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Freihandelsabkommen mit KanadaCeta vorläufig ohne Demokratie

Das umstrittene Abkommen von EU und Kanada soll ohne Zustimmung des Bundestags in Kraft treten. Kritiker werfen Gabriel Wortbruch vor.

Abstimmung zum Antrag über die geplanten Freihandelsabkommen TTIP und Ceta beim SPD-Bundesparteitag im Dezember 2015 Foto: dpa

Berlin taz | Das zwischen der EU und Kanada geplante Freihandelsabkommen Ceta soll in Kraft treten, ohne dass der Deutsche Bundestag darüber abstimmt. Kritiker des Abkommens sehen darin einen Wortbruch von SPD-Chef und Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel. Zudem gibt es Zweifel, ob das geplante Vorgehen rechtlich zulässig ist.

Gabriel hatte in der Vergangenheit stets betont, dass das Abkommen nur in Kraft treten dürfe, wenn die Parlamente aller EU-Mitgliedstaaten ihm zustimmen. Doch danach sieht es nicht aus. Zum einen ist noch unklar, ob Ceta von der EU überhaupt als gemischtes Abkommen betrachtet wird, das auch Themen behandelt, die im Zuständigkeitsbereich der Mitgliedstaaten liegen; nur dann werden die nationalen Parlamente beteiligt. Zum anderen wird das Abkommen selbst in diesem Fall in Kraft treten, bevor der Bundestag darüber abgestimmt hat.

Die EU-Kommission plant nämlich, das Abkommen schon vor der Zustimmung der nationalen Parlamente „vorläufig“ in Kraft treten zu lassen – zumindest für die Teile, die im alleinigen Zuständigkeitsbereich der EU liegen. Im Oktober soll der Ministerrat darüber entscheiden. Und Gabriel hat dagegen keine Einwände: „Die vorläufige Anwendung“ entspreche der „üblichen Praxis“ und sei „vollständig demokratisch“, heißt es in einem schriftlichen Bericht des Wirtschaftsministeriums von Mitte März. Bis das Abkommen von allen nationalen Parlamenten und Regierung ratifiziert ist, vergehen oft mehrere Jahre.

Die Verbraucherschutzorganisation Foodwatch übte scharfe Kritik an den Plänen und der Haltung der Bundesregierung. „Herr Gabriel will das Ceta-Abkommen durch die Hintertür durchsetzen – ohne dass je ein deutscher Parlamentarier die Hand dafür gehoben hat“, sagte Geschäftsführer Thilo Bode. „Das ist ein demokratiepolitischer Skandal und ein Betrug an der Öffentlichkeit.“ Der Linken-Abgeordnete Klaus Ernst forderte, die Bundesregierung müsse sich „einer vorläufigen Anwendung widersetzen“, weil diese „die Demokratie außer Kraft setzen“ würde.

Ein Gutachten im Auftrag von Foodwatch bezweifelt die rechtliche Zulässigkeit der Pläne. „Insgesamt ist es verfassungsrechtlich wie demokratiepolitisch inakzeptabel, dass die vorläufige Anwendung eines Abkommens an den Parlamenten vorbei erfolgt“, schreibt Wolfgang Weiß von der Universität für Verwaltungswissenschaften in Speyer. Es stehe zu befürchten, dass die EU ihre Kompetenzen überschreitet.

Kritiker fürchten, dass Ceta und das mit den USA geplante Abkommen TTIP soziale und ökologische Standards bedrohen und den Einfluss von Konzernen auf die Politik stärken. Am 23. April ist aus Anlass des Besuchs von US-Präsident Barack Obama eine Großdemonstration gegen die Handelsabkommen in Hannover geplant.

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9 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Was die Regierung und Medien von vorläufigem Inkrafttreten halten kann hier schon einmal bei den Niederlanden und dem Ukraineabkommen beobachtet werden: https://www.youtube.com/watch?v=9pcZA_hGu_s

     

    Eine Frechheit ist das.

  • Warum wählen Menschen überhaupt noch diese Partei? Seit min. 20 Jahren betreibt sie eine immer stärker werdende Klientelpolitik für Kapitalbesitzer (welche mit 10% eine Minderheit stellen) und unterscheidet sich in so gut wie allen politischen Themen höchstens um Nuancen von der CDU/CSU. Gebt doch bitte endlich einer komplett neuen Partei (mir egal ob rechts, links oder was auch immer) eine Chance. Ansonsten wirds doch langsam peinlich im Sinne von "Fool me once, shame on you. Fool me twice, shame on me". Wie oft und lange wollt ihr euch denn noch belügen lassen?

