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Freiraum zwischen Fernsehturm und SpreeDie entscheidende Frage bleibt offen

Uwe Rada
Kommentar von Uwe Rada

Endlich beginnt der Umbau des Marx-Engels-Forums. Doch was aus der Spandauer Straße wird, hat Ute Bonde (CDU) nicht entschieden. Spielt sie auf Zeit?

Grundsteinlegung am Marx-Engels-Forum mit Kai Wegner (Mitte) und Ute Bonde (rechts daneben)

U m freudiges Spatenstichvokabular waren die Beteiligten beim offiziellen Beginn des Umbaus am Marx-Engels-Forum in Mitte nicht verlegen. „Berlin bekommt einen lebendigen grünen Freiraum im Herzen der Stadt“, jubilierte der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU). Seine Parteifreundin, Verkehrssenatorin Ute Bonde, sonst eher fürs Aufräumen bekannt, bemühte einen Bandwurmsatz: „Zwischen Fernsehturm und Spree entsteht ein grüner, klimaangepasster Ort mit hoher Aufenthaltsqualität, der Nachhaltigkeit, Kultur und die bewegte Geschichte von Berlins historischer Mitte miteinander vereint.“

Von einem „zukunftsweisenden Projekt“ für Berlin sprach Christoph Schmidt, Geschäftsführer der landeseigenen Grün Berlin GmbH, unter deren Federführung der Umbau seit Montag vonstatten geht. Doch das alles entscheidende Thema erwähnte der Bauherr mit keiner Silbe: Wird es zwischen Fernsehturm und Spree wirklich einen Freiraum geben, der vom Fernsehturm zur Spree reicht?

Oder bleibt die überdimensionierte Spandauer Straße weiter die breite Schneise, die beide Teilräume – Rathausforum auf der östlichen, Marx-Engels-Forum auf der westlichen Seite – erbarmungslos in zwei Hälften zerschneidet?

Anfrage bei Grün Berlin, Dienstag früh um 9.58 Uhr. Keine Antwort. Nachfrage, Mittwoch 13.19 Uhr. Antwort 15.00 Uhr: „Wir befinden uns noch in der entsprechenden Abstimmung und werden uns schnellstmöglich bei Ihnen zurückmelden.“

Rückmeldung dann, nach drei Arbeitstagen, am Donnerstag um 16.49 Uhr: „Wir sind hierzu mit der Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt (SenMVKU) im regelmäßigen Austausch, um den optimalen Querschnitt der ‚neuen‘ Spandauer Straße zu definieren.“

Grün Berlin wohl standhaft

Grün Berlin hat es sich mit der Antwort also nicht leicht gemacht, und das ist eine gute Nachricht. Denn wer die anschließenden Ausführungen genau liest, erfährt, dass es zwischen der Verkehrssenatorin und ihrer nachgeordneten Einrichtung offensichtlich einen Dissens gibt. Einen Dissens, bei dem Grün Berlin bislang nicht den Kürzeren gezogen hat.

Denn in diesem Fall hätte am Montag bereits Klartext gesprochen werden können. Die Spandauer Straße bleibt eine Schneise, hätte die unfrohe Botschaft dann gelautet. Natürlich hätte es Gegenwind gegeben, aber den ist Bonde gewohnt.

Stattdessen fühlt sich Grün Berlin, das wird aus der späten Antwort deutlich, nach wie vor der inklusiven Philosophie des Büros RMP Stephan Lenzen verpflichtet, beide Teilräume zu einem gemeinsamen zusammenwachsen zu lassen.

Lenzen, der 2021 den Freiraumwettbewerb für die Berliner Mitte gewonnen hatte, hatte der taz schon im September vergangenen Jahres erklärt, am liebsten wäre es ihm, wenn auf der Spandauer Straße gar keine Autos mehr führen. Aber auch „die Reduzierung auf eine Fahrbahn mit Straßenbahn und grünen Gleisbetten würde eine Anbindung möglich machen“, gab er sich kompromissbereit. „Auch mit der bewussten und starken Markierung der Übergänge wäre es eine wesentliche Verbesserung zu heute.“ Am Ende sei dieses Thema aber eine politische Entscheidung.

