Frühlingsidylle im Alten Land: Die Nerven liegen blank
Führt Global Warming zu einer erhöheten Aggression? Beobachtungen vom Ufer der Lühe an einem herrlichen Sonntagnachmittag.
W as für eine Idylle! Die Sonne scheint, im Alten Land blühen die Obstbäume, Motorräder knattern die Straße entlang, die sich zwischen Mittelnkirchen und Steinkirchen windet, neben einem Flüsschen namens Lühe. Dessen Wasser strudelt leise und steht recht hoch, sodass es schon fast die Bootsstege erreicht und auf die Wiesen schwappt, die von den hübschen kleinen Häusern hinunter zum Fluss reichen, Wiesen mit Schaukeln, auf denen Kinder spielen. Es sieht so unwirklich aus wie in einer Astrid-Lindgren-Verfilmung.
Doch wo Idylle ist, ist der Schrecken nicht weit. Der Fußweg führt über den Deich, vorbei an einer penibel restaurierten Sparkasse von 1937, die für den „Reichspfennig“ wirbt, und es ist warm, sehr warm, vielleicht zu warm für die Jahreszeit. Die Luft fühlt sich an wie ein Kissen und wird jetzt von einem wütenden Hupen durchschnitten, das zu einem Hupkonzert anschwillt. Es kommt von mehreren Autos, die vor einer Brücke stehen, die bei Steinkirchen über den Fluss führt.
In der einen Fahrtrichtung hat sich ein Stau gebildet. Ausflügler, Autos mit Bootsanhängern, Einheimische kommen nicht mehr weiter, denn vorne, auf der Brücke, steht ein Touristenauto zu sehr in der Mitte der Straße, so dass das kleine rote Auto auf der anderen Fahrbahnseite nicht mehr vorbeikommt, das aber Vorfahrt hätte.
Die Situation ist hoffnungslos, keiner kommt weiter. In dem kleinen roten Auto sitzt eine ältere Frau, der Fahrer des Touristenautos ist ausgestiegen und schreit (ist das Thüringisch? vielleicht) „Ja, gut, ich habe einen Fehler gemacht, aber jetzt fahren Sie doch bitte einen Meter zurück!“
Falscher Eingang
Die ältere Frau schüttelt den Kopf. Das Hupen wird lauter, jetzt wird gebrüllt, irgendwann hört man auch ihre hohe Stimme, Beleidigungen zischen durch die laue Luft, werden sie sich prügeln?
Es ist ein herrlicher Sonntagnachmittag. Im Hofcafé ein paar hundert Meter weiter ist es schattig und ruhig, Tische stehen auf der Wiese. Doch die Frau, die in der Küche steht, in die alle Touristen nacheinander hineinstolpern, weil sie die Küchentür fälschlicherweise für den Eingang halten, zuckt beim Eintritt zusammen.
Sie seien nur zu zweit, sagt sie. Ihr selbst gebackener Kuchen schmeckt wunderbar. Doch später sind Gäste, die schon bestellt hatten, bereits gegangen, als das Tablett mit den Kaffeetassen kommt. Und man merkt, dass ihr das nahe geht, aufgelöst verschwindet sie in der Küche. Es ist vielleicht doch alles zu viel heute.
Gemäß der „Heat Hypothesis“ gibt es einen Zusammenhang zwischen Hitze und Aggression. Angesichts der Klimaerwärmung sind das keine guten Aussichten. Auf dem Rückweg, schon wieder in Mittelnkirchen, führt eine weitere Brücke über den Fluss. Ein Audi kommt um die Kurve geschossen, der Fahrer hupt alle Fußgänger an, die gerade die Straße überqueren wollen. Mit quietschenden Reifen verschwindet er um die Ecke. Die Obstbäume blühen, die Luft ist lau. Schön hier im Alten Land!
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