Fünf Jahre Elbphilharmonie: Zugabe!

Vor fünf Jahren eröffnet: Hamburgs Elbphilharmonie steht nun halb so lang, wie sie uns hat warten lassen. Vier persönliche Erinnerungen:

Passanten sitzen auf einer Kaimauer am Hamburger Fischmarkt. Im Hintergrund ist die Elbphilharmonie zu sehen

Wahrzeichen? Musentempel? Millionengrab? Die Elbphilharmonie in Hamburg Foto: Marcus Brandt/dpa

Eröffnung im Schneegestöber

Kram’ ich in meinen Erinnerungen, seh’ ich sie sofort: die Dunkelheit, das Schneegestöber, die Stöckelschuhe derer, die per S-Bahn angereist waren und nun über drei Brücken zur Elbphilharmonie- Eröffnung stolperten. Sie waren nicht – oder doch? – dieselben, die sich später glamourös im Treppenhaus ablichten ließen. Laut und fröhlich suchten sie die Erinnerung an die Skandale, die zehnjährige Bauzeit, die Verzehnfachung des Preises auf rund 800 Millionen Euro zu übertönen.

Dabei ging es um Wichtigeres: die Einweihung eines Raums, der erst noch beweisen musste, dass er nicht nur architektonisch, sondern auch akustisch funktionierte. Mit Richard Wagners Zitat „Zu Raum wird hier die Zeit“ aus dem „Parsifal“ hatte Thomas Hengelbrock, damals Chefdirigent des NDR-Elbphilharmonieorchesters, das Konzert übertitelt und es ganz wörtlich gemeint. Als endlich alle still waren und auch Kanzlerin Merkel – wegen eines verdächtigen Autos im Parkhaus verspätet angereist – saß, ließ er den Abend mit einem aus der Höhe erklingenden Oboensolo aus Benjamin Brittens „Pan“ über den alten griechischen Hirtengott beginnen.

Wer wollte, konnte das als Ritual verstehen: als Beginn einer Symbiose von Musik und Raum, von Mythologie und Realität, Alter und Neuer Musik. Auch verschwamm der Unterschied zwischen Instrument und Stimme: Kaum merklich löste Countertenor Philippe Jaroussky die Oboe ab, der Mensch verschaffte sich Raum, die Musik wurde mit jedem Stück lauter, endete mit Beethovens „Ode an die Freude“, die Initiation des Raums schien vollbracht.

Nicht ganz so freudig geriet der Abend für jene, die hinter den Blechbläsern saßen und vor allem sie hörten. Dass auf diesen undankbaren Plätzen auch die ErfinderInnen der Elbphilharmonie, das Architektenpaar Alexander Gérard und Jana Marko, saßen und dass sie in keiner der Festreden vorkamen – ein Fauxpas, den sie mit Fassung trugen. Schließlich war ihre Vision real geworden – egal, unter wessen Namen. Petra Schellen

Das nächste Mal wird gehustet

Einmal in die Elbphilharmonie. Einmal sehen, wofür Hamburg so viele Millionen verbrannt hat. Einmal inmitten dieser wabenartigen Architektur Platz nehmen und dabei einer möglichst erträglichen Musik lauschen. So lautete der Plan.

Davon abgesehen, dass in den ersten Monaten ohnehin alle Konzerte blitzschnell ausverkauft waren, weil nicht nur ganz Norddeutschland einen Blick in den großen Saal werfen wollte, ist insbesondere das mit der erträglichen Musik für jemanden, die sich sonst nicht um Konzertkarten für die Neuinterpretation klassischer Komponisten reißt, gar nicht so einfach.

Zum Glück gibt es das Elbjazz-Festival. Unter all den Tickets ist auch ein Konzert in der Elbphilharmonie enthalten. Es ist gerade einmal drei Jahre her, aber ich kann mich beim besten Willen nicht mehr an den Namen der belgischen Künstlerin erinnern, die dort auf der Bühne fast flüsternd, aber unwahrscheinlich ausdauernd gesungen hat. Ich glaube, es waren auch Flöten involviert.

In jedem Fall ging ein Lied ins nächste über und in meinem Hals begann es bedrohlich zu kratzen. Ich schluckte. Es kratzte. Gleich würde ich sehr laut husten müssen. Die Sängerin hauchte nun nur noch. Was für eine Akustik!

Ich huschte leise aus dem Saal. Auf keinen Fall wollte ich die Musik übertönen. Also schnell raus ins Foyer, husten. Dann zurück. Aber falsch gedacht, denn eine freundliche, aber bestimmte Mitarbeiterin stellte sich mir in den Weg. Mit der Künstlerin sei abgesprochen, dass Zu­schaue­r*in­nen nur in den Applauspausen zwischen den Liedern wieder hineindürfen. Das Problem: Die Gute spielte ohne Unterlass durch.

Zwanzig Minuten stand ich dort, plauderte und bekam einen Hustenbonbon. Aber den restlichen Teil des Konzertes verpasste ich. Was ich daraus gelernt habe? Höflichkeit zahlt sich nicht aus. Das nächste Mal wird gehustet, bis die Waben vibrieren. Andrea Maestro

Die ganz, ganz volle Bühne

Ob sie nun ein Haus für alle werden würde, wie es der damalige Bürgermeister Olaf Scholz vor Eröffnung forderte – respektive, später, ob sie das denn nun geworden sei: Darüber gingen die Einschätzungen ja immer ziemlich auseinander. Und noch etwas mehr vielleicht in der Frage: Ist so ein, nun ja, demokratisches Konzerthaus eigentlich wünschenswert?

