Der Bremer Streit um die Makaken: Die Stadt der Affen

Nach mehr als einem Jahrzehnt Dauerstreit will Bremen seit Jahren laufende Tierversuche beenden. Die Uni und der Neurowissenschaftler Andreas Kreiter haben Klage eingereicht.

Der Makaken-Affe sieht während des Tierversuchs nicht sonderlich erfreut aus. Bild: dpa

Beispielhaft unklar ist das rechtliche Verhältnis von Tierschutz und Wissenschaft. So ist umstritten, ob die Bremer Gesundheitsbehörde den Antrag des Neurobiologen Kreiter materiell prüfen durfte. Weil das ein Eingriff in die Forschungsfreiheit ist, durften die Behörden die Anträge bis 2002 nur durch eine "qualifizierte Plausibilitätskontrolle" checken. Unterschiedliche Rechtsauffassungen gibt es, seit Tierschutz Staatsziel ist. Das einzige rechtskräftige Vergleichsurteil seither stammt vom Verwaltungsgericht Gießen. Es bejaht ein materielles Prüfrecht (Az.: 10 E 1409/03). Die Bremer haben doppelt angegriffen: Sie verneinen, dass Kreiter die Belastung der Tiere nachvollziehbar darstellt - die qualifizierte Plausibilitätskontrolle. Und sie haben eine externe Ethikabwägung durchführen lassen - also auf inhaltliche Stichhaltigkeit geprüft. Knifflig ist auch die Frage der einstweiligen Verfügung, weil es so oder so zu irreversiblen Rechtsverlusten kommen dürfte: Ein Ja hieße, der Negativbescheid verlöre bis zum Urteil die Wirkung. Im umgekehrten Fall würde das Hirnzentrum faktisch aufgelöst. Daher ist eine Folgenabwägung wahrscheinlich, bei der die Grundrechte Kreiters - Freiheit der Berufswahl, Freiheit der Forschung - stark wiegen. BES

Die Affen haben Bremen erobert. Überall sind sie: Dicht vorm Bahnhof, das Hominiden-Denkmal, das sind die sichtbarsten, kolossale vier Meter in Bronze, ein echter Immendorff, und eine zweite Version seines Affentors ragt auch noch, kein Stück kleiner, vor der Sparkasse gen Himmel. Die meisten aber hangeln sich im Verborgenen, hinter verschlossenen Türen, unsichtbar, wie eine gut kaschierte Obsession. Sie bewohnen Bürgerhäuser, sie okkupieren Ämter. Selbst im Dom kauern steinerne Äffchen. Man muss nur hinsehen. Sie sind überall.

Auch in den Köpfen: Die ganze Stadt spricht von den Makaken an der Uni, immer wieder, seit elf Jahren. Und immer wieder hat sich der Landtag mit den neurobiologischen Affenversuchen befasst. Nur der Senat schweigt momentan. Er hat bereits gehandelt und die Versuch verboten. "Derzeit gibt es kein Statement", sagt der Sprecher, "mir bricht es selbst das Herz."

Die Uni und der Forscher haben Widerspruch gegen das Verbot angemeldet. Jetzt liegt die Sache bei Gericht. In der Hauptsache wird irgendwann im kommenden Jahr verhandelt. Aber wenn es bis zum 28. November keine einstweilige Anordnung beschließt, ist es wohl schon früher aus mit den Makaken in Bremen.

So ein Negativbescheid hat die unscheinbare Gestalt eines Formbriefs. Das Schreiben ist geheim, aber es lässt sich weitgehend rekonstruieren: Es ist klar, dass es aus dem Referat für Veterinärwesen in der Gesundheitsbehörde stammt. Der Adressat: Prof. Dr. Andreas K. Kreiter, Zentrum für Hirnforschung, Uni Bremen. Etwas über "erhebliches Leiden" muss drin gestanden haben. Und die Kernbotschaft lautet: "Der Antrag wird abgelehnt." Das war zu erwarten, und ist trotzdem eine Sensation. Noch kein Bundesland hat laufende Tierversuche beendet. Dass Bremen das wagen sollte, hatte der Landtag vergangenes Jahr einstimmig beschlossen, es war ein beliebtes Wahlversprechen, als Politikziel stehts im rot-grünen Koalitionsvertrag. Und auch 100 Tage nach Amtsantritt hatte der Bürgermeister wiederholt: "Meine Abwägung führt dazu, dass wir aus den Affenversuchen aussteigen müssen."

