Friedensnobelpreis bekanntgegeben: Krieg bringt Hunger bringt Krieg
Der Friedensnobelpreis 2020 geht an das Welternährungsprogramm, die größte humanitäre Organisation der Welt.
Dabei gehörte die 1961 gegründete und inzwischen größte humanitäre Organisation der Welt bereits im letzten Jahr beim Auswahlverfahren durch das Nobelpreiskomittee in Oslo zur Schlussrunde der letzten 3 von über 1.000 vorgeschlagenen Kandidat*innen. Und wenn man sich anschaut, welche Organisationen und Personen aus dem UNO-System seit 1945 bereits den Friedensnobelpreis erhalten haben, dann war die Auszeichnung für das WFP schon lange überfällig.
„Das WFP erhält den Friedensnobelpreis 2020 für seine Bemühungen im Kampf gegen den Hunger sowie für seinen Beitrag zur Verbesserung der Friedensbedingungen in Konfliktgebieten“, erklärte die Vorsitzende des Komitees, Berit Reiss-Andersen bei der Preis-Bekanntgabe. Zudem sei das WFP „eine treibende Kraft, um zu verhindern, dass Hunger als Waffe in Kriegen und Konflikten eingesetzt wird“.
Im Jahr 2019 leistete das WFP humanitäre Hilfe für fast 100 Millionen Opfer von Hunger und Nahrungsmittelunsicherheit in 88 Ländern. Die vollständige Überwindung des Hungers in der Welt ist eines der 17 „nachhaltigen Entwicklungsziele (Sustainable Development Goals, SDGs), die 2015 von den 194 Mitgliedstaaten der UNO-Generalversammlung beschlossen wurden und bis 2030 umgesetzt werden sollen. Das WFP sei „das wichtigste Instrument der UNO, um dieses Ziel zu erreichen“, heißt es in der Preisbegründung.
Null Hunger geht nur ohne Krieg
Schon die im Jahr 2000 von der UNO verabschiedeten „Millenniumsziele zur Halbierung der weltweiten Armut“ bis zum Jahr 2015 sahen eine deutliche Senkung der Zahl der weltweit Hungernden vor. Doch das gelang nur unzureichend und im Wesentlichen nur aufgrund von Fortschritten in China, dem bevölkerungsreichsten Land der Erde. In den Staaten des afrikanischen Kontinents, wo über 80 Prozent aller hungernden und mangelernährten Menschen dieser Welt leben, blieb deren Zahl fast unverändert oder stieg sogar an.
Inzwischen steigen die Zahlen auch weltweit wieder auf rund 825 Millionen Menschen, darunter „2019 rund 135 Millionen Menschen, die unter akutem Hunger litten, die höchste Zahl seit vielen Jahren – ein Anstieg,der hauptsächlich durch Kriege und bewaffnete Konflikte verursacht wurde“, erklärte das Nobelpreiskomitee.
„Die Verknüpfung zwischen Hunger und bewaffneten Konflikten“ sei „ein Teufelskreis. Kriege und Konflikte können zu Hunger und Nahrungsmittelunsicherheit führen, ebenso wie Hunger und Ernährungsunsicherheit zur Eskalation latenter Konflikte führen und den Einsatz von Gewalt auslösen können.“ Daher sei das in den nachhaltigen Entwicklungszielen proklamierte Ziel „Null Hunger auf der Welt“ nicht zu erreichen ohne die Beendigung von Kriegen und Gewaltkonflikten“.
„Die Coronavirus-Pandemie hat ebenfalls zu einem starken Anstieg der Zahl der Hungeropfer in der Welt beigetragen“, heißt es in der Preisbegründung. Im Jemen, in der Demokratischen Republik Kongo, Nigeria, Südsudan und Burkina Faso habe die Kombination aus bewaffneten Konflikten und der Coronapandemie „zu einem dramatischen Anstieg der Zahl von Menschen geführt, die kurz vor dem Hungertod stehen“. Angesichts dieser Herausforderung habe das WFP seine Bemühungen zur Rettung von Menschenleben „in eindrucksvoller Weise gesteigert“, lobt das Nobelpreiskomitee die Organisation.
