Fußballimperium Red Bull: Bullen statt Eichhörnchen
Red Bull kauft den japanischen Klub Omiya Ardija. Es deutet sich an, wie rücksichtslos der Konzern vorgeht. Klub-Identität zählt wenig.
An einem Sonntag Ende Oktober marschieren er und sein Freund Naonari, beide 21, voll triumphaler Gewissheit zum Nack5 Stadium in Omiya. Den Weg dorthin findet hier jeder. Die Stromkästen, Laternen und Schaufensterläden sind überall orange angemalt – die Farbe von Omiya Ardija. „Wenn wir heute einen Punkt holen, sind wir Meister“, prahlt der selbstverständlich in Orange gekleidete Naonari. „In ein paar Jahren spielt Orange dann auch wieder in der ersten Liga!“
Die Zuversicht der zwei jungen Männer ist mehr als die typische Überheblichkeit, die Fans eines Fußballklubs oft vor sich hertragen. Tatsächlich ist fast garantiert, dass sich Omiya Ardija in den nächsten Jahren nicht nur wieder in der Erstklassigkeit etablieren, sondern wohl auch an der Spitze der J-League angreifen wird. Im vergangenen Sommer hat Red Bull 100 Prozent der Anteile von Omiya Ardija gekauft. Die Engagements des Konzerns anderswo haben gezeigt: Red Bull züchtet Topklubs, Geld schießt Tore.
Wenn also alles gutgeht, wäre Omiya, ein Stadtteil der Millionenstadt Saitama nördlich von Tokio, ab Frühjahr 2026 endlich wieder erstklassig. Trotzdem ist Shinnosuke und Naonari bange, wenn sie an die Zukunft ihres Klubs denken. Denn es kann gut sein, dass selbst im Fall eines Durchmarschs in Liga eins kaum mehr Orange in der J-League zu sehen sein wird. „Ich hoffe, sie ändern unseren Namen nicht in RB“, sagt Shinnosuke. „Oder unser Wappen in einen Bullen!“, überlegt Naonari. Was das Schlimmste wäre, da sind sich die Studienfreunde einig: „Wenn Red Bull unsere Farben ändert!“ Der Klub hat sich zu diesen Fragen bisher nicht geäußert.
Existente Klub-Identität
Wenn ein österreichisches Milliardenunternehmen einen japanischen Drittligisten kauft, könnten Außenstehende Jubelsprünge erwarten: Schließlich ist Omiya Ardija ein Klub mit kaum einem halben Jahrhundert Geschichte, hieß einst NTT Saitama Soccer Selection und war die Betriebssportmannschaft des Telekommunikationsmonopolisten NTT. Mit der Gründung der Profiliga J-League Anfang der 1990er Jahre wurde Omiya Ardija daraus. Viele Fans waren NTT-Mitarbeiter und deren Angehörige. Typisch für Japan.
Doch wer denkt, die Identitäten seien hier austauschbar, versteht den Fußball nicht, der auch in Japan zu den beliebtesten Sportarten zählt. „Mein Vater hat für NTT gearbeitet“, ruft Shinnosuke, als er sich auf die Stehplätze hinterm Tor drängelt. „Ich war schon als kleiner Junge hier.“ Um ihn herum wehen orangene Fahnen, auf dem Spielfeld wird vor Anpfiff ein orangenes Banner eingerollt. Die Kurve grölt pausenlos aus Popsongs umgedichtete Gesänge. Die 15.500-Zuschauer-Arena ist fast voll – in der dritten Liga.
Je mehr man sich im Stadion umhört, desto deutlicher wird, dass die Vorfreude auf große sportliche Zeiten getrübt ist. „Man geht jetzt schon davon aus, dass Omiya in ein paar Jahren Meister werden könnte“, erklärt der Redakteur des Fanzines „Ardija Guide“ auf der Pressetribüne. „Aber die Fans wollen auch wissen, was aus ihrem Klub wird.“ Die neuen Investoren seien leider schweigsam. „Die Fans kommen zwar weiterhin ins Stadion. Aber auf sozialen Medien ist schon viel geklagt worden.“
Beim Kauf durch Red Bull wurden Mitarbeitende und Fans vor vollendete Tatsachen gestellt. „Uns hat das überrascht“, sagt nicht nur der Redakteur des Fanzines. Selbst Yuya Takahashi, der Pressesprecher von Omiya Ardija, erklärt: „Anfang des Jahres zeigte sich, dass Red Bull Interesse hat.“ Details kenne aber auch er nicht: „Wie teuer der Kauf für Red Bull war, weiß ich nicht.“ Dafür kennt er die Stimmung unter Fans: „Die Sorgen, dass sich viel verändern wird, hören wir.“
Neuer Name, neues Logo und auch neue Farbe?
