgen. Die einen wollten so nahe wie möglich an das Hotel heran, die anderen hielten es nicht für möglich einen wirksamen Protest im hintersten Winkel der Republik zu organisieren.
An diesem Wochenende treffen sich die wichtigsten Staats- und Regierungschefs zum G-7-Gipfel in Elmau. Alles wie immer? Nein, denn viele eingefleischte Protestler und Globalisierungskritiker werden zu Hause bleiben. Warum das so ist, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 6./7. Juni 2015. Außerdem: Ingeborg Rapoport wollte ihren Doktor in Medizin machen. Aber die Nazis ließen sie nicht, weil ihre Mutter Jüdin war. Jetzt hat sie die Prüfung doch noch gemacht – mit 102 Jahren. Und: Die kurdischen Kämpfer haben den Islamischen Staat aus Kobani vertrieben. Jetzt kehren die Bewohner zurück. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Dahinter steckt mehr als die üblichen Zerrissenheiten linker Spektren. Den linken Gruppen fehlt das Gemeinschaftsprojekt, das sie in Heiligendamm noch einte. Das zeigen Christian Jakob und Martin Kaul in ihrer Titelgeschichte „Wo protestieren sie denn?“ der taz.am wochenende vom 6./7. Mai 2015. Statt einen großen Kampf zu verfolgen, beschäftigten sich heute viele kleine Initiativen mit verschiedenen Projekten. Sie stören Nazis bei einer Demonstration in Brandenburg. Sie protestieren gegen einen Truppenübungsplatz in der Altmark. Die beiden Autoren treffen AktivistInnen in Elmau, Frankfurt und im kleinen Dorf Meuchefitz in Sachsen-Anhalt und sprechen mit ihnen über ihre Erfahrungen und darüber, was sie antreibt.
Heiligendamm war besser
Die Tendenz, sich auf lokale Kämpfe zu konzentrieren, gibt es schon länger. Es gab sie schon vor Heiligendamm.
Bereits ein Jahr vor dem Gipfel in Heiligendamm war auf einem Kongress in Berlin auf die Nachteile von Großprotesten hingewiesen worden. Auch darüber schreiben die beiden Autoren in ihrem Text. Schon 2006 bilanzierten linke Globalisierungskritiker, die Kräfte, die bei einem großen Protest gebraucht werden, fehlten andernorts: etwa beim Protestieren gegen Neonazis, zudem würden die lokalen Gruppen nach solchen Gipfelprotesten sowohl mit Schulden als auch juristischen Problemen allein gelassen.
Sie entschieden sich damals doch, aus Heiligendamm etwas Großes zu machen. Denn nach wie vor erzielen Großproteste die meiste Aufmerksamkeit. Die Staats- und Regierngschefs, die sich in Elmau treffen, mögen keine Weltregierung sein, aber ihr Treffen hat hohen Symbolwert. Und für linke Gruppen ebenfalls wichtig: Solche Gipfel verhandeln immer Themen, die sonst meist getrennt diskutiert werden. Aktuell sind das zum Beispiel die Kriege in Syrien und der Ukraine - Russland darf bei dem Treffen zum zweiten Mal seit 1998 nicht mehr dabei sein, aber über die russische Rolle in der Ukraine muss geredet werden. Zu diesen Themen gehören auch der Tod tausender Flüchtlinge im Mittelmeer und Hilfen für ärmere Länder. Bei vielen Treffen haben die Politiker mehr Geld für solche Hilfen versprochen, ihre Versprechen allerdings nie gehalten.
Anlässe für große, gemeinsame Proteste gäbe es also. In Heiligendamm hat das, trotz vieler Differenzen, funktioniert.
Bräuchte es in Elmau ein zweites Heiligendamm? Sind solche Großproteste überhaupt wünschenswert, oder bewirkt die politische Arbeit im Lokalen viel mehr? Was meinen Sie?
Diskutieren Sie mit!
Die Titelgeschichte „Wo protestieren sie denn?“ lesen Sie in der taz.am wochenende vom 6./7. Juni 2015.
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