Friesoythe bekämpft Friedensaktivisten: Keine Erstattung dem Prozesssieger

Die Stadt Friesoythe verbot Hermann Theisen rechtswidrig, Flugblätter gegen Gift-Export zu verteilen. Sie versteht nicht, warum sie jetzt verklagt wurde.

Ein eingeschossiger Flachbau der Firma VET Pharma Friesoythe.

Brachte Friesoythe 2018 unerfreuliches Medieninteresse ein: die Firma VET Pharma Friesoythe Foto: dpa | Mohssen Assanimoghaddam

BREMEN taz | Nur weil man Kläger ist, heißt das ja noch lange nicht, dass man auch zum eigenen Gerichtsverfahren kommen muss. Findet jedenfalls die Stadt Friesoythe. Deren Bürgermeister Sven Stratmann (SPD) war ja schließlich auch nicht zu dem Prozess am Oldenburger Verwaltungsgericht gefahren, nur weil er der Beklagte war. Mehr als 30 Kilometer wären das gewesen.

Friedensaktivist Hermann Theisen – der Kläger – aber kam, sogar aus Hirschberg an der Bergstraße, das liegt etwas nördlich von Heidelberg, über 500 Kilometer entfernt. Und er ist als klarer Sieger aus dem Verfahren hervorgegangen, bei dem es um die Frage ging, ob die Stadt Friesoythe ihm 2018 verbieten durfte, ein Flugblatt zu verteilen. Durfte sie nicht, entschied das Verwaltungsgericht. Also müsste die Stadt jetzt – als Prozessverliererin – Herrn Theisen 308,10 Euro erstatten, nämlich seine Fahrt- und Übernachtungskosten. Das will sie nicht, und dafür lieber noch mal das Verwaltungsgericht bemühen.

Es könnte eine Anekdote sein, eine Art „Faschingswitz“, wie Theisen sagt. Es reiht sich aber ein in eine jahrelange Auseinandersetzung mit ihm, bei der Friesoythe sich lieber auf die Seite einer ortsansässigen Firma stellt, der VET Pharma Friesoythe GmbH. Die hat illegal einen tödlichen Giftstoff unter anderem in die USA exportiert. Das zum US-Konzern Merck Sharp & Dohme (MSD) gehörende Unternehmen ist mit 170 Mitar­bei­te­r:in­nen schon einer der größeren Arbeitgeber der Region. Es produziert jährlich rund 500.000 Liter sterile Tierarzneimittel.

Gift zur Vollstreckung der Todesstrafe

Dazu gehört Beuthanasia-D, ein Medikament, das dazu dient, Hunde einzuschläfern. Der Hauptwirkstoff Pentobarbital wird in den USA eingesetzt, um Menschen hinzurichten. Das Präparat wirkt wie ein starkes Betäubungsmittel, legt Herz und Atmung lahm; irgendwann tritt der Hirntod ein. Wenn es Hinweise darauf gibt, dass das Gift zur Vollstreckung der Todesstrafe verwendet werden könnte, verstößt sein Export gegen das Außenwirtschaftsgesetz und die Anti-Folterverordnung der EU. 2018 gab es laut Amnesty International faktisch keine großen Pharmakonzerne mehr, die den USA noch Pentobarbital lieferten.

Also hat man in Friesoythe ausgeholfen. Recherchen von NDR und Süddeutscher Zeitung hatten ergeben, dass mehrere Tonnen der Injektionslösung Beuthanasia-D illegal exportiert wurden, zu einer US-amerikanischen Schwesterfirma. Es ist jedoch nicht erwiesen, dass die Lieferung aus Friesoythe am Ende tatsächlich für Hinrichtungen verwandt wurde.

Die Staatsanwaltschaft ermittelte in insgesamt fünf Fällen aus den Jahren 2017 und 2018, bei denen Pentobarbital in die USA, aber auch nach Asien geliefert wurde. 2021 verurteilte das Landgericht Oldenburg den Geschäftsführer und eine weitere Mitarbeiterin von VET Pharma Friesoythe wegen der Exporte zu einer Geldbuße von 10.000 Euro und zog das damit verdiente Geld „in Höhe von 777.638,71 Euro“ ein.