Mitte vergangener Woche hat sich Red Bull dann erklärt: Bei einer Pressekonferenz saß Chef Oliver Mintzlaff vor einem dem Logo der Klubs in Leipzig oder Salzburg zum Verwechseln ähnlichen Emblem, bei dem der blaue Schriftzug „RB Omiya Ardija“ zwei rote Bullen einrahmt. Name und Logo sind also Geschichte. Zur Farbe erklärte Mintzlaff, man habe eine Lösung gefunden, „sodass wir Omiyas orangene Farbe weiternutzen können“. In welcher Kombination, ob als Hauptfarbe und für wie lange, bleibt unklar.
Wer die Akquisitionen des österreichischen Milliardenunternehmens aus Fuschl am See ansieht, darf erwarten, dass Omiya Ardija irgendwann in Rot auflaufen wird: Red Bull Salzburg spielte einst in Lila, der Vorgängerklub von RB Leipzig, SSV Markranstädt, in Blauweiß. Das brasilianische Red Bull Bragantino war früher schwarzweiß. Bei Bekanntgabe des Ardija-Kaufs im August klang Oliver Mintzlaff auch wenig bedacht um Fankultur: „Wir freuen uns sehr, einen Verein in Asien zu haben und unser Fußballportfolio in einer strategisch wichtigen Region zu erweitern“, hieß es damals.
Aus Perspektive von Red Bull dürfte der Kauf eines japanischen Klubs viel Sinn ergeben. Japan ist die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt und damit ein großer Absatzmarkt für Energydrinks. Zudem flutet das ostasiatische Land den Fußballweltmarkt seit mehr als einem Jahrzehnt mit Talenten. Als Drittligist mit der Infrastruktur eines Erstligisten dürfte Omiya Ardija, dessen Stadion aus Tokio mit der U-Bahn erreichbar ist, die ideale Beute gewesen sein: vermutlich nicht allzu teuer, aber mit viel Potenzial.
„Wir kennen natürlich unsere Position in der Hierarchie“, sagt Pressesprecher Yuya Takahashi zur Frage, ob Omiya nun zum neuen Spielerlieferanten für RB Leipzig wird. „Es wird wohl so kommen, dass wir Toptalente früher oder später nach Leipzig abgeben werden.“ Im Gegenzug erhofft man sich Wissenstransfer aus der Red-Bull-Schule. „Wir freuen uns auf das Knowhow von Jürgen Klopp, Mario Gomez und den vielen sehr guten Trainern.“ Dies wiederum könnte den gesamten japanischen Fußball befeuern.
Omiya Ardija Fans weniger begeistert
Beim Spiel Ende Oktober bebt das Nack5 Stadium, die Fans grölen auch spät in der zweiten Halbzeit noch. Nur kurz sind die Gesänge durch Jubel unterbrochen worden: Nach einem überraschenden Rückstand haben die Hausherren in Orange gegen den FC Imabari, den Tabellenzweiten, ausgeglichen. Derzeit wäre Ardija als vorzeitiger Meister aufgestiegen.
Doch Makoto Aida, der seit mehr als einem Jahrzehnt ein Stammgast ist im Stadion, wird das allmählich zu viel. Nach dem Ausgleichstreffer hat er sich aus der Kurve verdrückt, um sich Bier und gebratene Nudeln zu holen. „Mir wird mulmig bei dem Gedanken ans erste Saitama-Derby“, erzählt er heiser. So nennen sich die hitzigen Begegnungen mit dem wohlhabenden Topklub und notorischen Feind Urawa Red Diamonds, der ebenso aus Saitama stammt. „Sollen wir gegen die Roten dann in Rot spielen, oder was?“
Alle im Stadion hier wollen sportlichen Erfolg und eine Chance, den ungeliebten Rivalen mal zu schlagen, betont Makoto Aida. „Aber um welchen Preis? Dass wir am Ende rot werden wie die Reds?“ Pressesprecher Takahashi kennt die Klagen, Red Bull habe bei seiner Investition nur harte Kriterien wie Marktpotenzial und Infrastruktur beachtet, weichere Merkmale wie die Identität eines Klubs aber übersehen. Nach der Pressekonferenz diese Woche dürften sie lauter werden.
Als das Spiel abgepfiffen ist, hat Omiya Ardija das 1:1 über die Zeit gerettet. „We are the champions“ schmettert durch die Arena. Im Stadion jubelt auch ein Maskottchen mit, das eher niedlich aussieht als hochpotent. Der Name Ardija ist ein Fantasiewort, das dem spanischen „ardilla“ entlehnt wurde und sich mit Eichhörnchen übersetzt. Aber auch dies soll nun ersetzt werden.
Kann man aus einem orangenen Eichhörnchen einfach einen roten Bullen machen? Hinter der Tribüne winkt Makoto Aida bei dieser Frage ab. Er wisse nicht, ob er dann noch komme.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Anbrechender Wahlkampf
Eine Extraportion demokratischer Optimismus, bitte!
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos