Elbphilharmonie-Eloge wider Willen: Betörend schön

Auch wenn man weiß, wie langwierig und teuer das alles war: Der Ästhetik des edlen Elbphilharmonie-Saals kann sich auch der Nörgel-Journalist nicht entziehen.

Organisches Gebilde, der griechischen Antike nachempfunden: großer Elbphilharmonie-Saal Foto: Axel Heimken/dpa

HAMBURG taz | Ja, kann man denn so um­kip­pen? Da nör­gelt man jah­re­lang an der Elb­phil­har­mo­nie herum, re­cher­chiert und schreibt über die fast 800 Mil­lio­nen Euro, die zehn­jäh­ri­ge Bau­zeit, die allseits chao­ti­sche Pla­nung. Oft hat man sich ge­wünscht, dass das Ding bei Nacht und Nebel ein­stür­zen möge. Oder Sub­kul­tur-Bra­che oder ein Park­haus wird.

Und dann be­tritt man den Bau kurz vor Fer­tig­stel­lung des Gro­ßen Kon­zert­saals, stapft durch Matsch, Staub, Ka­bel­sa­lat – und ist so be­geis­tert, dass es schon peinlich ist. Ist fas­zi­niert von den edlen Ma­te­ria­li­en, von den or­ga­nisch ge­wun­de­nen Trep­pen, den lich­ten Aus- und Durchbli­cken. Und das ein­zi­ge lahme Ge­nör­gel, das einem ein­fällt, lau­tet: Na, wenn es schon so teuer war, soll es auch hoch­ka­rä­tig wer­den.

Stimmt, und auch ohne die Elb­phil­har­mo­nie hätte der Normalhamburger die 800 Mil­lio­nen nicht be­kom­men. Jetzt kann er we­nigs­tens für acht Euro ins Kon­zert und stolz darauf sein, dass er das hier mit­fi­nan­ziert hat: die­ses schöns­te Kul­tur­ge­schenk, das sich eine Stadt ma­chen kann – auch wenn Ham­burgs Senat es weniger aus Kul­tur-En­thu­si­as­mus tat denn aus Mar­ke­ting-Kal­kül und Ei­tel­keit

Aber wie auch immer: Her­aus­ge­kom­men ist ein Kul­tur­tem­pel, wie er fei­ner kaum denk­bar wäre; etwas Äs­the­ti­sche­res, im guten Sinne Zweck­freie­res hätte man mit die­sem Geld nicht an­fan­gen kön­nen; sogar der eins­ti­ge Nör­gel-Jour­na­list beginnt mit dem guten alten Schiller zu glauben, dass Äs­the­tik fein­sin­nig macht und den Cha­rak­ter bes­sert.

Oktober 2001: Privatinvestor Alexander Gérard lanciert Elbphilharmonie-Idee für 77 Millionen Euro der öffentlichen Hand.

Juni 2003: Architekten Herzog & de Meuron präsentieren Elbphilharmonie-Entwurf.

November 2004: Investor steigt aus. Städtische Realisierungsgesellschaft übernimmt.

November 2006: Kosten der öffentlichen Hand steigen auf 114,3 Mio. Euro.

Februar 2007: Hamburgs Bürgerschaft beschließt einstimmig Bau der Elbphilharmonie.

April 2007: Grundsteinlegung. Geplante Eröffnung: 2010.

November 2008: Kosten der öffentlichen Hand steigen auf 323 Mio. Euro. Eröffnungstermin: 2012.

Mai 2010: Richtfest.

November 2011: Baustopp durch Baufirma Hochtief.

Juli 2012: Weiterbau nach zwei städtischen Ultimaten.

März 2013: Hochtief garantiert für weitere 195 Mio. Euro Fertigstellung bis 30. 6. 2016. Gesamtkosten der öffentlichen Hand: 789 Millionen Euro.

Januar 2016: Fertigstellung der „Weißen Haut“ des großen Saals.

30. Juni 2016: Fertigstellung des großen Saals.

11. Januar 2017: Eröffnung.

Oder zu­min­dest den Wohl­fühl-Fak­tor er­höht, denn das Ganze ist nicht nur schön an­zu­schau­en, son­dern auch an­ge­nehm tak­til: Die Wände des Ver­wal­tungstraktes sind aus Beton – aber nicht zu hart. An­de­re aus Gips, aber nicht zu weich. Son­dern immer im an­ge­nehm an­fass­ba­ren Mit­tel­maß. Eben kultiviert.

Die­ser Kom­pro­miss zwi­schen rauer Ur­sprüng­lich­keit und künst­le­ri­scher Ver­frem­dung gelingt im kleinen Kon­zert­saal be­son­ders gut. Des­sen (warum auch immer: französische) Ei­chen­holz-Wän­de bil­den eine ge­wellte Ver­scha­lung wie einst die Ei­er­kar­tons un­se­rer Ga­ra­gen­bands.

Feiner Holzvorhang wie im „Freischütz“

Aber um wie viel edler: Die konsequent vertikale Holz­ma­se­rung suggeriert, die Bäume stünden noch. Und ob man will oder nicht: Man muss sie sofort anfassen, um sicher zu gehen, dass man sich nicht täuscht. Denn von wei­tem sieht das Ganze wie ein lo­cker fal­len­der Vor­hang aus, ein Büh­nen­bild für die Wald­sze­nen des „Frei­schütz“ viel­leicht.

Im großen Saal nennt sich dieser Schallschutz „Weiße Haut“, besteht aus eingekerbtem Gips, gemustert wie Blattadern unterm Mikroskop. Al­ler­dings, die Weiße Haut ist kalt wie nas­ser Sand, An­fas­sen macht we­ni­ger Spaß als eben noch beim Holz. Aber der große Saal fasst ja auch 2.100 Men­schen, da geht die In­ti­mi­tät oh­ne­hin leicht ver­lo­ren.

Hoch und schmal ist dieser ans an­ti­ke Thea­ter von Del­phi an­ge­lehn­te Raum, seine Sitze sind mit­tel­weich, die Rückenleh­nen han­sea­tisch steil – aber man sitzt ja auch nicht im Wohn­zim­mer, son­dern in einer Art Ka­the­dra­le.

Saaldecke fast wie im gotischen Dom

Spitz wie ein go­ti­scher Dom soll­te ur­sprüng­lich auch die Saal­de­cke zu­lau­fen. Bis auffiel, dass der Saal dann auch die Nach­hall­zeit einer Ka­the­dra­le hätte. Also häng­te man einen Schall­schluck-Re­flek­tor hinein. Es gelang: Perfekt fügt sich der rie­si­ge Kopf­über-Pilz wie ein lebenswichtiges Organ in den birnenförmigen Saal.

Diese Form hängt mit dem Grund­riss des Elb­phil­har­mo­nie-So­ckels zu­sam­men: Der eins­ti­ge Ka­kao­s­pei­cher bildet ein Tra­pez, an des­sen schmals­ter Stel­le der Kon­zert­saal steht. Des­we­gen ist er ei­ner­seits steil, damit er trotz­dem genug Leute fasst. An­de­rer­seits so ver­schach­telt, dass die Sitzreihen wie minimalistisch schlichte Linien wir­ken. Viel­leicht auch wie Klang­wel­len, die sanft in­ein­an­der über­ge­hen.

Wel­len sind üb­ri­gens kein Zu­fall an die­sem Ort, denn auch die Elbphilharmonie-Archi­tek­ten erlagen der Ver­su­chung, Ma­ri­ti­mes zu in­sze­nie­ren: nicht nur, dass die Phil­har­mo­nie äu­ßer­lich an ein Schiff er­in­nert und das ge­schwun­ge­ne Dach an die Wogen der Elbe. Auch die Glas­tü­ren auf der Plaza – dem Fla­nier­be­reich zwi­schen Kai­spei­cher und Elb­phil­har­mo­nie – sind windschnittig gewellt. Und natürlich sieht von fast jedem Punkt aus die Stadt und den Hafen, schließ­lich soll man nicht vergessen, wo man sich befindet, und etwa denken, man sei in Sydney oder so.

Federpakete gegen Schiffshupen und -schrauben

Der Akus­ti­ker hat den Hafen nicht ganz so lieb: Mäch­ti­ge stäh­ler­ne „Fe­der­pa­ke­te“, unauffällig im Treppenhaus montiert, tren­nen Au­ßen- und In­nen­wand des Saals, damit weder das Tuten der „Queen Mary“ noch deren Schiffs­schrau­ben-Vibration das Kon­zert stö­ren.

In den nicht so stark iso­lier­ten Räu­men im Kai­spei­cher-Unterbau ist es allerdings egal: In deren „Kai­stu­di­os“ sol­len oh­ne­hin eher Proben und Club­kon­zer­te statt­fin­den. Ganz ne­ben­bei ist die Sub­kul­tur also wie­der in den Un­ter­grund ge­si­ckert, genau wie die Mu­sik­päd­ago­gik des „Klin­gen­den Mu­se­ums“, das vom Sou­ter­rain der La­eisz­hal­le ins Sou­ter­rain der Elb­phil­har­mo­nie zieht. Aber auch wer­den­de Abon­nen­ten sind ja so etwas wie Sub­kul­tur, solange sie nicht zahlen.

So. Und bevor wir jetzt wieder das Nörgeln anfangen, gehen wir mal ganz schnell nach Hause.

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