Fridays for Future: Greta und die #Rezoluzzer
Die Klimabewegung argumentiert mit Fakten und Vernunft. Sie will nicht belehren, sondern fordert dazu auf, Beschlüsse umzusetzen.
W as ist da eigentlich passiert im letzten Jahr? Im März folgen weltweit über eine Million junge Leute dem Vorbild Greta Thunbergs und streiken für den Klimaschutz. Im Mai geht in Deutschland das Video von Rezo viral. Dann die Ergebnisse der Europawahl: Schock in den Volksparteien. Nach der Ansprache von Greta Thunberg vor den UN schreibt der Guardian über die 16-Jährige: „Sie zeigt der Welt, was Führung heißt.“ Fridays for Future (FFF) wird für den Friedensnobelpreis gehandelt.
Im September treten dann nicht mehr nur die Jungen, sondern ganz unterschiedliche Altersgruppen demonstrierend in den Klimastreik. 27.000 Wissenschaftler*innen erklären sich in einem Aufruf von „Scientists for Future“ mit den Zielen von Fridays for Future solidarisch. Die ersten Reaktionen sind patriarchalisch-autoritär. „Geht zurück in die Schule, Kinder!“, „Überlasst die Klimaforschung den Profis!“ Oder auch zu Rezo: „Das darf der gar nicht!“, „Kann man das vielleicht gesetzlich in den Griff kriegen?“
Die zweite Reaktionswelle, nach der Europawahl: „O Gott, wir verlieren die Jugend!“, „Wir haben keine Netzkompetenz.“ Und dann: „Bitte lasst uns wieder miteinander reden.“ Die dritte Reaktionswelle: In den Parteien und im politischen Apparat entsteht nackte Angst vor Wahlstimmenentzug und Machtverlust. Das Thema wird schlagartig auf die Tagesordnung gesetzt, um an der Macht bleiben zu können. Das Klimapaket wird geschnürt.
Der eigentliche Erfolg der Bewegung ist, dass sie einen überraschenden neuen Diskurs über das Thema Klimaschutz in Gang bringt. Es wird neu durchdacht. Das Problem, das seit dem Bericht des Club of Rome 1972, also seit 45 Jahren bekannt ist, erfährt eine neue, verblüffende Dringlichkeit. Der unmittelbare Bezug auf die Menschheit, auf die junge Generation selbst ist neu. Und das ist die Quelle ihrer Wucht. In der „How dare you“-Rede, „Wie könnt Ihr es wagen“, sagt Greta Thunberg:
FFF brachte überraschenden neuen Diskus in Gang
„Menschen leiden, Menschen sterben, ganze Ökosysteme brechen zusammen, wir stehen am Beginn eines Massensterbens.“ FFF schreibt: „$(LB3616987:„Scientists for Future“|_blank)$.“ Und bei Rezo heißt es schlicht: „Wenn wir nicht krass was ändern, (ist) die Zukunft von der jungen Generation und von allen folgenden Generationen im Arsch.“
Die Klimakrise wird damit auf die eigenen Chancen, ein gutes Leben zu führen, bezogen: Ihr macht unsere Zukunft kaputt! Das ist eine neue Dringlichkeit. Es geht um uns selbst. Nicht so sehr um eine „Um-welt“ da draußen, um irgendetwas Externes, das wir freiwillig, weil wir gute Menschen sind, pfleglich behandeln sollten. Weil wir Bienen lieben, Bäume umarmen, Eisbären süß finden.
Nein, hier wird ein direkter Bezug des Handelns und des Nichthandelns auf die Lebenschancen der heute lebenden jungen Menschen hergestellt. Diese dringlichen Botschaften werden mit einer unerwarteten Haltung vorgetragen. Die Jungen rennen nicht gegen die Herrschenden an, sondern sie beobachten sie. Rezo sagt: „Ihr haltet eure eigenen Ziele nicht ein.“ Luisa Neubauer erklärte im taz-Interview: „Wir sagen nicht, wie es anders und besser geht.
Wir sagen: Freunde, könntet ihr mal bitte schleunigst durchsetzen, was ihr schon 1992 in Rio und 2002, 2006 und 2015 alles beschlossen habt?“ Es sei, „als würden wir unsere Eltern und unseren Staat ein bisschen […] erziehen.“ Tatsächlich schlüpfe man „in so eine ganz merkwürdige Lehrer-und-Lehrerinnen-Rolle“. Redakteur Peter Unfried bringt es auf den Punkt: „Die ‚Mündigkeitszuständigkeit‘ hat sich umgedreht.“
Ein Grundkonsens braucht mehr als Fakten
Was die neue Bewegung inhaltlich stark macht, ist die Verankerung in der Wissenschaft. Greta Thunberg: „Ihr müsst uns Kindern nicht zuhören, niemand muss kommen, wenn ich rede. Okay. Aber was wir erwarten, ist: Nehmt die Wissenschaft zur Kenntnis“, die sagt, dass „unser CO2-Budget noch für acht Jahre reicht. „Viele glauben, es sei unsere Meinung, die wir hier vertreten. Uns wird gesagt: ‚Wir sind nicht deiner Meinung!‘ Aber schaut euch doch einfach den letzten Bericht des Weltklimarats an.
Hier findet ihr alle unsere ‚Meinungen‘ zusammengefasst.“ Der Gültigkeitsanspruch der wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Klimakrise wird von Einstellungen und Meinungen entkoppelt. Ähnlich Luisa Neubauer: „Das Spannende an der Klimakrise ist ja, dass es eine geophysikalische Wahrheit gibt, an der nicht zu rütteln ist, plus minus Abweichung. Wissenschaftliche Tatsachen haben eine andere Stellung als kulturelle Wahrheiten.“
Sie stellt damit „harte“ naturwissenschaftliche gegen „weiche“ kulturelle Wahrheiten bzw. Meinungen. Das ist eine geschickte Argumentationsstrategie, greift aber zu kurz. Die neue Bewegung, sollte genau hier, bei den „weichen Faktoren“, ihre Argumentationen und Handlungsstrategien noch schärfen. Denn aus den objektiven Daten der Klimaforschung ergibt sich nicht automatisch, wie der gesamte gesellschaftliche Transformationsprozess – einschließlich der Frage subjektiver Akzeptanz – fortgesetzt werden kann.
Wie auch jene Gruppen einbezogen werden können, die sich bisher mit ihren Einstellungen gegen die Erkenntnisse der Klimaforschung abschotten. Denn um eine wirksame Klimaschutzpolitik wirklich praktizieren zu können, benötigen wir einen gesellschaftlichen Grundkonsens.
Dieser entsteht nicht automatisch auf Basis „geophysikalischer Wahrheiten“, sondern es braucht gleichzeitig ein kritisches, sozialökologisches Transformationswissen, das auch die weichen Faktoren der Meinungen und Grundeinstellungen unterschiedlicher sozialer Gruppen berücksichtigt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Sport und Krieg in der Ukraine
Helden am Ball