Ja, damals sprach er noch darüber. Die Wissenschaftsfreiheit? "Sie steht im Grundgesetz. Wir werden sie respektieren." Jens Böhrnsen, so heißt der Bürgermeister, ist SPD-Mitglied fast von Geburt an. Seine Stimme klang sanft, als er das sagte, und er saß dabei am wuchtigen Tisch im Amtszimmer des Rathauses, das Gesicht von der Leselampe zur Hälfte nur erhellt. Die Tapete im Amtszimmer ist aus dunklem Leder, schwelgerischer Jugendstil: Im Dämmerdunkel glänzen geprägte tropische Bäume, Vögel - und Affen. In Gold.

Der Morgen ist zu warm für November, 16 Grad und Dauerregen, draußen herrscht noch tiefes Dunkel. Andreas Kreiter, ein Schlacks mit schütterem Haar, war dem Besucher im Büro entgegengeeilt, der Händedruck ist herzlich: "Kann ich Ihnen den Mantel abnehmen?" Die Gehege befinden sich am anderen Ende des Flachbaus, erreichbar über einen fensterlosen Flur, neonhell. Gäste bekommen einen Einwegmundschutz, Infektionsgefahr für die Tiere, und Überschuhe. "Die hätt ich fast vergessen", sagt Kreiter, lächelt flüchtig. Seine Sorge gilt jetzt vor allem der einstweiligen Verfügung, die noch aussteht. "Wenn es die nicht gibt von den Bremer Richtern", er klingt misstrauisch, "das wäre schlimm."

Ohne Schiebebeschluss müssten die Affen zum 1. Advent eingeschläfert werden, fürchtet Kreiter. Wolfgang Apel nennt das "eine Drohung" und die strengen Auflagen für die Pflege überlebender Versuchstiere nimmt er fast sportlich: "Wir sind gerne bereit zu helfen", kündigt er an. "Da finden wir eine Lösung." Apel ist Präsident des Deutschen Tierschutzbundes. Dass er auch auf eine einstweilige Verfügung hofft, könne man nicht behaupten, aber "eine Niederlage wäre das nicht". Wobei es schon auf die Ausgestaltung ankäme: Das Grundrecht Forschungsfreiheit, das Staatsziel Tierschutz - nicht ob, nur wann der Streit vorm Verfassungsgericht landet, ist offen. Vielleicht läuten die Richter dort dann das Ende von Primatenversuchen in Deutschland ein. Vielleicht kassieren sie das Tierschutzgesetz: Für Experimente schreibt es deren "ethische Vertretbarkeit" vor, was schwammig klingt. Und schwammig darf ein Gesetz nicht sein. Nur: Das dauert Jahre. Und dass derweil "die Versuche unvermindert weiterlaufen", findet Apel, "das kanns nicht sein."

An den schrillen Protestanekdoten hat Apel keinen Anteil. Er hat keine abgehalfterten Profiboxer zum Protestieren aus Pforzheim nach Bremen kutschiert und auch das Wort Makaken-Mengele nie benutzt. Dass militante Tierversuchsgegner Kreiter-Puppen erhängt haben, findet er "schrecklich". Aber Apel lebt schon immer in Bremen. Fragt man Kreiter, warum sich hier alle über Primatenforschung aufregen und in Magdeburg oder Göttingen keiner so recht, kommt er schnell auf diesen Umstand zu sprechen. Und "natürlich spielt das eine Rolle", sagt auch Apel.

Seltene Eintracht. Schon 1997 schlug Apel Krach, da war Kreiter frisch berufen, und in Bremen noch kein Makake operiert. Seither bilden der Neurobiologe, der an seine Forschung glaubt, und der sendungsbewusste Tierschützer ein Duo wie Camillo und Peppone. Kreiter vergleicht sich mit einem Bauern, der ja auch die Fähigkeiten seiner Kühe im Stall nutzt. Apel sieht Parallelen der Forschungsmethode zur Folter, "aber ich will den Affen nicht vermenschlichen". Leiert Apel eine Unterschriftenkampagne an, ätzt Kreiter: Der Tierschutzverein hätte wohl zu viel Geld. Werden Kreiters Forschungen gerühmt, motzt Apel, den treibe doch bloß "die Aussicht auf die x-te Fachpublikation". Wie Aufmerksamkeit sich in sensorischen Feldern des Großhirns zeigt, erkundet Kreiter. Er hat entdeckt, dass die Neuronen im Gleichtakt feuern, und zwar je nach Ort des wahrgenommen Gegenstandes in unterschiedlichen Verbänden: Befindet er sich rechts, funken andere Neuronengruppen, als wenn er sich links befindet - aber jeweils das gleiche oszillierende Muster. Grundlagenforschung also. Dass er diesmal auch ein medizintechnisches Forschungsvorhaben beantragt hat, wertet er als Zugeständnis. Und Apel? Als "vorgeschobenes Totschlagargument".

