Illegale Exporte in die USA: Ist ein Flugblatt eine Straftat?

Das Verwaltungsgericht Oldenburg verhandelt gegen Friesoythe: Die Stadt verbot, Flugblätter zu verteilen, die zum Whistleblowing aufriefen.

Blick in eine Zelle in einem US-Gefängnis, in der Menschen mit Giftspritze exekutiert werden

Was Hunde einschläfert, hilft auch, Menschen so einem US-Knast zu töten Foto: Paul Buck/dpa

BREMEN taz | In der Stadt Friesoythe sieht man es nicht so gern, wenn gegen eine ortsansässige Firma demonstriert wird. Auch dann nicht, wenn die – zu Recht – im Verdacht steht, illegal Gift in die USA exportiert zu haben, das dort genutzt wird, um zum Tode Verurteilte zu exekutieren. Also hat die Stadt dem Friedensaktivisten Hermann Theisen 2018 untersagt, in Friesoythe ein Flugblatt zu verteilen, das die Mit­ar­bei­te­r:in­nen der VET Pharma Friesoythe GmbH zum Whistleblowing aufruft. Doch durfte sie das überhaupt?

Darüber verhandelte am Dienstag das Verwaltungsgericht Oldenburg – in Abwesenheit der Stadt Friesoythe, die durch ihren Bürgermeister vertreten sein sollte, wie es im Gerichtsaushang hieß. Der SPD-Mann kam aber nicht.

Aus der Weltsicht der Stadt war Theisen eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, sein Flugblatt eine Straftat. Genauer gesagt, der strafbare öffentliche Aufruf zu einer Straftat: Laut dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) konnte man damals für den Verrat von Geschäftsgeheimnissen fünf Jahre in den Knast wandern.

Theisen wollte die „illegalen Exporte“ der Friesoyther Pharmafirma anprangern. Recherchen des NDR und der Süddeutschen Zeitung hatten zuvor ergeben, dass sie wohl mehrere Tonnen des Tierarzneimittels „Beuthanasia-D“ in die USA verschifft hatte – das Medikament wird üblicherweise dazu verwendet, Hunde einzuschläfern. Der Hauptwirkstoff, Pentobarbital, wird in den USA aber auch eingesetzt, um Menschen hinzurichten. Der Export dieses Mittels verstößt deshalb nicht nur gegen das Außenwirtschaftsgesetz, sondern auch gegen die Anti-Folterverordnung der EU.

Heute ist der Aufruf straffrei

Also rief Theisen die Mit­ar­bei­te­r:in­nen der Firma per Flugblatt auf, die Öffentlichkeit „umfassend und rückhaltlos“ über mögliche illegale Exporte zu informieren. Und zwar nicht ohne eine „Rechtsbehelfsbelehrung“, die darauf hinwies, dass arbeitsrechtliche Konsequenzen und ein Strafverfahren drohen können.

Heute ist ein Aufruf wie dieser straffrei, denn eine Richtlinie der EU schützt seit 2018 Whist­leb­lo­wer:­in­nen – den Paragrafen aus dem UWG gibt es nicht mehr, dafür ein Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen. Folgerichtig sprach das Oberlandesgericht Oldenburg Herrn Theisen 2019 frei, nachdem das Amtsgericht in Cloppenburg ihn 2018 zu einer Geldstrafe von 750 Euro verurteilt und 47 sichergestellte Flugblätter eingezogen hatte.

Theisen „verfolgte das Ziel, eine Diskussion anzustoßen“, attestierte ihm das Oberlandesgericht damals: „Der behauptete Export von Giftstoffen stellt ein ethisch zu missbilligendes Verhalten dar.“

2021 verurteilte das Landgericht Oldenburg den Geschäftsführer und eine weitere Mitarbeiterin von VET Pharma Friesoythe wegen der Exporte zu einer Geldbuße von 10.000 Euro und zog das damit verdiente Geld „in Höhe von 777.638,71 Euro“ ein.

Theisens Flugblatt war „eine Provokation“, sagte am Dienstag sein Anwalt Martin Heiming, und dass er nicht ernsthaft damit rechnen durfte, dass Mit­ar­bei­te­r:in­nen wirklich Interna über den Giftdeal mit den USA ausplaudern. Haben sie auch nicht – bei ihm gemeldet habe sich keiner, sagte Theisen im Gericht.

Dass diese Provokation damals strafbar war, glaubt Heiming nicht, der die Stadt Friesoythe „versammlungsfeindlich“ nennt. Denn das UWG, mit dem Friesoythe argumentierte, sei hier „kein passendes Gesetz“. Es ziele auf Wettbewerbsverzerrung ab, und auf Menschen, die daraus Profit ziehen. Auch der Verwaltungsrichter erklärte, dass die Rechtsauffassung der Kommune in der Rechtsprechung „ziemlich umstritten“ und „eher wackelig“ sei.

Ein Urteil steht zwar noch aus, doch der Richter ließ durchblicken, dass die Stadt zumindest viel gründlicher hätte prüfen und besser argumentieren müssen, eh sie das Flugblatt verbot – zumal damals bereits rechtlich klar war, dass Whistleblower sehr bald viel besser geschützt sein würden.

Auch die Hamburger Zollfahndung war damals schon weiter: Sie bat Theisen um die Namen der Whist­leb­lo­wer:­in­nen – „eine Schizophrenie des Rechtsstaates“, wie der Richter sagte. Schließlich war es dieselbe Staatsanwaltschaft, die Thei­sen, aber auch die Firma bestraft sehen wollte.

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