Dem einen war das dann in der Elphi Gebotene immer noch zu elitär, und diese Eintrittspreise! Der andere fand das Programm allzu vielstimmig, und dann dieses Publikum, alle Gepflogenheiten missachtend, die sich das museninteressierte Bürgertum zur Selbstvergewisserung zugelegt und stetig verfeinert hatte – klatschte der busladungsweise herangekarrte Pöbel doch tatsächlich zwischen den Sätzen!

Schon im ersten Jahr Konzerthausbetrieb, im Mai 2017, trug sich im Großen Saal der Elbphilharmonie dann ein Konzert zu, das dem immer wieder wiedergekäuten Anspruch auf Niedrigschwelligkeit Leben einzuhauchen suchte: Für eine Aufführung von Terry Rileys „In C“ brachte man mehr als 400 Beteiligte zusammen – vom Akkordeon-Ensemble der Staatlichen Jugendmusikschule Hamburg über das Kammerorchester Eimsbüttel und die Wandsbeker Cellisten bis hin zum – um Bläser und Streicher erweiterten – Ensemble „Sticks ’n’ Drums“ der Eichenschule im niedersächsischen Scheeßel, dazu etliche weitere Laiinnen und Laien aus der Stadt und dem Umland.

Was zur Folge hatte, dass man sich plötzlich neben der Tante eines Mitwirkenden sitzend wiederfand. Oder gleich neben einem Instrumentalist:innengrüppchen: Auf die Bühne passten ja nicht alle.

Eine rekordverdächtige Inszenierung dieses ganz frühen Schlüsselwerks der US-amerikanischen Minimal Music kam da zustande – aber ob diese überhaupt ernstzunehmende „Ernste“ Musik ist oder nicht selbst nur eine Art Gimmick, Effekthascherei: Auch darüber gehen die Ansichten weit auseinander. Immerhin: Buhrufe, wie sie ein verwandtes Stück nicht lange zuvor dem Kölner Publikum entlockt hatte, gab es nicht. Diese Demokratie ist halt manchmal schrecklich anstrengend. Alexander Diehl

Putin auf der Lümmelbank

Mein „erstes Mal“ war eines jener „Hamburg Concerts“ ganz am Anfang, im Januar 2017, eigens programmiert, um Akzeptanz für das Beinahe-Milliarden-Projekt zu schaffen. Ham­bur­ge­r:innen konnten bis zu sechs Tickets à sechs Euro erwerben – theoretisch, wenn nach der hunderte Meter langen Schlange noch was übrig war. Ist sie also nun ein Haus für alle? Oder doch eher was für die oberen Zehntausend? In meiner persönlichen Mikroempirie lassen sich für beides Belege finden.

Wir hatten nämlich Glück und gingen mit Uroma, Oma, Mutter, Tochter und Schwester – für zusammen 36 Euro. Und jede hatte daran ihr eigenes Vergnügen. Das Gefühl, zu den Glücklichen zu gehören, das Raumerlebnis, den Kunstgenuss oder einfach mal wieder alle beisammen zu sehen. Wer würde da noch an den Baukosten rumnörgeln, die ja doch ziemlich abstrakt blieben gegenüber dem erfreulich konkreten Eintrittspreis? Ein rundum gelungener PR-Coup.

Selbst das Gefühl, abgefertigt zu werden mit einem knapp einstündigen Vorabendprogramm, damit am selben Tag eine weitere Schicht durchgeschleust werden konnte, stellte sich nicht ein. Daran hatte allerdings auch die furiose Geigerin Patricia Kopatchinskaja gehörigen Anteil, die gar nicht aufhören mochte, mit ihren bloßen Füßen über das frisch geölte Parkett zu tanzen und mit Zugaben doch noch fast auf eine volle Konzertlänge kam.

Ein halbes Jahr später dann das Gegenteil, beim G20-Gipfel: Anreise nur per Schiff möglich, stundenlanger Sicherheitscheck – und dann Warten auf die Mächtigen der Welt, die unten in winzig klein scheinenden schwarzen Limousinen vorfahren. Der Austritt auf die Plaza ist verboten, aber auch durch die Glasfassade sind Rauchwolken über dem Schanzenviertel zu sehen, die von der beginnenden Krawallnacht künden.

Die Elbphilharmonie scheint zu ihrer Bestimmung zu finden, als Botschafterin der Stadt, die andere, bessere Bilder in die Welt schickt als die vom Straßenkampf. Zum Beispiel das, wie Angela Merkel den Saal betritt und das Publikum ihr stehend applaudiert, ein Vorgriff auf die spätere Merkel-Nostalgie. Wie die Sitznachbarn Donald Trump und Emanuel Macron miteinander tuscheln, als die Philharmoniker das Thema von „alle Menschen werden Brüder“ in Beethovens Neunter andeuten. Oder wie Waldimir Putin sich viel zu spät auf die Lümmelbank fläzt. Und mittendrin ein gewisser Olaf Scholz, der nervös die Nachrichten von draußen checkt, an diesem Abend aber auch seiner Bestimmung näher ist denn je. Jan Kahlcke

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