Freiheit der Forschung: Zehn tote Affen zu viel
Das Primatenzentrum in Göttingen gilt als Vorzeige-Tierversuchseinrichtung. Trotzdem muss jetzt die Staatsanwaltschaft ermitteln.
Das ist in diesem Fall tatsächlich von besonderer Brisanz. Denn die hochrangige Forschungs- und Zuchteinrichtung ist nicht von einer Gruppe engagierter Tierrechtler*innen angeschwärzt worden. Die Ermittlungen ins Rollen gebracht habe vielmehr die zuständige Aufsichtsbehörde, informiert Oberstaatsanwalt Andreas Buick.
Seit seiner Gründung im Jahr 2001 kontrolliert das niedersächsische Landesamt für Verbraucherschutz (Laves) das DPZ. Es verfügt entsprechend über die nötige Expertise, um die komplexe Dokumentation der Einrichtung zu erfassen. Nun sei angesichts der Unterlagen festgestellt worden, dass einem Tier eine Giftspritze verweigert wurde, das „in so schlechter Verfassung aus einem Versuch kam, dass es hätte eingeschläfert werden müssen“, erläutert Buick.
Außerdem sollen zehn Weißbüscheläffchen gesund und munter ein Experiment überlebt haben und dann trotzdem eingeschläfert worden sein – ohne vernünftigen Grund. „Das wäre ein Verstoß gegen das Tierschutzgesetz“, sagt Buick.
Tierschutzbund nicht überrascht
Es sei „erfreulich, dass die niedersächsische Aufsicht hier so gewissenhaft agiert“, kommentiert Stephanie Link, Fachreferentin Tierversuche vom Deutschen Tierschutzbund. Die seriöse Quelle deute „darauf hin, dass es eine gewisse Beweislast gibt“.
Wirklich überraschen könnten die Vorwürfe an die Adresse des Vorzeige-Instituts aber nicht. „Es wäre nicht die erste vermeintliche Elite-Einrichtung, bei der sich hinter der Fassade Missstände zeigen“, erinnert Link an den Fall des Tübinger Max-Planck-Instituts.
Im Jahr 2017 hatte die Universität dort ihre Primatenversuche schließlich eingestellt, nachdem Video-Aufnahmen von Misshandlungen der Tiere in den Labors publik geworden waren. Überraschend sei höchstens, dass es zu Ermittlungen komme, weil sonst „immer versucht wird, unter der Hand zu beschwichtigen“, sagt Link.
Tatsächlich grämt man sich auch beim DPZ darüber, dass die Kontrollbehörde mit der Anzeige „den in solchen Fällen üblichen Weg verlassen“, und statt Zusatzinformationen anzufordern, die Staatsanwaltschaft alarmiert habe. Bislang war die Zusammenarbeit mit der Kontrollbehörde offenbar stets harmonisch verlaufen: Vergleichbare Ermittlungen habe es nach Kenntnis der DPZ-Sprecherin Diederich bislang noch nie gegeben.
Akademiker*innen, die in Deutschland am Affenmodell forschen, sind aufs Deutsche Primatenzentrum angewiesen: Seit 1977 ist es das Zuchtzentrum für Affen, deren Leben der Wissenschaft geweiht worden ist.
Die GmbH mit 400 Mitarbeiter*innen ist privatwirtschaftlich organisiert, aber eng mit der Uni Göttingen und der Tiermedizinischen Hochschule Hannover verflochten. Ihr Leiter Stefan Treuer ist dort Professor und europaweit als Werbebotschafter für Tierversuche tätig.
Außer der Nachzucht von Versuchstieren betreibt man dort Primaten-Infektions- und Primaten-Hirnforschung. Außerdem studiert man das Verhalten nichtmenschlicher Primaten in Gefangenschaft.
Man könne momentan auch wenig zum Fall sagen: „Wir wissen derzeit nicht, um welchen Versuch es sich gehandelt haben soll.“ Die Tierart, die man Presseberichten habe entnehmen müssen, helfe nicht weiter beim Eingrenzen. Auf dem DPZ-Gelände leben 1.300 Primaten, und darunter sind laut Diederich derzeit immerhin 350 Weißbüscheläffchen.
Die meisten davon sind Zuchttiere: Eine der wichtigsten Aufgaben des Göttinger Zentrums ist es, sämtliche Einrichtungen in Deutschland, die an Primaten forschen, mit Nachschub zu versorgen. Denn es ist in Europa verboten, Affen für wissenschaftliche Zwecke der Wildnis zu entnehmen.
Die Art des Experiments ist von Belang, denn laut Diederich gibt es „Versuche, bei denen das Tier aus wissenschaftlichen Gründen nach Abschluss getötet werden muss, auch wenn sein Gesundheitszustand gut ist“. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn in der Hirnforschung durch die Schädeldecke hindurch in einzelne Neuronen Sonden eingelassen werden, um deren elektrische Aktivität bei bestimmten Reizen zu messen. Dann nämlich muss später dokumentiert werden, wo genau im Affenhirn die Elektrode eingelassen war.
Solche Versuche werden meist, wie an der Uni Bremen, mit Makaken gemacht. Auf Weißbüscheläffchen hingegen, deren Frisur der des Philosophen Arthur Schopenhauer ähnelt, greifen häufig Forscher*innen mit infektiologischen und toxikologischen Fragestellungen zurück. Auch gelten sie als geeignet für Impfstudien.
Bei denen sei es nötig, zu überprüfen, ob durch den Wirkstoff beispielsweise „Organe Schäden genommen haben“, erläutert Diederich. Wenn aber die Tötung der Tiere von vornherein geplant ist, stehe das „bereits im Antrag drin.“ Sprich: Als Teil des Versuchsaufbaus gilt auch die Tötung des Versuchstiers als vernünftig. Mit der Genehmigung des Experiments ist auch sie genehmigt.
Tötung war nicht geboten
„Das ist hier nicht der Fall gewesen“, stellt Oberstaatsanwalt Buick klar. „Die Versuche hatten nichts mit Infektiologie zu tun und die Tötung war nicht wissenschaftlich geboten.“ Mehr Details könnten derzeit nicht verraten werden – sowohl aus datenschutzrechtlichen Gründen, als auch, um die Ermittlungen nicht zu beeinträchtigen.
Am vergangenen Dienstag haben die Ermittler das Primatenzentrum durchsucht, um Akten und Speichermedien sicherzustellen. Sie ermitteln derzeit gegen eine Tierärztin in leitender Funktion und fünf festangestellte Mitarbeiter.
Versuche an Tiermodellen sind in Deutschland genehmigungspflichtig. Dafür werden sie pro forma von Tierversuchskommissionen kontrolliert. Um dabei die Wissenschaftsfreiheit zu wahren, dürfen diese jedoch nur eine sogenannte „qualifizierte Plausibilitätskontrolle“ durchführen.
Das bedeutet, das Gremium muss das von den Antragsteller*innen geschilderte Versuchs-Design auf unbillige Härten checken. Auch auf eine Beanstandung des Experiments hin erfolgt aber in der Regel eine Genehmigung.
Verbote, geplante Experimente durchzuführen, wie sie Bremen und Münster verhängen wollten, sind von den Oberverwaltungsgerichten bislang stets kassiert worden. Auch die Verankerung des Tierschutzes als Staatsziel im Grundgesetz hat daran nichts geändert.
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