Fußball-Restart in Bergamo: Tränen der Trauer und des Zorns
Im einstigen Corona-Hotspot Bergamo wird wieder Fußball gespielt. Einige Atalanta-Fans freuen sich, andere beklagen mangelnden Respekt vor den Toten.
Unter den Ultras von Atalanta Bergamo ist der Unwille teils groß. Einige lehnen die für dieses Wochenende angesetzte Wiederaufnahme des Spielbetriebs der Serie A strikt ab. Banner mit den Aufschriften „Fußball System Schande“, „absurde Entscheidung“ und „Ihr folgt den Millionen und nicht dem Ball“ hatten sie bereits Ende Mai vor dem Stadion angebracht, als sich der Neustart abzeichnete.
Nach dem Pokalfinale am Mittwoch nimmt jetzt die Serie A ihr Restprogramm in Angriff. Zum Auftakt werden vier Partien des 25. Spieltags nachgeholt. Die sollten eigentlich Ende Februar ausgetragen werden. Da wütete aber bereits das Coronavirus, und in Verona, Turin, Bergamo und Mailand blieben die Stadiontore nicht nur für die Fans, sondern auch für Spieler, Schiedsrichter und Trainer geschlossen.
„Ja, es gibt viele, die dagegen sind, die es für mangelnden Respekt vor den Toten halten“, erzählt Sara Mazzoleni. Sie betreibt mit ihrem Bruder Aronne einen Kiosk gleich gegenüber dem Stadion. Hier versammeln sich die Fans. Und die Ultras treffen sich in den Tagen vor dem Spiel, um zu beraten, was sie auf ihre Transparente schreiben sollen. „Im Moment wissen wir noch nicht, was wir tun werden. Fußball ist doch für uns in die zweite Reihe gerückt. Ich selbst hätte mir nicht vorstellen können, dass mir das einmal passiert. Aber es ist so“, sagt Mazzoleni
Fußball ist sogar für die Ultras Nebensache geworden, in Bergamo, einer Stadt, die den Fußball liebt und deren Verein bis zum Lockdown die beste Saison überhaupt spielte. Im Viertelfinale der Champions League steht der Klub schon, in der Meisterschaft wurde der einst große AC Mailand mit 5:0 gedemütigt. „Ich glaube, Covid-19 kam in die Welt, um uns zu stoppen“, macht Saras Bruder Aronne einen düsteren Scherz. Nur mit Galgenhumor kann er Fußball mit der Pandemie verbinden.
Große Verluste in der älteren Generation
Mehr als 13.000 Menschen haben sich allein in der Provinz Bergamo mit dem Virus angesteckt, Tausende sind gestorben. Allein im Monat März wurden 6.022 Tote in Bergamo und Umgebung gezählt. Zeitweise starben mehr als 300 Menschen pro Tag. „Es war schrecklich. Wir waren in unseren Häusern eingesperrt. Die Straßen waren leer. Und das Einzige, was du gehört hast, waren die Sirenen der Krankenwagen“, erinnert sich Sara. Ultras aus ihrer Gruppe waren nicht unter den Toten, erzählt sie. Aber manch einer hat die Eltern oder Großeltern verloren. „Eine ganze Generation ist ausgelöscht, die Alten, unser Gedächtnis“, sagt Bruder Aronne.
Der Schmerz sitzt tief. Wie will man da Fußball spielen? Oder Fußball gucken? Für Alessandro „Lissa“ Pezzotta, genannt Lissa, geht das. Er ist Präsident des Fanklubs „Chei de la Coriera“ – und er hält den Wiederbeginn der Meisterschaft für gut. „Ich denke nicht, dass es Mangel an Respekt ist, mit dem Fußball wieder anzufangen. Fußball ist ein Sport, der aus dem Volk kommt, der Freude bringt und der uns jetzt auch ablenken kann“, sagt der Metallarbeiter, der nach seiner Spätschicht noch schnell auf ein Mitternachtsbier in die Innenstadt von Bergamo gekommen ist.
Am Sonntag beim Spiel gegen Sassuolo Calcio wird er sogar im Stadion sein, als einer von vielleicht 20 Ordnern. Publikum gibt es zwar nicht im Stadion, ein paar Ordner werden dennoch aufgeboten – eine kleine Absurdität im Rahmen des Wiederbeginns der Serie A. „Wir kümmern uns dann eben um die Fotografen und die Journalisten“, erklärt er. Welche Vorsichtsmaßnahmen dabei relevant sind, darauf ist er selbst gespannt. „Ich habe ein Formular ausfüllen müssen, dass ich selbst nicht erkrankt war. Ich werde auf alle Fälle mit meiner Maske kommen. Und dann werden wir sehen, was geschieht“, sagt Pezzotta.
Die Maske ist natürlich in den Farben der Atalanta gehalten. „Wir haben sie selbst gemacht, dann verkauft und das Geld gespendet. 3.000 Euro gingen an einen gemeinnützigen Verein, der Hausbesuche bei kranken Menschen gemacht hat“, erzählt er. Andere Fangruppen haben Ähnliches gemacht. Zahlreiche Fans haben auch beim Aufbau des provisorischen Krankenhauses auf dem Messegelände von Bergamo mitgeholfen. Pezzotta sagt: „Ich hoffe, dass das Krankenhaus bleibt, auch als ein Denkmal für diese Zeit. Väter können dann später mit ihren Kindern dort hingehen und sagen: ‚Ich habe damals daran mitgebaut, in der Zeit der vielen Kranken und Toten.‘ “
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Auch Pezzotta hat Freunde verloren. Zwei Ordner sind an Covid-19 gestorben. „Ich denke, sie werden von oben zuschauen. In meinem Herzen sind sie sowieso“, sagt er.
Der Fußball wird für Tränen sorgen in Bergamo, für Tränen der Trauer um die Verstorbenen, aber auch für Tränen des Zorns über das Fußballgeschäft.
Dessen Manager konnten kurz vor Anpfiff schon einen Sieg einfahren. Die alte Regel, die für den Fall, dass jemand neu positiv getestet würde, 14 Tage Quarantäne für das gesamte Team vorsah, wurde gekippt. Jetzt muss nur der Betroffene in Quarantäne, alle anderen werden getestet und können, sollte keine Infektion vorliegen, weitermachen. Das Beispiel Bundesliga macht Schule, auch im einstigen Corona-Hotspot Bergamo.
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