Als Herr Theisen 2018 aus den Medien von der Sache erfuhr, wollte er die Pharmafirma anprangern. Und deswegen in Friesoythe ein Flugblatt verteilen, das die Mit­ar­bei­te­r:in­nen zum Whistleblowing aufrief. Sie sollten die Öffentlichkeit „umfassend und rückhaltlos“ über mögliche illegale Exporte informieren, hieß es da.

Es war „eine Provokation“, sagte sein Anwalt, er rechnete nicht damit, dass wirklich Interna ausgeplaudert würden. Gleichwohl enthielt sein Flugblatt einen Hinweis, wonach Whistleb­lo­wer:in­nen arbeitsrechtliche Konsequenzen und ein Strafverfahren drohen könnten.

Die Stadt Friesoythe verbot Theisen, die Flugblätter zu verteilen, zehn Exemplare landeten später dennoch unter den Scheibenwischern von Autos der Mitarbeiter:innen. Aus Sicht der Stadt war Theisen sogar „eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit“ – und sein Flugblatt eine Straftat.

Theisens Interesse, mit dem Flugblatt „seine politische oder moralisch-ethische Überzeugung kundzutun“ stehe „außerhalb der Schranken der Grundrechte“, fand man in Friesoythe. Und berief sich darauf, dass laut dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) der Aufruf zum Whistleblowing ein Aufruf zu einer Straftat sei – und damit also auch strafbar.

Diese Rechtsauffassung war schon 2018 fragwürdig, rügt das Verwaltungsgericht Oldenburg in seinem Urteil, denn eine in Deutschland noch nicht umgesetzte, aber schon gültige EU-Richtlinie von 2016 schützt Whist­leb­lo­wer:­in­nen. Den Paragrafen aus dem UWG gibt es heute nicht mehr. Es war also für Friesoythe zumindest „deutlich absehbar“, dass Theisens Flugblatt schon bald nicht mehr strafbar sein würde.

Trotzdem beharrte die Stadt auf ihrem Verbot. Dafür hätte sie eine umfassende „Gefahrenprognose“ anstellen und Theisen Grundrechte auf Demonstrations- und Meinungsfreiheit würdigen müssen, so das Gericht. Friesoythes Verbotsbescheid lässt eine solche inhaltliche Auseinandersetzung „indes nicht in ausreichender Weise erkennen“. Er war also rechtswidrig.

Klein beigeben will man in Friesoythe nicht: Das Gericht wird nun „um Mitteilung gebeten“, ob das persönliche Erscheinen Theisens „zur Rechtsverfolgung erforderlich“ war. Ja, sagt der Kläger, es gab ja Fragen des Richters, die nur er hatte beantworten können. „Hätte Friesoythe bei der Verhandlung nicht mit Abwesenheit geglänzt, so wäre ihre mehr als peinliche Anfrage überflüssig gewesen“, so Theisen. „Jetzt nachzutreten bedarf doch eines gehörigen Maßes an Chuzpe.“

Die Stadt kam nicht zur mündlichen Verhandlung

Die Stadt Friesoythe sagt demgegenüber, dass sie „selbstverständlich alle Kosten übernehmen wird“, aber das Gericht um Festsetzung des konkreten Betrages gebeten habe. Man werde „die angemessenen Kosten des Klägers übernehmen“, sagt die Erste Stadträtin Heidrun Hamjediers der taz. Friesoythe lege Wert auf die Feststellung, „dass die ursprüngliche mit Auflagen versehene Genehmigung der Whistleblower-Aktion rechtlich nicht haltbar“ war und deshalb schon 2019 revidiert worden sei. Damit sei der in dem aktuellen Verfahren angegriffene Bescheid bereits „gegenstandslos geworden“.

Deshalb kam die Stadt auch nicht zu der mündlichen Verhandlung nach Oldenburg: Das Verfahren habe nach Einschätzung Friesoythes „keinen weiteren Erkenntnisgewinn“ mit sich gebracht: „Es war nicht erkennbar, was die Stadt viereinhalb Jahre nach dem Ereignis noch erhellendes zum Vorgang hätte beitragen können.“ Und schließlich sei man ja auch nicht vor-, sondern nur eingeladen gewesen, so Hamjediers. Und so eine Einladung beinhalte immer auch das Recht, sie nicht anzunehmen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.