Abhängigkeit von freiwilligen Zahlungen macht handlungsunfähig
Zugleich warnt das Komitee, es drohe„eine weltweite Hungerkrise unvorstellbaren Ausmaßes, wenn das WFP und andere in der Nahrungsmittelhilfe engagierte Organisationen nicht die finanziellen Mittel erhalten, um die sie die Staatengemeinschaft ersucht haben“.
Das WFP hat nur ein sehr kleines Festbudget. Über 90 Prozent aller zur Verfügung stehenden Mittel sind freiwillige Beiträge von Regierungen der 194 UNO-Mitgliedstaaten oder von Wirtschaftsunternehmen und Stiftungen. Dieser Prozentsatz ist noch höher als bei der Weltgesundheitsorganisation, wo er bei 80 Prozent liegt.
Diese starke Abhängigkeit von freiwilligen Finanzbeiträgen beschränkt die Handlungsfähigkeit des WFP in aktuellen Krisen – seien es Naturkatastrophen, Gewaltkonflikte oder bei der Versorgung von Flüchtlingen in großen Lagern, die das WFP zumeist gemeinsam mit dem UNO-Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR) betreibt.
Besonders folgenreich war diese Abhängigkeit zum Beispiel im Herbst 2014. Damals wandten sich WFP und UNHCR mit der dringenden Bitte um zusätzliche Finanzmittel an die Mitgliedsregierungen, um die damals über 3 Millionen syrischen Flüchtlinge in den Lagern in Jordanien, Libanon und Irak weiter ernähren zu können.
Deutschland ist jetzt zweitgrößter Geber
Auch bei der Bundesregierung wurden die Chefs der beiden UNO-Organisationen ab August 2014 mehrfach vorstellig. Vergebens. Das WFP musste die Nahrungsmittelversorgung für 1,7 Millionen syrische Flüchtlinge ab 1. November 2014 zunächst um ein Drittel reduzieren und dann ab 1. Dezember sogar ganz einstellen.
Das führte zu dem starken Anstieg de Zahl syrischer Flüchtlinge in Deutschland und anderen europäischen Ländern. Rund 90 Prozent der syrischen Flüchtlinge, die ab Ende 2014 in Deutschland und anderen europäischen Ländern registriert wurden, kamen nicht unmittelbar aus Syrien, sondern aus einem der Lager in Libanon und Jordanien, in denen sie zum Teil schon bis zu drei Jahre verbracht hatten, weil sie dort nicht mehr oder nicht ausreichend ernährt wurden.
Dieses Versäumnis vom Herbst 2014 hat Kanzlerin Angela Merkel seitdem zumindest indirekt eingestanden. Deutschland ist nach den USA inzwischen der zweitgrößte Geldgeber des WFP.
Neben Kriegen und der dadurch verursachten Vertreibung von Menschen benennt das WFP fünf weitere „Hauptursachen“ von Hunger und Mangelernährung: Armut, Klima- und Wetterveränderungen, fehlende Investitionen in die Landwirtschaft, Nahrungsmittelverschwendung sowie instabile Märkte.
Nahrungsspekulation bleibt Tabuthema
Warum Märkte „instabil“ sind, benennt das WFP allerdings nicht. Die Spekulation mit Nahrungsmitteln an den Börsen oder die Politik globaler Nahrungsmittelkonzerne wie Nestlé werden nicht kritisiert.
Das WFP proklamiert zwar das Ziel, Nahrungsmittel für die Versorgung von Flüchtlingen oder anderen hilfsbefürftigen Menschen möglichst vor Ort bei lokalen Kleinbauern oder Produzenten einzukaufen. Ob und wie weit das tatsächlich geschieht, ist allerdings nicht immer nachvollziehbar – auch weil das WFP keine ausreichende Transparenz herstellt.
Das Problem: Lokale Anbieter können die Nahrungsmittel nicht immer in der aktuell benötigten Menge herstellen und liefern oder nur zu höheren Preisen als große ausländische Nahrungsmittelkonzerne. Und unter dem Druck knapper Finanzmittel muss sich das WFP dann für den ausländischen Konzern entscheiden.
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