Fußball und Nationalismus: Ein kräftiges Aufbäumen

Der bessere Fußball wird von Klubs mit Milliardenumsätzen gespielt. Aber die Europameisterschaft ist längst noch nicht tot.

Ein Stand in Berlin, an dem Nationalflaggen von Deutschland und der Türkei verkauft werden.

Nationalflaggen und ihre Bedeutung: Identität, Stärke, Zugehörigkeit Foto: imago/Müller-Stauffenberg

Alles hat diese Europameisterschaft aufzubieten gehabt: von lustigen Schotten, enttäuschten Italienern, tanzenden Niederländern, betrunkenen Engländern, beflissenen Georgiern bis zu beleidigten Deutschen. Kein Klischee fehlte, aber doch ist ein solches Turnier letztlich auch dies: ein Kampf der Nationen, die von ihren Männerfußballauswahlen vertreten werden, wer sich denn letztlich Meister des Kontinents nennen darf.

Dabei ist die im Wort Fußball-EM angelegte Bedeutung, es gehe darum, wer den besten Fußball spielt, historisch längst überholt. Nicht Nationalmannschaften, sondern Klubteams, kapitalistisch organisiert, mit Umsätzen im Milliarden-Euro-Bereich, bieten den besten Fußball. Ihre Bühne ist nicht die EM, sondern die Champions League, dazu noch die nationalen Spielklassen und irgendwann vielleicht eine Super League. Nicht wenige der besten Fußballprofis der Gegenwart spielen längst nicht mehr in Europa, sondern etwa in Saudi-Arabien.

Dennoch sind die Europameisterschaft, die Copa América, der Africa Cup of Nations oder auch die Weltmeisterschaft keine Auslaufmodelle. Die Auftritte von Nationalmannschaften binden größere Emotionen als Champions-League-Auftritte von etwa Bayern München oder Borussia Dortmund. Hinter denen stehen bestenfalls gewachsene Vereinsloyalitäten, die historisch gesehen immer eher regional verankert waren. Mit dem Bedeutungszuwachs wurden diese Klubs zu weltweiten Marken, die global zwar Supporter haben, aber das ist auf dem Weltmarkt austauschbar. Es sind oft Messi-Fans, Ronaldo-Fans, Mbappé-Fans, die in der jeweiligen Saison dann PSG-, Real- und vielleicht auch Inter-Miami- oder Al-Nassr-FC-Trikots kaufen.

Trikotwechsel, die den Verkauf in Fanshops antreiben, gibt es für Nationalteams auch, aber die geschilderten Instabilitäten, die die Klubs aufweisen, fehlen einem Nationalteam sogar dann, wenn es über längere Zeit erfolglos bleibt und sich etwa nicht für eine WM- oder EM-Teilnahme qualifizieren kann. Schließlich repräsentieren diese Auswahlmannschaften in der Regel Nationalstaaten und solche Gebilde, die gerne Staaten wären. Schon der Umstand, dass es mehr Mitgliedsländer im Weltfußballverband Fifa als in der Uno gibt, zeigt, wie wichtig es für Länder ist, eine Nationalmannschaft zu unterhalten. Das gilt besonders für kleine Nationen, die mit dem Sport auf „die politische Weltkarte“ wollen, etwa bei dieser EM Georgien oder Albanien. Das galt in der Vergangenheit auch etwa für die Färöer, das Kosovo oder Gibraltar, also Teams, die keine eindeutig anerkannten Nationalstaaten repräsentieren.

Nur die SPD-Vorsitzende Saskia Esken hält die EM für das „Zusammenspiel befreundeter Völker“

Der Fußball und sein Wettbewerb der besten Auswahlmannschaften passt zu diesem Ziel sehr gut: Im Fußball zeigt sich Nationalismus als etwas Urwüchsiges, beinah Natürliches. Man jubelt halt dem Land zu, in dem man geboren wurde, da kicken „unsere Jungs“. Das war schon immer so, seit es diese Wettbewerbe gibt, aber doch hat sich in den vergangenen Jahren einiges verändert. Als verstärkendes Element wirkt der sogenannte Eventkapitalismus, der große Menschengruppen mit Billigfliegern in Metropolen gelangen lässt: zu EM-Spielen wie auch zu Konzerten oder zum Shopping.