  • Es ist Usus, dass die Exekutive nicht gegen einen verhandelten aber noch nicht ratifizierten Vertrag nicht verstößt. Das gilt jedoch nur für die Dinge, die in der Macht der Exekutive stehen. Juristisch ist ein nicht ratifizierter Vertrag nicht existent und kann auch nicht "vorläufig" in Kraft gesetzt werden. Ein Inkraftsetzen am EU-Parlament vorbei (auch wenn es als "vorläufig" bezeichnet wird), ist nichts anderes als ein Staatsstreich.

  • Herr Gabriel plant ja seine Karriere, so wie bei solchen Menschen üblich.

  • Diese "Sozial" Partei sollte sich auf ihre Wurzeln und ihre Daseinsberechtigung besinnen! Es mach keinen Sinn jemanden zu wählen, der seine Wurzeln vertrocknen lässt.

    Allein der Stimmengewinn von Bernie Sanders in den USA zeigt den Schwachsinn solcher "Frei-Handelsverträge".

    Bernie Sanders sagt es deutlich:

    We Must Stop Outsourcing Jobs https://www.youtube.com/watch?v=pbF9nYfIOlQ

    Veröffentlicht am 05.03.2016

    We must put an end to the disastrous trade deals like NAFTA, CAFTA, and the TPP that outsource American jobs to countries like Mexico, China and Vietnam. Das gilt auch für TTIP und CETA.

    Dazu kommt eine Mahnung an die "Christen" in diesem Land von Papst Franziskus: Das Heilige Jahr leben

    Sich für die Barmherzigkeit Gottes zu öffnen, sich selbst und das eigene Herz zu öffnen und barmherzig zu den anderen Menschen zu sein.

    Ich glaube nicht, dass Gabriel überhaupt den skill hat, als Lehrer für Erwachsenenbildung, National-Oekonomie zu begreifen? Der Vater des "Wirtschaftswunders" Ludwig Erhard, war dazu geeignet https://www.hdg.de/lemo/biografie/ludwig-erhard.html

    Viel Err-Volk den Sozialen Verantwortlichen!

    P.S.: Geld kann man nicht essen. Es ist lediglich ein Versprechen! J.M. Keynes 1936

  • 1G
    1714 (Profil gelöscht)

    Dieser Kerl gehört als Minister und Parteivorsitzender gefeuert. Er ist ein Lügner und Scharlatan. Die SPD wird nie und nimmer über 25% kommen, solange sie an dem festhält. Im Gegenteil, sie werden ---hoffentlich--- auf einstellige Werte absinken!

  • Auch an dieser Stelle noch einmal der Hinweis, dass anlässlich des Besuchs von Barack Obama auf der Hannover-Messe für Sonnabend, 23. April, eine Großdemo gegen TTIP geplant ist. Nähere Infos gibt es hier: http://ttip-demo.de/home/aufruf/

     

    Unter dem folgenden Link kann zudem Mobilisierungsmaterial bestellt werden: http://ttip-demo.de/mitmachen/flyer-plakate/

  • So lange die Allgemeinheit betreffende Verträge im Geheimen ausgehandelt werden, entgegen der Ankündigung ohne parlamentarische Zustimmung in Kraft treten sollen oder unkontrolliert "vorläufig" wirksam werden können - so lange also solche Verschwörungen der Mächtigen stattfinden, wird es "Verschwörungstheorien" geben, die hinter dem offiziell Verlautbarten geheime Pläne und Absprachen vermuten und mit Mitteln der investigativen Recherche zu belegen versuchen. (Von ausgemachten Spinnern ist hier ausdrücklich nicht die Rede.) - Ich wünschte mir von der TAZ Reportagen à la Wallraff, geschrieben von Undercoveragenten in Brüssel bzw. aufgrund geleakten Materials.

  • Zu den rechtlichen Bedenken in Bezug auf CETA anbei ein, wie ich finde, sehr guter Aufsatz des Jura-Professors Andreas Fisahn:

    http://www.jungewelt.de/2016/03-11/052.php?sstr=ceta