Freihandelsabkommen TTIP: Grüne Einheitsfront bröckelt
TTIP muss man kritisch sehen? Nicht alle Grünen denken das. Minister aus Hessen und Rheinland-Pfalz zeigen sich offen für das Abkommen mit den USA.
Ausdrücklich wird darin der Vorschlag von Bundesminister Sigmar Gabriel (SPD) für „einen europäisch-amerikanischen Handelsgerichtshof“ anstelle der bisher üblichen privaten Schiedsgerichte begrüßt. Dort könnten Konzerne Staaten verklagen, wenn sie ihre Gewinne etwa durch Gesetze geschmälert sehen.
In „der Vereinbarung gemeinsamer Standards liegt großes Potenzial“, so die Minister. „Schutzniveaus, z. B. für Verbraucher, Umwelt, Gesundheit und öffentliche Daseinsvorsorge, dürfen dabei nicht zur Disposition stehen.“ Wenn höhere US-Schutzstandards vereinbart würden, sei man dafür offen.
Insgesamt gelte, dass „wachsende sicherheitspolitische Risiken“ eine „noch engere Zusammenarbeit rechtsstaatlicher Demokratien“ unabdingbar machten. Die Wirtschaftsministerkonferenz fällte den einstimmigen Beschluss bereits Mitte Juni in Hamburg, das Abstimmungsverhalten der Grünen fand aber bislang kaum Beachtung.
Auf der Internetseite der Bundespartei steht in großen Lettern „Stop TTIP!“. Die Bundesdelegiertenkonferenz hatte Ende November Aussagen wie „Keine Klageprivilegien für Konzerne“ beschlossen. Die Haltung der Länder und der Grünen, die dort mitregieren, ist wichtig, weil wahrscheinlich auch der Bundesrat den Abkommen zustimmen müsste. Deshalb tun TTIP-Gegner das Votum der beiden grünen Minister auch nicht als unbedeutende Verirrung von Außenseitern ab.
Aktivisten wollen kritischen Dialog intensivieren
„Das sieht das gesamte Bündnis ‘TTIP unfairhandelbar‘ kritisch“, sagte Maritta Strasser, von Campact und der Europäischen Bürgerinitiative “Stop TTIP“ der taz. Deshalb hätten die Aktivisten beschlossen, ihren „kritischen Dialog mit den Grünen in diesen Ländern zu intensivieren“.
Ihre Argumente: Handelsabkommen seien kein sicherheitspolitisches Instrument. „Im Gegenteil: Auslöser des schlimmen Bürgerkrieges in der Ukraine war ein Handelsabkommen mit der EU.“ Strasser sprach von „Desinformation, auf die die Grünen da offenbar hereingefallen sind.“
Das Umweltinstitut München kritisierte, dass auch der von den grünen Ministern befürwortete Handelsgerichtshof Sonderrechte für Konzerne schaffen würde. Al-Wazir antwortete darauf bei Twitter: „Ist dann auch der Internationale Strafgerichtshof ein ‚Sonderrecht‘?“ Woraufhin Strasser entgegnete: Derartige Gerichte würden Klagen nur dann annehmen, wenn der nationale Rechtsweg ausgeschöpft wurde oder nicht offenstehe. Rheinland-Pfalz’ Ministerin Lemke ihrerseits bestritt, dass der Beschluss der Minister pro TTIP sei, da er sich doch zum Beispiel für hohe Umweltstandards einsetze.
Der Bundesvorstand der Grünen beharrte darauf, dass die Grünen in den Ländern, im Bund und in Europa in ihrer „Kritik an TTIP“ einig seien. Sie würden „undemokratische Klageprivilegien für Konzerne“ weiterhin ablehnen, teilte das Führungsgremium der taz mit. Mit der Einigkeit scheint es aber nicht weit her zu sein: Der finanzpolitische Sprecher der Grünen im Europaparlament, Sven Giegold, twitterte: „Der Beschluss der Wirtschaftsminister ist ein schlechter Kompromiss.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Fall Mouhamed Dramé
Psychische Krisen lassen sich nicht mit der Waffe lösen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Ex-Mitglied über Strukturen des BSW
„Man hat zu gehorchen“