Grün Berlin scheint sich nun auf diese Kompromisslösung zu konzentrieren. Etwas umständlich heißt es in der Mitteilung vom Donnerstag: „Die räumlich verbindende Gestaltung der Spandauer Straße ist weiterhin das Ziel, d. h. die Übergänge zwischen Rathausforum und Marx-Engels-Forum sollen umgesetzt und die Spandauer Straße im Querschnitt reduziert werden – unter Berücksichtigung von Bus-, Rad-, Fuß- und motorisiertem Individualverkehr inkl. möglichen Entsiegelungen als Mittelpromenade, die auch als Vorhaltefläche für eine zukünftige Straßenbahn genutzt werden kann.“

Und die Verkehrssenatorin? Schweigt. Lässt über ihre Sprecherin Petra Nelken schmallippig mitteilen: „Noch keine Entscheidung“.

Ein Verkehrskonzept steht aus

Offenbar will Ute Bonde auf Zeit spielen und zunächst das Ergebnis des „Integrierten Städtebaulichen Konzepts (ISEK) Berliner Mitte“ abwarten. Ob sie da auf offene Ohren stößt, darf allerdings bezweifelt werden. Denn dort ist bereits die „Qualifizierung des öffentlichen Raumes“ am Rathaus- und Marx-Engels-Forum angemeldet worden. Ein Verkehrskonzept steht noch aus.

Rechtliche Konsequenzen für den Fall, dass sich Bonde durchsetzen und die Spandauer Straße eine Schneise bleiben sollte, hätten weder die Verkehrsverwaltung noch Grün Berlin zu befürchten. In der Auslobung für den Freiraumwettbewerb wurde die Spandauer Straße lediglich im – unverbindlichen – Ideenteil thematisiert. Das weiß auch Stephan Lenzen: „Die Spandauer Straße ist nicht unser Planungsbereich, der endet rechts und links der Straße“, so der Landschaftsarchitekt im September zur taz.

Die Frage ist nun, ob sich die Senatorin, die mit Rückendeckung von Kai Wegner ihre autofreundliche Politik zuletzt noch einmal verschärft hat, ein Reingrätschen in die Spandauer Straße politisch leisten kann. Schließlich blickt die zehn Jahre dauernde Planungsgeschichte in der Berliner Mitte auf umfangreiche Bürgerbeteiligung zurück. Die daraus resultierenden zehn „Bürgerleitlinien für die Berliner Mitte“ hatte das Abgeordnetenhaus am 9. Juni 2016 beschlossen.

In Leitlinie 7 heißt es unmissverständlich: „Die Berliner Mitte wird verkehrsberuhigt. Sie wird leiser. Auch wird sie zukünftig besser mit den umliegenden Stadtvierteln vernetzt.“ Ein Weiter so durch Autosenatorin Ute Bonde wäre also ein Verstoß gegen einen Beschluss des Berliner Abgeordnetenhauses. Auch das womöglich ein Grund dafür, dass die Verkehrsverwaltung auf Zeit spielt.

Eine schlechte Nachricht muss aber auch das nicht sein. Kommendes Jahr im September sind Abgeordnetenhauswahlen. Derzeitigen Umfragen zufolge, wird der schwarz-rote Senat anschließend verschrottet. Die Schrottskulptur kann dann ein links-grünes Bündnis mit Unterstützung der geneigten Rest-SPD auf dem entsiegelten Mittelstreifen der Spandauer Straße aufstellen.

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Uwe Rada
Redakteur taz.Berlin
Jahrgang 1963, ist Redakteur für Stadtentwicklung der taz. Weitere Schwerpunkte sind Osteuropa und Brandenburg. Zuletzt erschien bei Bebra sein Buch "Morgenland Brandenburg. Zukunft zwischen Spree und Oder". Er koordiniert auch das Onlinedossier "Geschichte im Fluss" der Bundeszentrale für politische Bildung. Uwe Rada lebt in Berlin-Pankow und in Grunow im Schlaubetal.
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