Dafür ist es dann aber doch zu real: Der Entwurf für ein "System" und eine "in ein Gewebe von Lebewesen implantierbare Vorrichtung", die drahtlos "elektrische Bio-Aktivität" erfassen und beeinflussen sollen, ist unter Patentnummer 102004014694 registriert. Ihr Erfinder ist Klaus Pawelzik, Professor für Neurophysik in Bremen. "Ich arbeite eng mit Kreiter zusammen", sagt er, zum Konsortium gehört der Bonner Epileptologe Christian Elger, und ein Gerätehersteller soll auch dabei sein. "Anfang kommenden Jahres", schätzt Pawelzik, "kann es losgehen." Die Kosten liegen bei 2,3 Millionen, anderthalb sind beim Forschungsministerium beantragt, der Löwenanteil für Bremen. Aber ein Staatsziel darf man auch nicht gegen 1,2 Millionen ungelegte Eier aufwiegen: Die Förderzusage fehlt noch. Was es gibt, ist "eine positive Bewertung", so das Ministerium: "Eine internationale Expertenjury" habe den Antrag "empfohlen". Es bestätigt, dass für die Entwicklung des Geräts "Primatenversuche unabdingbar" seien. Aber die könne man auch "an anderen bundesdeutschen Einrichtungen" durchführen.

Noch sind die Makaken da. Zwei Doktoranden öffnen eine Metalltür am Ende des Korridors, sie führt in den Vorraum der Gehege. Kreiter beobachtet die Nachwuchswissenschaftler schweigend. Für den breitschultrigen Doktoranden ist es das erste Mal. Er rollt einen Würfel aus Plexiglas über die Schwelle: einen Primatenstuhl. Die Gehege sind mit Holzspänen ausgestreut. Einige Tiere sitzen am Boden und pulen Sonnenblumenkerne aus den Häckseln, andere testen den Kletterparcours. Einen Affen hat die Pflegerin isoliert. Er sitzt im Verschlag im Vorraum. An den Griffen des Plexiglaskäfigs, der jetzt an die Metallstäbe gehalten wird, klebt ein laminiertes Schild, "Bummel", der Name des Tiers. Das Gitter leistet kaum Widerstand beim Hochschieben.

"Ein Primatenstuhl ist ein Unding", sagt ein Makaken-Experte, der anonym bleiben will. "Kein Rhesusaffe würde sich da freiwillig reinsetzen." Bummel scheint das nicht zu wissen. Er schlüpft hinüber, steckt sogar den Kopf durch die obere Öffnung und wartet, bis der Flügeldeckel geschlossen ist. "Er entscheidet sich für das kleinere Übel", so hat das der Berliner Tierschutzprofessor Jörg Luy der Bremer Gesundheitsbehörde erklärt. In den Tests erhalten die Affen einen Tropfen Saft für den richtigen Knopfdruck. Ohne Durst gäbe es keine Kooperation. Der werde "als schwerer Mangel empfunden", so Luy. Die Tiere stammen aus Trockengebieten, hält Kreiter dagegen, sie kämen zwei Wochen ohne Flüssigkeit aus. Der "Pictorial Guide to the Living Primates" gibt irgendwie beiden recht. Auch Halbwüsten seien Habitate, "water is a limiting factor" steht da. Nur eben auch: "In the dry season, they drink 3-4 times a day." Und das wohl nicht in Minischlückchen.

Der Breitschultrige redet auf das Tier ein. "Makakenflüsterer", piesackt ihn der Blonde. Der Affe trägt sein Hütchen aus rosa Zahnzement mit Würde. Im Labor werden ihm haarfeine Elektroden in den Cortex gesenkt, eine schmerzlose Prozedur. Sie messen dann die Aktivität einzelner Neuronen. Als Kanal dient ein kleiner Metallzylinder. Wie ein aufgeklebter Schornstein steht er vom Kopf ab. Im Kunstlicht blitzt er auf, als das Tier den Kopf dreht, noch kann es den Kopf drehen. Nachher, im Labor, wird Bummel festgeschnallt. Sein Blick wird auf den Monitor ausgerichtet, auf dem Muster aufscheinen. Vier Stunden dauert die Schicht. Jetzt beäugt der Affe den Gast, das wirkt kritisch und fast schon blasiert, als wollte er sagen: Du hast doch eh keine Ahnung. Und er hätte ja recht. Wie ein Rhesusaffe ausschaut, wenn er leidet: Das lässt sich schwer sagen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.