Fans als PR-Botschafter ihres Landes

Auch bei dieser EM war zu beobachten, wie anreisende Fans faktisch PR für ihr Land machen. Landesfarben und Nationaltrikots prägten die Bilder, die wir von Innenstädten zu sehen bekamen, und das ganze geschah durchaus orchestriert: Auf den Fan Walks wurden große Gruppen durch die schöneren Ecken der Ausrichterstädte geführt, damit global einsetzbare Fernsehbilder entstehen, die sowohl deren Nation als auch die gastgebende Stadt in bestem Licht erscheinen lassen.

Nun sind die Verhältnisse aber nicht so, dass die Konkurrenz von Nationalstaaten nur lachende Gesichter, freundliche Menschen und schöne Bilder produziert. Zwar hält die SPD-Vorsitzende Saskia Esken die EM für das „Zusammenspiel befreundeter Völker“ und tatsächlich haben keine marodierenden Banden Fußgängerzonen zerlegt, aber zum einen war diese EM polizeilich gesichert wie noch kein anderes Event in Deutschland zuvor, und zum anderen haben allerspätestens die Pfiffe und andere Aggressionen gegen den spanischen Spieler Marc Cucurella beim Halbfinale Spanien–Frankreich gezeigt, was all die schönen Bilder nicht verdecken können: Es geht immer noch um nationale Konkurrenz.

Der Nationalismus lebt, und er ist sozusagen die Geschäftsgrundlage eines Events wie der Fußball-Europameisterschaft, vor allem der der Männer. Entsprechend können mit den hier symbolisch erkämpften nationalen Siegen auch politische Anliegen scheinbar plausibel vorgetragen werden. Forderungen nach einem Großungarn oder Großalbanien basieren ebenso auf behaupteter Größe wie das Selbstbewusstsein, mit dem türkische Rechtsextremisten den Wolfsgruß zeigen. Das unterscheidet den Nationalmannschaftsfußball fundamental vom Klubfußball. Dem geht es nicht um geografische Grenzen, deren Ausdehnung gewünscht würde. Dortmund will nicht Gelsenkirchen eingemeinden, Manchester nicht Liverpool.

Schwer fällt es auch vor diesem Hintergrund, sich etwa einen Europa-Nationalismus vorzustellen. Im Golf beispielsweise spielt schon seit Jahrzehnten beim Ryder Cup Europa gegen die USA, dort feuern Fans mit EU-Fähnchen die Spieler an – aber das ist eben Golf. Hypothetisch denkbar wäre so etwas im Fußball ja auch, etwa eine europäische gegen eine lateinamerikanische Auswahl – aber wer in dem monopolistisch aufgeteilten Fußballmarkt sollte so etwas jemals organisieren? Die Uefa verdient mehr mit mittlerweile 24 EM-Teilnehmern und hat ja noch mit der Nations League und einigen Klubwettbewerben weitere Geldesel auf den Fußballplatz geführt. Der Weltverband Fifa verdient mehr mit den mittlerweile 48 WM-Teilnehmern und den weiteren Wettbewerben wie Klub-WM oder Confed-Cup. Und die Klubs? Scheiden bei einem denkbaren Kontinent-vs.-Kontinent-Event ohnehin aus.

Was bleibt, ist dies: So sehr die kapitalistische Durchdringung des Sports dafür sorgt, dass der bessere und profitablere Fußball in als Konzernen organisierten Klubs gespielt wird, so sehr bleibt doch das Interesse am Zeigen nationaler Größe. 2028 geht es weiter, in Großbritannien und Irland.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.

Ihren Kommentar hier eingeben